Ausserschulische Lernorte können anregende und erfahrungsreiche Bildungsprozesse anstossen. Die Interaktivität und die Abwechslung zur Wissensvermittlung im Klassenzimmer können den Lernerfolg positiv beeinflussen.

«Jedes Schulhaus ist umgeben von unzähligen ausserschulischen Lernorten», sagt Lukas Richli, Dozent im Bereich Didaktiken Natur- und Gesellschaftswissenschaften an der PH Zürich. «Sachverhalte, die in ihrer ursprünglichen Situation eingebettet sind, bieten hierfür dankbare Herangehensweisen an», ergänzt der Fachdidaktiker und plädiert für den regelmässigen Besuch von ausserschulischen Lernorten, die sich im nächsten Umfeld der Schüler:innen befinden. Denn direkte Begegnungen mit Orten und Menschen setzten aktive Lernprozesse in Gang. Für den Unterricht im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) böten sich diesbezüglich unzählige Möglichkeiten – der Bach hinter dem Schulhaus, das Alters- und Pflegeheim im Quartier oder der nächste Dorfplatz. «Überall lassen sich reale Prozesse beobachten und vielfältige Erfahrungen machen, die im Klassenzimmer nicht möglich sind», sagt Lukas Richli und betont die Wichtigkeit, dass Kinder und Jugendliche Fragen an die eigene Umwelt stellen und diese – im besten Fall – in Zusammenhang mit gelernten Inhalten beantworten können. Dies gelte auch für Lerngegenstände, die in Museen oder Lehrpfaden kontextualisiert und in künstlicher Umgebung vorlägen. Meist seien diese hervorragend aufbereitet und mit spannendem Begleitmaterial angereichert.
Als Mentor begleitet der ehemalige Primarlehrer und Fachdidaktiker Studierende der PH Zürich in der Berufspraxis und merkt, dass viele angehende Lehrpersonen sich von den Anforderungen an den Besuch eines ausserschulischen Lernorts verunsichert fühlen oder den Aufwand scheuen. Denn neben fachlichen Inhalten gilt es, beim Besuch eines ausserschulischen Lernorts viele Faktoren zu bedenken. Natürlich müsse ausserschulisches Lernen gut geplant, didaktisch eingebettet und kompetent begleitet werden, bestätigt Richli und ergänzt: «Zudem akzentuieren sich wie bei jedem Ausflug die Anforderungen an die Klassenführung. Auch hier sind Struktur und Klarheit der Aufgabenstellung an die Lernenden relevant für den Erfolg.»
Kognitive und affektive Effekte
Fachdidaktiker:innen sind sich einig, dass ausserschulisches Lernen relevant für den nachhaltigen Schulerfolg sein kann. Dem Lernen an ausserschulischen Lernorten werden positive Wirkungen auf kognitiver und affektiver Ebene zugeschrieben, dies wurde empirisch mehrfach belegt. Dennoch betrachten Lehrpersonen den Besuch eines solchen Orts teilweise eher als unterhaltsamen Ausflug am Ende eines Schuljahres denn als gut geplante Lernerfahrung, auf die sie ihre professionelle Kompetenz anwenden müssen. «Doch gerade um das Potenzial lernförderlich auszuschöpfen, ist die Professionalität einer Lehrperson entscheidend», gibt Lukas Richli zu bedenken. Er sieht es als Chance, dass ausserschulische Lernorte das Interesse der Schüler:innen auf verschiedenen Ebenen wecken können – durch ihre Authentizität, wie etwa die sinnliche Erfahrung in einem Wald, durch ihre anregende Gestaltung, beispielsweise auf einem interaktiven Lehrpfad, oder durch die Möglichkeit, selbstbestimmte Lernerfahrungen zu machen, wie dies in vielen Science Centern möglich ist.

Im Schulhaus können Lernende durch die räumliche Begrenzung und eingeschränkte Methodenvielfalt nur zu gewissen Teilen persönliche Erfahrungen sammeln. Das Lernen über direkte Begegnungen mit Orten und Menschen hingegen ist über ausserschulische Lernorte möglich, so Lukas Richli. Zudem könnten Kompetenzen im überfachlichen Sinn erworben werden – etwa Selbstständigkeit, Neugierde entwickeln oder Fragen stellen. Auf der Website der PH Zürich werden in einem digitalen Verzeichnis laufend ausserschulische Lernorte zum Fachbereich NMG im Grossraum Zürich erfasst. Es handelt sich um ein Projekt der PH Zürich in Kooperation mit der Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation und Umweltbildung der ZHAW. Im Verzeichnis werden einerseits Lernorte gesammelt, die selbstständig besucht werden können (beispielsweise Museen, Naturzentren, Entsorgungsanlagen), und andererseits auch angeleitete Lernangebote, die an spezifischen Orten ausserhalb des Klassenzimmers durchgeführt werden müssen (wie ein Gewässer erkunden oder geführte Stadtrundgänge). Die im Verzeichnis erfassten Angebote erfüllen verschiedene Anforderungen: Der Lernort bietet didaktisch aufbereitete Lerngelegenheiten an und hat einen inhaltlichen Bezug zum Fachbereich NMG.
Chance für fächerübergreifenden Unterricht
Dozent Lukas Richli ist davon überzeugt, dass gerade die Abwechslung im Unterricht nachhaltig zum erfolgreichen Lerngewinn beiträgt. Im Klassenzimmer wird der Schulstoff als rekonstruierte Beschreibung der Realität vermittelt. Dies ist notwendig, um die komplexen Inhalte bedarfsgerecht an die Lernenden weiterzugeben und die Kompetenzen des Lehrplans zu erreichen. Hinzu kommt die vorwiegend nach einzelnen Fächern getrennte Struktur des Stundenplans. Dahingegen kann der ausserschulische Lernort gerade auch eine Chance für fächerübergreifenden Unterricht bieten, da er vielfältige Zugänge ermöglicht.
Der fächerübergreifende Unterricht geht grundsätzlich problemorientiert vor, ohne sich durch starre Fächergrenzen einengen zu lassen. Er folgt damit der Überzeugung, dass eine Fragestellung an sich das Interesse der Lernenden weckt. Die Frage, ob sich das Thema einem bestimmten Fach zuordnen lässt, ist dabei häufig zweitrangig. Vor diesem Hintergrund bieten ausserschulische Lernorte besondere Potenziale. Der Besuch einer Kirche kann gleichermassen Fragen zur Geschichte ihrer Entstehung, zur religiösen Bedeutung bestimmter Merkmale oder auch Fragen der Architektur aufwerfen. Es öffnen sich also mindestens drei Fächerperspektiven: Geschichtswissenschaften, Religion und Mathematik.

Die Herausforderungen des fächerübergreifenden Lernens, die sich für die Lehrperson ergeben, die nicht in allen Unterrichtsfächern studiert hat, lassen sich an ausserschulischen Lernorten durch deren Angebote zum Teil kompensieren, wenn etwa Informationstexte zur Verfügung gestellt werden, die der Lehrperson beispielsweise einen Schnellkurs im Goldenen Schnitt eines Kirchenschiffs ermöglichen. Dabei ist es wesentlich zu erinnern, dass es niederschwellig um einen fächerübergreifenden Unterricht geht und nicht um einen fächerverbindenden, in dem die spezialisierten Lehrpersonen der Einzelfächer kooperieren müssen. Der fächerübergreifende Unterricht soll vielmehr die Neugier wecken, auch weitere Perspektiven zu erforschen und allenfalls mit einer weiteren Lehrperson denselben Lernort noch einmal aufzusuchen. Durch ausserschulische Lernorte kann der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen erhöht werden, da sie in einer Umgebung Erfahrungen sammeln, die sich in der Schule nicht oder nur schwer vermitteln lassen. So entstehen Möglichkeiten zum Vertiefen von gelerntem Schulstoff, aber auch zusätzliche Lerngelegenheiten – etwa für schulverdrossene Schüler:innen. Die Lernbereitschaft ist ausserhalb der gewohnten Lernumgebung unbewusst oftmals ausgeprägter als im Klassenzimmer in der Schule.
Auch im Lehrplan 21 werden ausserschulische Lernorte – und somit die Verbindung von Lernen innerhalb und ausserhalb der Schule – als zentrale Erfahrung bezeichnet. Da manches nur ausserhalb der Schule sicht- und erlebbar ist, sei es wichtig, ausserschulische Lerngelegenheiten im Unterricht zugänglich zu machen und die Erfahrungen der Schüler:innen mit ihrer Umwelt in den Unterricht zu integrieren, ist im Lehrplan 21 verankert. Dabei würden entdeckende, forschende und problembezogene Zugangsweisen für die Erschliessung im Vordergrund stehen.
Verknüpfung mit dem Regelunterricht
Wie die Besuche ausserschulischer Lernorte wirksam in den Naturwissenschaftsunterricht eingebunden werden können, wird derzeit in einem Forschungsprojekt unter der Leitung von Markus Emden, Professor für Didaktik Naturwissenschaften an der PH Zürich, untersucht. Als Projektpartner konnte das Swiss Science Center Technorama in Winterthur gewonnen werden, die fachdidaktische Entwicklung und Durchführung des Projekts wird vom ZHAW Zentrum für Kulturmanagement und vom ZHAW Institut für Marketing Management wissenschaftlich begleitet.

«Auch um das Interesse an MINT-Berufen zu steigern, ist der naturwissenschaftliche Unterricht in den letzten Jahrzehnten deutlich erlebnisbasierter geworden», führt Markus Emden aus. Die Schaffung von sogenannten Schülerlaboren sei eine Entwicklung, die diesem Umstand Rechnung trage. Dabei stehe klar die Interessenförderung an naturwissenschaftlichen Phänomenen im Vordergrund. Der Besuch in einem attraktiven Schülerlabor sei aber nur der erste Schritt hierzu. Um schliesslich das geweckte Interesse zu transferieren und zu stabilisieren, ist aus der Sicht des Fachdidaktikers das nachhaltige Einbinden der Inhalte in den Klassenunterricht zwingend. Die Kompetenz, dies lernförderlich zu tun, erfordere viel fachdidaktisches Know-how, so Markus Emden, zu dessen Forschungsschwerpunkten die naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung gehört. Neben Schülerlaboren bieten externe ausserschulische Lernorte wie das Swiss Science Center Technorama hervorragende Ergänzungen. Markus Emden betont: «Ein Besuch im Technorama ist ein Muss für den naturwissenschaftlichen Unterricht.» Für einen nachhaltigen Besuch im Swiss Science Center hat die Projektgruppe für die Lehrpersonen denn auch ein entsprechendes Merkblatt mit «take home – 5 Dos und 5 Don’ts» verfasst (siehe Ende der Seite).
Im Rahmen des Projekts «Verknüpfung ausserschulischen Lernens mit dem Regelunterricht» wird ein Weiterbildungsformat für Lehrpersonen entwickelt, das sie befähigen soll, Besuche in komplexen Ausstellungen so vorzubereiten und zu arrangieren, dass sie Wirksamkeit im Unterricht zeigen. Die PH Zürich konzipiert hierfür gemeinsam mit dem Swiss Science Center Technorama mehrere Testzyklen für Lehrpersonen und ihre Schulklassen. Das vom Bund über Swissuniversities mit projektgebundenen Beiträgen (PgB) unterstützte Forschungsprojekt ist auf vier Jahre ausgerichtet und bis 2024 finanziert. Im Rahmen dieser PgB-Beiträge werden innovative Programme und Projekte unterstützt, die von gesamtschweizerischer hochschulpolitischer Bedeutung sind. «Die erarbeiteten Projektergebnisse sollen denn auch als eine Art Werkzeugkiste auf andere ausserschulische Lernorte adaptierbar sein und im nationalen Netzwerk MINT-Bildung zur Verfügung gestellt werden», erklärt der Chemiedidaktiker. Aufgrund des ausgeprägten Fachkräftemangels in Berufen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund sind die Ergebnisse des Projekts von nationaler Bedeutung.
Interaktivität fördert Bildungserwerb
Ähnliche Science Center wie das Technorama in Winterthur sind in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern entstanden. Die meisten orientieren sich am Exploratorium in San Francisco, das 1969 gegründet wurde und in vielen Bereichen auch heute Massstäbe setzt. Die Ausstellungsstücke sind interaktiv ausgelegt und fordern damit zur spielerischen Auseinandersetzung mit der Thematik auf. Diese Interaktivität ist besonders für den Bildungserwerb bei Kindern und Jugendlichen geeignet. Auch das Team um Markus Emden lässt sich vom Exploratorium inspirieren. So hat es etwa den Ansatz der «juicy questions – how to Exploratorium» übernommen. Ein Besuch in einem Science Center soll «saftige» Fragen auslösen, dies sieht der Chemiedidaktiker ebenso. Hierbei sollen sich die Schüler:innen in mehreren Schritten einem Exponat annähern. Durch die spielerische Herangehensweise, die in vielen Science Centern im Vordergrund steht, sollen sich Fragen auftun und die Neugierde geweckt werden. Wie funktioniert etwas und warum? Diesen Fragen wird in Gruppen oder einzeln nachgegangen und die Ergebnisse sollen schliesslich in der Klasse geteilt werden. «Der erste unmittelbare Erlebenskontakt mit einem Phänomen, diese Primärerfahrung ist sehr wichtig für den Lernprozess», ist Markus Emden überzeugt. Und gerade die Erfahrung in jungen Jahren könne dabei sehr prägend sein. Er plädiert deshalb für einen möglichst frühen Kontakt mit naturwissenschaftlichen Themen, wie dies unterdessen im Fach NMG ermöglicht wird. «Im besten Fall bringen die Lernenden dann richtig viel Neugier mit, wenn in der Pubertät die Schulfächer Physik, Chemie oder Biologie auf dem Stundenplan stehen», so der Fachdidaktiker.
Markus Emden ist sich sicher, dass neben inhaltlichen Impulsen, die sehr bereichernd für das nachhaltige Interesse seien, Besuche an ausserschulischen Lernorten in vielerlei Hinblick einen Mehrwert böten: «Das Sozialgefüge einer Klasse profitiert stark, die Kinder und Jugendlichen erleben sich in einem anderen Kontext – und auch die Lehrperson lernt die eigene Klasse besser kennen.» Auch wisse man als Fachdidaktiker um die relevanten Faktoren, die Lernmotivation entscheidend beeinflussen, nämlich das Erleben der eigenen Kompetenz, Selbstbestimmung und soziale Eingebundenheit – Bereiche also, die mit einem Besuch an einem ausserschulischen Lernort hervorragend abgedeckt werden können.