Nicht erst seit der Verankerung im Lehrplan 21 sind Kulturinstitutionen als ausserschulische Lernorte beliebt. Lara Leuschen forscht am Zentrum für Kulturmanagement der ZHAW zu kultureller Teilhabe und Audience Development. Im Interview gewährt sie Einblick in die Herausforderungen ausserschulischer Lernorte.

Lara Leuschen, was fasziniert Sie persönlich an ausserschulischen Lernorten?
Ausserschulische Lernorte schaffen Praxisbezug, sie bieten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, im Unterricht gelernte Inhalte mit der realen Welt zu verbinden. Die interaktiven und multisensorischen Ausstellungselemente können dabei auf ganz andere Weise das Interesse an spezifischen Fachinhalten wecken. Neben dem fachlichen Input sind natürlich auch die positiven Begleitfaktoren eines Ausflugs nicht zu unterschätzen, das Klassenklima profitiert von gemeinsamen Erlebnissen. Dabei kann der Besuch eines ausserschulischen Lernorts ein Highlight im Schulalltag sein, an das man sich noch Jahre später gerne zurückerinnert. Für mich sind ausserschulische Lernorte aber auch aus der Perspektive des Kulturmanagements spannend. Sie werfen unter anderem Fragen der Zielgruppenorientierung und -ansprache, Programmgestaltung und Vermittlung sowie des Aufbaus von strategischen Partnerschaften auf.
Im Rahmen des Projekts «Verknüpfung ausserschulischen Lernens mit dem Regelunterricht» konzipiert die PH Zürich eine Lehrpersonenweiterbildung. Sie begleiten für das ZHAW Zentrum für Kulturmanagement gemeinsam mit dem ZHAW Institut für Marketing Management das Projekt wissenschaftlich. Wie gehen Sie dabei vor?
Die PH Zürich entwickelt zusammen mit dem Swiss Science Center Technorama in mehreren Testzyklen eine Lehrpersonenweiterbildung. Ziel des Projekts ist es, Lehrpersonen optimal auf den Klassenbesuch an einem ausserschulischen Lernort vorzubereiten und auf diese Weise eine stärkere Einbindung in den Regelunterricht zu ermöglichen. Unser Team von der ZHAW begleitet diese fachdidaktische Entwicklung und Durchführung der Lehrpersonenweiterbildung. Dabei interessiert uns im Sinn eines strategischen Besucherbeziehungsmanagements auch eine enge Ausrichtung der Weiterbildung an den Bedürfnissen der Lehrpersonen. Hierzu führen wir qualitative Interviews mit den teilnehmenden Lehrpersonen durch und begleiten sie beobachtend bei ihrem Klassenbesuch. Einem sogenannten Design-Thinking-Ansatz folgend fliessen unsere Erkenntnisse dann direkt in den nächsten Testzyklus und die weitere Entwicklung der Lehrpersonenweiterbildung.
Das Technorama ist als ausserschulischer Lernort fest etabliert. Sind Besuche von Schulklassen in allen Institutionen beliebt?
Die Offenheit dafür, sich als ausserschulischer Lernort zu positionieren, ist etwas spartenabhängig. Zu den Vorreitern zählen sicherlich Museen, da sie sich häufig auch als Bildungsorte begreifen. Entsprechend haben sich insbesondere die grösseren Häuser bereits sehr früh auf die Zielgruppe Schulklassen und Lehrpersonen eingestellt, verfügen über spezifische Vermittlungsangebote oder stellen umfangreiches Unterrichtsmaterial für den Klassenbesuch zur Verfügung. Es gibt jedoch auch Kultursparten wie beispielsweise das Theater, das eine zu starke inhaltliche Ausrichtung des Programms auf den Lehrplan kritisch sieht, da dies bedeuten würde, dass sie mehr Klassiker spielen müssten.
Aber Schulklassen als junge Zielgruppe müssten doch für alle Institutionen interessant sein?
Grundsätzlich ist es sicher so, dass Schulklassenbesuche eine riesige Chance darstellen. Dadurch kann ein junges Publikum erreicht und allenfalls langfristig gebunden werden. Es ist Aufgabe von Kulturmanager: innen, hier einen Ausgleich zu schaffen, sodass Kulturinstitutionen etwa durch die Übernahme eines Bildungsauftrags gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und aber gleichzeitig ihre künstlerische Autonomie bewahren können. Viele Kulturinstitutionen stehen nach Covid-19 vor der Herausforderung, Publikum zurückgewinnen zu müssen. Nicht wenige litten bereits zuvor unter Publikumsschwund wie etwa typischerweise Veranstalter von Klassikkonzerten. Die Gewinnung von Schulklassen ist also eine Investition in das zukünftige Publikum. Gleichzeitig werden insbesondere öffentlich geförderte Kulturinstitutionen an der Erfüllung des Leitbilds der kulturellen Teilhabe und damit der Erreichung eines breiten Publikums gemessen. Besuche von Schulklassen verjüngen das Publikum und bieten Kulturinstitutionen Legitimation für die eigene Arbeit. Damit sind Schulklassen eine wichtige Zielgruppe für das strategische Audience Development.
Was müssen wir uns unter Audience Development vorstellen?
Darunter versteht man einerseits die Erschliessung von neuen Publikumsgruppen, andererseits aber auch die langfristige Bindung von bestehendem Publikum. Kulturinstitutionen beschäftigen sich stark damit, wie sie durch Vermittlungsangebote und ein zielgerichtetes Kulturmanagement ein diverseres Publikum ansprechen und binden können. Sie führen hierzu beispielsweise Publikumsevaluationen durch oder befragen auch ganz bewusst im Rahmen von Nicht-Besuchenden-Studien Personen, die sie bislang noch nicht erreichen.
Was sind Gründe, warum jemand eine Ausstellung nicht besucht?
Die Gründe für den Nicht-Besuch sind vielfältig – von der fehlenden Begleitperson, dem als zu teuer wahrgenommenen Eintrittspreis bis zum Gefühl, in der Kulturinstitution «fehl am Platz» zu sein, um ein paar Beispiele zu nennen. Insbesondere Museen sind von Vorbehalten betroffen und haben beim jüngeren Publikum teilweise ein schlechtes Image. Aus verschiedenen Nicht-Besuchenden-Befragungen wissen wir, dass Museen häufig als wenig interaktiv und langweilig wahrgenommen werden. Dies zeigt den klaren Handlungsbedarf für Kulturmarketing und -vermittlung auf.
Was wären Ansätze für ausserschulische Lernorte wie Museen, diese Barrieren abzubauen?
Ein früher Kontakt mit Kultur etwa durch musikalische Früherziehung oder auch den Besuch von Kulturinstitutionen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Heranwachsende sich später für künstlerisch-kreative Tätigkeiten interessieren oder diesen selbst nachgehen. Insofern leisten ausserschulische Lernorte hier bereits einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Barrieren. Durch das Einholen von Feedback und regelmässige Evaluationen können sich ausserschulische Lernorte noch besser auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe einstellen und entsprechende Massnahmen treffen. Dies kann der Ausbau von Vermittlungsangeboten für Schüler:innen und Lehrpersonen sein – so etwa mit einem breiten Angebot an Workshops, mehr Interaktivität und Austauschmöglichkeiten, die Herstellung eines stärkeren Bezugs zu Gegenwartsthemen und dem Lehrplan. Sehr relevant für die Audience-Development-Strategie von ausserschulischen Lernorten sind aber auch die sogenannten Facilitators.
Was sind Facilitators und weshalb sind sie so wichtig?
Facilitators sind Besucher:innen, die nicht ausschliesslich aus Eigeninteresse kommen, sondern für die es das Hauptbesuchsmotiv ist, anderen den Zugang zu Wissen, Kultur oder neuen Erfahrungen zu ermöglichen. Dies sind häufig Lehrpersonen, aber auch Eltern und Grosseltern zählen zu dieser Zielgruppe. Um ihr Besuchserlebnis zu verbessern, lohnt es sich für Kulturinstitutionen, einen Blick auf ihre «Visitor Journey» – also ihre Besucherreise – zu werfen. Für Lehrpersonen etwa kann das Besuchserlebnis durch die gezielte Unterstützung bei der Verknüpfung des Klassenbesuchs mit dem Regelunterricht verbessert werden. Lehrpersonen und letztlich auch Schulleitungen, die die finanzielle Entscheidungsbefugnis über das jährliche Exkursionsbudget tragen, sind wichtige Schlüsselpersonen zur Erreichung des jungen Publikums. Für die Zielgruppe der Schüler:innen sollte der Aufbau von Schulpartnerschaften, die Pflege des Netzwerks und die gezielte Einbeziehung der Bedürfnisse von Facilitators daher in der Audience-Development-Strategie mitgedacht werden.