Beni Huggel hat als Fussballer an Europa- und Weltmeisterschaften gespielt, war Schweizer Meister und Cupsieger und wurde 2010 zum Fussballer des Jahres gewählt. Nun vernetzt er ehemalige Profi-Sportler:innen mit der Arbeitswelt und setzt dabei auf ihre transferierbaren Life Skills.
Beni Huggel, 2012 sind Sie aus dem Profi-Fussball zurückgetreten. Was haben Sie nach so einer Sportkarriere an Lebenskompetenzen mitgenommen?
Als Profi-Sportler aufzuhören ist selten ganz einfach. Jahrelang war ich in ein Team eingebunden – aber wenn man aufhört, steht man plötzlich allein da. Zuerst musste ich ein paar Dinge ausprobieren, um heute am richtigen Ort zu sein. Auch musste mir zuerst klar werden, dass man, wenn man jahrelang Leistung auf höchstem Niveau erbracht hat, viele Kompetenzen mitbringt – so etwa Disziplin, Widerstandsfähigkeit und eine klare Fokussierung auf ein Ziel.
Trotzdem haben viele Sportler:innen nach ihrer Profi-Karriere Mühe, im Arbeitsleben Fuss zu fassen. Wie verlief der Neustart bei Ihnen?
Nach meinem Rücktritt sah ich meine Zukunft als Fussballtrainer, auch wurde ich von meinem Umfeld dazu ermutigt, diesen Weg zu gehen, und so bildete ich mich in Magglingen zum Fussballtrainer aus. Doch nach etwas mehr als drei Jahren merkte ich, dass dies nicht mein Weg war. Ich spürte nicht die gleiche Leidenschaft wie als Spieler. Teils bekundete ich auch Mühe mit Spielern, die sich lernunwillig zeigten. Dazu kam, dass ich für eine Trainierkarriere wohl ins Ausland hätte ziehen müssen. Dies wollte ich meiner Frau nicht zumuten, nachdem sie jahrelang für meine Fussballkarriere auf vieles verzichtet hatte.
Kann man denn nach einer Profi-Karriere nochmals das gleiche Feuer für eine andere Tätigkeit entwickeln?
Für die ersten Jahre nach meiner Sportlerkarriere muss ich dies leider verneinen. Aber jetzt habe ich mein Feuer wieder gefunden. Deshalb sage ich klar Ja, auf jeden Fall kann ein:e ehemalige:r Profi-Sportler:in für eine neue Aufgabe nochmals den gleichen Biss entwickeln.
Sie haben vor Ihrer Profi-Sportkarriere eine Berufslehre gemacht. Eine Rückkehr in Ihren erlernten Beruf war kein Thema?
Das sah ich nicht als Option, auch wenn ich die Lehrzeit rückblickend als Bereicherung empfinde. Die Berufslehre als Landschaftsgärtner war für mich vor allem nach meinem behüteten Aufwachsen in meinem Elternhaus eine komplett neue Erfahrung. Plötzlich musste ich einfach ausführen, was mein Lehrmeister mir auftrug. Es wurde nicht gross gefragt, ob mir etwas zusagt, es musste gemacht werden, Punkt. Vielleicht hat mir diese Erfahrung geholfen, meine Widerstandsfähigkeit zu festigen.
Wie ging es nach Ihrer Zeit als Fussballtrainer beruflich weiter?
Zuerst streckte ich meine Fühler in verschiedene Richtungen aus, um abzuwägen, was das Richtige für mich sein könnte. In dieser Zeit absolvierte ich einen CAS in Betriebswirtschaft an der FHNW und trat vermehrt als Referent auf. Mit einem professionellen Speaker-Training habe ich damals angefangen, meine Sportgeschichten in Businesskontexte zu übersetzen – etwa wie ich als Profi-Spieler von der guten Führung eines Trainers profitiert habe oder dass der Umgang mit Veränderungen zu einer Karriere gehört.
Sie haben also Ihre Erfahrungen aus Ihrem Fussballerleben mit gutem Storytelling in die Arbeitswelt transferiert.
Viele Erfahrungen aus dem Sport lassen sich in einem anderen Kontext nutzen. Diese Skills für einen potenziellen Arbeitgeber aufzubereiten, gehört zu guter Selbstvermarktung. Aber es muss einen Match geben, die Kompetenzen müssen auch gezeigt werden können. Dazu braucht es meist einen Extra-Effort und manche Sportler:innen brauchen mehr Unterstützung als andere. Dies ist ja auch bei jungen Menschen in der Schule nicht unähnlich. Es braucht gute Lehrpersonen, die die Kinder und Jugendlichen unterstützen und ihnen Raum für Entwicklung geben.
Was sind heute Ihre beruflichen Schwerpunkte, woran haben Sie Feuer gefangen?
Gemeinsam mit Severin Blindenbacher, Niels Hintermann und Dave Heiniger habe ich 2020 Athletes Network gegründet. Wir vernetzen Athlet:innen mit der Wirtschaft. Zum einen vermitteln wir sie als Referent:innen, zum anderen sind wir aber auch so etwas wie eine Stellenvermittlung für ehemalige Profi-Sportler:innen. Wir sind überzeugt, dass Sportler:innen ein Mindset mitbringen, das für jedes Unternehmen attraktiv ist. Selbst wenn bei gewissen Sportler:innen ein Teil der Ausbildung und häufig die Berufserfahrung fehlt.
Was meinen Sie mit diesem Mindset, was bringt dies einem potenziellen Arbeitgeber?
Ehemalige Profi-Sportler:innen haben eine andere Herangehensweise an die an sie gestellten Aufgaben. So ist die Eigenmotivation ausserordentlich hoch und das Ziel steht immer im Fokus. Ein wichtiges Stichwort für die Arbeitswelt ist auch die Teamfähigkeit, selbst Einzelsportler:innen sind teamorientiert und wissen, wann sie sich zurücknehmen müssen. Und nicht zuletzt lernt man im Sportlerleben mit Niederlagen umzugehen, nach einem Rückschlag wieder aufzustehen und weiterzumachen. Das sind Lebenskompetenzen, die in die Arbeitswelt transferiert werden können.
Dies sind zu einem grossen Teil die Life Skills, die die WHO für ein erfolgreiches Leben definiert.
Genau, ein gutes Selbstkonzept, Handlungsplanung anhand gesteckter Ziele, Kooperation und Teamgeist sowie auch Selbstbehauptung bei Nichterfolg und die Fähigkeit, Stress mithilfe von Bewältigungsstrategien zu regulieren, sind Skills, die sich Spitzensportler:innen während ihrer Karriere erarbeiten müssen. Gerade die mentale Stärke ist im Sport entscheidend. Wer Erfolg haben will, muss bedingungslos an die eigenen Stärken glauben und auf seine Fähigkeiten vertrauen.
Sehen Sie diese Lebenskompetenzen auch im Breitensport?
Auf jeden Fall, wenn vielleicht auch weniger zielfokussiert. Neben den gesundheitsfördernden Elementen, die Sport mit sich bringt – zumindest, wenn man ihn moderat betreibt –, sehe ich persönlich Sport vor allem bei jungen Menschen als äusserst wichtiges Präventionsinstrument. Jugendliche, die sich bewegen, kommen weniger auf dumme Gedanken und können ihr Hirn aus dem heute omnipräsenten Social-Media-Feed ausklinken. Zudem ermöglicht Sport Freundschaften zu Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Nirgends treffen Akademiker:innen so unkompliziert auf Arbeiter:innen und Schweizer:innen so unvoreingenommen auf Menschen mit Migrationsgeschichte und umgekehrt.
Demnach haben sportliche Kinder einen Vorteil im Leben?
Durchaus, gerade bei Stress in der Schule und den steigenden Leistungsansprüchen in der Gesellschaft kann Sport sehr hilfreich sein. Ein sportliches Kind hat ein gutes Körpergefühl, weiss, dass es kontinuierliches Training benötigt, um Leistungen zu erbringen und Ziele zu erreichen. Es durchlebt Erfolgserlebnisse und Niederlagen in der Gruppe und fühlt sich integriert in ein Team. Dies sind Erfahrungen und erworbene Kompetenzen, die in verschiedenen Lebensbereichen einen Vorteil bringen. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum beispielsweise der Vereinssport nicht stärker unterstützt wird.
Sie sehen Vereine also als Lebensschule, die aber selbst Unterstützung bräuchte?
Leider ist das so, in den meisten Vereinen wird sehr viel Freiwilligenarbeit geleistet. Trainer:innen sparen sich den Einsatz irgendwo zwischen Arbeitstätigkeit und Freizeit ab und werden dafür kaum entlöhnt. Die meisten Vereine haben zu wenig Trainer:innen und müssen um Infrastruktur und Finanzen kämpfen. Dabei leisten Sportclubs und auch andere Vereine ein enormes Verdienst für die Gesellschaft. Neben den erwähnten Lebenskompetenzen sind sie beispielsweise unersetzbar als Begegnungsort für verschiedene Bevölkerungsschichten, da bringt kein Integrationsprogramm mehr. Auf dem Fussballplatz interessiert nicht, welche Muttersprache jemand spricht – einzig das Spiel zählt.