
Zwei aktuelle Forschungsprojekte der Forschungsgruppe Didaktik Bewegung und Sport an der PH Zürich widmen sich dem Bewegungsverhalten und dem Bewegungskönnen von Kindern im Kindergarten- und Primarschulalter und bringen erste spannende Ergebnisse hervor.
Motorische Basiskompetenzen sind zentrale Voraussetzung für die Teilhabe an der Bewegungs- und Sportkultur – um also in der Schule, der Freizeit und im Verein aktiv Sport treiben zu können. Es geht also nicht darum, den Bewegungsmangel und das Übergewicht von Kindern als gesundheitliche Risikofaktoren zu identifizieren, betont Forschungsleiter Christian Herrmann. Vielmehr gehe es darum, Kinder schon in ihrer frühen Kindheit motorisch kompetent zu machen, damit sie an Sport und Bewegung aktiv teilhaben können. Denn nur wenn Kinder motorisch kompetent sind – also laufen, werfen, fangen, prellen können –, werden sie ein sportliches Selbstbewusstsein aufbauen und motiviert sein, Sport zu treiben. Beim Sport können sie sozial interagieren und gesundheitsbezogene Ressourcen aufbauen, welche langfristig einen aktiven und gesunden Lebensstil wahrscheinlicher machen.
In der Studie «Entwicklung motorischer Basiskompetenzen in der Kindheit» (EMOKK) werden erstmals empirische Erkenntnisse über die Wechselbeziehungen zwischen fachlichen und überfachlichen Kompetenzen im Fach Bewegung und Sport erarbeitet. Das Ziel ist, die Entwicklung motorischer Basiskompetenzen von Kindergarten- und Primarschulkindern in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz über mehrere Jahre zu begleiten und zu erklären. Neben individuellen (u. a. Alter, Geschlecht) und ausserschulischen Faktoren (u. a. Freizeit- und Vereinssport) werden auch schulische Einflussfaktoren (u. a. Lehrpersonen, Ganztagsangebot) untersucht. Ausserdem wird der Frage nachgegangen, ob die motorische Entwicklung der Kinder kulturellen und sprachregionalen Unterschieden unterliegt. Dafür wurden in den letzten beiden Jahren rund 8000 Kinder des 1. Zyklus und deren Eltern und Lehrpersonen aus allen Sprachregionen der Schweiz untersucht.
In früher Kindheit bereits grosse Unterschiede
Erste Ergebnisse zeigten, dass bereits im Kindergarten und in den ersten Primarschulklassen grosse Unterschiede im Bewegungskönnen zwischen den Kindern vorliegen, welche die Lehrpersonen im Sportunterricht herausfordern dürften. Dass sich zudem bereits im Kindergarten derart grosse Geschlechtsunterschiede zeigten, überrascht auch den Forschungsleiter Christian Herrmann, zumal der Grossteil der Kinder erst mit der Primarschulzeit regelmässig am Vereinssport teilnimmt und somit die Teilnahme beispielsweise am Fussballtraining diese Unterschiede im Kindergartenalter nur bedingt erklären kann.
Darüber hinaus wurden Zusammenhänge zwischen den motorischen Basiskompetenzen und überfachlichen Kompetenzen identifiziert. So sind motorisch kompetente Kindergarten- und Primarschulkinder in ihren Klassen sozial integrierter und verfügen über ein höheres körperliches Wohlbefinden. Insbesondere bei Primarschulkindern scheint es einen Zusammenhang zwischen dem Bewegungskönnen und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zu geben.
Diese ersten Erkenntnisse können genutzt werden, um Angebote im und ausserhalb des Unterrichts anzupassen und systematisch Fördermassnahmen zu ergreifen. Zudem dienen sie als Orientierung für die Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen an Schulen und leisten einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung sportdidaktischer Forschung und Ausbildung. Hier setzt das zweite Projekt «Sport in Schulen mit Tagesstrukturen» (SINTA) an. Das übergreifende Ziel dieses Projekts ist eine optimierte Ausgestaltung der sportorientierten ausserunterrichtlichen Angebote. Dies zum Zweck einer ganzheitlichen und nachhaltigen Bewegungsförderung der Schülerinnen und Schüler, erklärt Ilaria Ferrari, SINTA-Projektleiterin. Der Fokus liegt dabei auf sozialer Inklusion, psychischer Gesundheit und motorischer Entwicklung, welcher unter anderem durch ein geeignetes Weiterbildungsangebot für Betreuungspersonen zu erreichen ist. Eine entsprechende Professionalisierung der Betreuungspersonen ist ein weiteres wichtiges Ziel dieses Schulentwicklungsprojektes. In den Bewegungsaktivitäten in der Mittagspause sowie vor und nach dem Unterricht werden sowohl motorische als auch sozial-kognitive Kompetenzen gefördert und gefordert, welche für die physische und psychische Gesundheit von Bedeutung sind.
Ausbau der ausserunterrichtlichen Angebote
Schulen mit Tagesstrukturen werden im Forschungsprojekt konkret unterstützt, ihre ausserunterrichtlichen Bewegungsangebote zu entwickeln und/oder auszubauen, um anschliessend deren wahrgenommene Wirkung in Bezug auf das Schulleben und Rhythmisierung, Wohlbefinden der Kinder und die Professionsentwicklung der Betreuungspersonen im Kontext der lokalen Eigenheiten zu analysieren.
Eine erste Evaluation im SINTA-Projekt zeigt, dass während der Bewegungsaktivitäten ein positives soziales und motivationales Klima herrscht. Kinder finden bei den Bewegungsaktivitäten neue Freunde, können mitentscheiden, was sie machen möchten, haben Spass und eine gute Gemeinschaft. Fast 80 Prozent der Kinder in der Betreuung machen bei den freiwilligen Bewegungsaktivitäten mit, Mädchen und Knaben im gleichen Ausmass. Nach den Aktivitäten sind sie meistens zufrieden, fit und motiviert. Beide Forschungsprojekte zeigen eindrücklich die Bedeutung davon auf, Kinder bereits in ihrer frühen Kindheit motorisch kompetent zu machen und sie zu motivieren, damit sie an Sport und Bewegung aktiv teilhaben können. Statt den Bewegungsmangel zu kritisieren, sollen angepasste und schulspezifische Lösungen gesucht werden.