Im vergangenen Schuljahr durften aufgrund des Lehrpersonenmangels auch Personen ohne Lehrdiplom an Volksschulen unterrichten. Die PH Zürich hatte dazu fakultative Unterstützungsangebote und anschliessend ein neues Aufnahmeverfahren entwickelt. Rund 50 Personen erhielten nun auf diesem Weg die Zulassung zum Studium.
An den Volksschulen des Kantons Zürich unterrichteten im Schuljahr 2022/23 530 Personen ohne Lehrdiplom. Viele von ihnen brachten pädagogische Erfahrung mit, beispielsweise als Klassenassistent:in oder Kita-Mitarbeiter:in. Aber eine Ausbildung zur Lehrperson beziehungsweise das Lehrdiplom fehlte. Unterstützungsangebote inklusive einer Einführungswoche sollten den Einstieg in den Schulalltag erleichtern.
Doch welches Grundlagenwissen benötigen Lehrpersonen ohne Diplom am dringendsten? Und welche Inhalte lassen sich realistischerweise in nur einer Woche vermitteln? Diese Fragen standen am Anfang der Entwicklungsarbeiten. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Silja Rüedi, Prorektorin Ausbildung, konkretisierte dies und Susanna Komenda, Bereichsleiterin Primarstufe, entwickelte ein Konzept für eine Kompaktwoche. «Der Zeitdruck war gross, doch die sehr konstruktive Teamarbeit mit vielen Beteiligten war eine positive Erfahrung», meint sie rückblickend. Für Susanna Komenda ist klar, dass die PH Zürich mit diesem temporären und niederschwelligen Angebot gesellschaftliche Verantwortung in einer akuten Situation des Lehrpersonenmangels wahrnimmt. «Meine zentrale Erkenntnis ist, dass die Personen ohne Lehrdiplom vielfältige berufliche und nichtberufliche pädagogische Erfahrungen mitbringen, die eine sehr gute Grundlage bieten, um als Lehrperson erfolgreich zu sein. Ihnen ist in der Regel sehr bewusst, dass ihnen die didaktische Ausbildung fehlt und dass das Nachholen eines Lehrdiploms mit grossem Aufwand verbunden ist.»
Bislang sind fünf Kompaktwochen durchgeführt worden, alle im vergangenen Jahr. Der Schwerpunkt des Angebots liegt auf der Vermittlung fachdidaktischer Impulse sowie grundlegender rechtlicher, organisatorischer und pädagogischer Rahmenbedingungen an kantonalzürcherischen Volksschulen. Auch ein zweites Unterstützungsangebot, Gruppencoachings, wird gerne genutzt. In diesem Setting lassen sich seit September 2022 Lehrpersonen ohne Diplom begleiten und beraten.
Ein neuer Weg ins reguläre Studium
Was im Sommer 2022 ebenfalls drängte, war ein zusätzliches Aufnahmeverfahren für Personen ohne Lehrdiplom. Das Volksschulamt hatte deren Anstellungen auf ein Jahr begrenzt und ihre weitere Lehrtätigkeit an die Bedingung geknüpft, dass sie sich für eine reguläre Ausbildung an der PH Zürich einschreiben. Doch die bislang vorhandenen Wege an die Pädagogische Hochschule – direkte Zulassung oder Aufnahmeprüfung – passten nur teilweise. Viele der Personen ohne Lehrdiplom brachten eine dreijährige Ausbildung auf Sekundarstufe II und einige Jahre Berufserfahrung mit. Damit war die direkte Zulassung in ein Studium nicht möglich. Und die für eine Aufnahmeprüfung notwendige Vorbereitung liess sich nicht genügend mit der beruflichen Tätigkeit vereinbaren. Mitte Juni 2022 erteilte die Bildungsdirektion daher der PH Zürich den Auftrag, ein sogenanntes Sur-dossier-Aufnahmeverfahren zu entwickeln. Es sollte Personen ohne Lehrdiplom, die über 30 Jahre alt sind, einen zusätzlichen Zugang zur PH Zürich bieten und ihre Studierfähigkeit anders als mit einer fachlichen Aufnahmeprüfung testen.
Konzept in wenigen Wochen entwickelt
Rückblickend sagt Fabian Camenzind, Leiter des Bereichs Zulassung und Studieninformation der PH Zürich und federführend in der Entwicklung des neuen Aufnahmeverfahrens: «Der Zeitplan war ambitiös. Wir konzipierten das Sur-dossier-Aufnahmeverfahren binnen weniger Wochen.»
Fabian Camenzind stellte dazu ein Team zusammen, das die erforderliche Rechtsgrundlage erarbeitete, die Online-Anmeldung programmierte, die Kommunikation unterstützte und ein Verfahren mit Dossiers, Dossierbeurteilung, Kolloquium und Kolloquiumsbeurteilung entwickelte und auch durchführte. Teil des Entwicklungsteams war auch ein Mitarbeiter des Instituts Unterstrass.
Bereits im Oktober konnte das Volksschulamt die in den Volksschulen unterrichtenden Lehrpersonen ohne Diplom über das neue Aufnahmeverfahren informieren und ihnen damit eine langfristige Perspektive im Lehrberuf bieten. Im November 2022 und im Januar 2023 besuchten insgesamt 145 Personen die beiden Informationsanlässe. Ein halbes Jahr später stand fest: 89 Personen hatten sich für das erste Aufnahmeverfahren sur dossier angemeldet. 70 erfüllten die Zulassungsbedingungen zum Verfahren. 66 davon hatten ein Dossier erstellt, das dazu diente, ihre Studierfähigkeit zu überprüfen, ihre überfachlichen Kompetenzen darzulegen und ihre Motivation für den Lehrberuf aufzuzeigen. Und sie nahmen an einem Kolloquium teil, das anhand einer Textanalyse, einer Präsentation sowie eines standardisierten Interviews nochmals der Überprüfung ihrer Studierfähigkeit diente. 48 Personen haben das Verfahren letztendlich erfolgreich durchlaufen und können nun ihr Studium an der PH Zürich starten. Die meisten von ihnen haben sich für das Teilzeitstudium Kindergarten- und Unterstufe angemeldet.
Auch im neuen Schuljahr mangelt es im Kanton Zürich an Lehrpersonen. Die Bildungsdirektion hat deshalb die Ausnahmeregelung bei der Anstellung für Lehrpersonen um ein Jahr verlängert. Damit bietet die PH Zürich weiterhin Kompaktkurse, Gruppencoachings und das Sur-dossier-Aufnahmeverfahren für Lehrpersonen ohne Diplom an. Zudem unterstützt eine neue Online-Vorkursvariante der Kantonalen Maturitätsschule (KME) exklusiv für Personen ohne Lehrdiplom jene, die sich auf die reguläre Aufnahmeprüfung vorbereiten möchten. Dank des Online-Formats lassen sich die berufliche Tätigkeit und die Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung vereinbaren. Der erste Online-Vorkurs startet diesen Sommer und dauert ein Jahr.