
Die Wege in die Schule haben sich durch breitere Zugangsmöglichkeiten und alternative Studienmodelle vervielfältigt. Das Ziel heisst nicht nur, mehr Lehrpersonen auszubilden, sondern die richtigen. Das gilt auch für Schulleitungen.
Eine Lehrperson mit schwachen Leistungen während der eigenen Schulzeit – das gab es früher wohl eher selten. Denn der Weg in den Lehrberuf an der Volksschule führte bis zur Gründung der Pädagogischen Hochschulen über das Lehrer:innenseminar oder für die höheren Anspruchsniveaus auf Sekundarstufe über die Ausbildung an der Universität. Und dorthin kam man gewöhnlich jung und zu einem Zeitpunkt, in dem der «Knopf» bei manchen noch nicht aufgegangen war. Heute studieren an den Pädagogischen Hochschulen wie an anderen Hochschulen zahlreiche sogenannte non-traditional students, die ihr Studium nicht anschliessend ans Gymnasium aufnehmen, sondern Berufserfahrung oder bereits einen Studienabschluss mitbringen. Das hat mit der Auflösung traditioneller Berufsbiografien zu tun – dass man den ersten Beruf kaum mehr ein Leben lang ausübt –, aber ebenso mit einer starken Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten zum Studium.

Carolyn Werthmüller, Studentin Kindergarten- und Unterstufe
«Wir haben heute zahlreiche Studierende, die früher nicht Lehrperson geworden wären, weil die Hürden zu hoch waren», sagt Christine Neresheimer, die an der PH Zürich die Abteilung Primar leitet. So habe heute im Regelstudium auf der Primarstufe nur rund ein Drittel der Studierenden das Gymnasium absolviert. Ein weiterer Drittel hat beispielsweise eine Berufslehre absolviert und gelangt über die Passerelle an die PH Zürich und ein Drittel über die 2013 im Kanton Zürich eingeführte Fachmaturität Pädagogik, die Schülerinnen und Schüler der Fachmittelschule (FMS) mit dem Profil Pädagogik nach einem Zusatzjahr erwerben können. «Unter den Studierenden, die nicht mit einer gymnasialen Matura an die PH Zürich kommen, gibt es auch solche mit schwierigen Schulkarrieren, die sich sagen: ‹So, wie es mir damals ging in der Schule, soll es meinen Schülerinnen und Schülern einmal nicht gehen›», sagt Neresheimer und fügt an, dass gerade diese Studierenden oftmals besonders motiviert seien.
Zusätzlich hat sich mit alternativen Studienmodellen der Pool von Personen, die sich für ein Studium an der PH Zürich entscheiden, laufend erweitert. Dazu gehören die Möglichkeit, Teilzeit zu studieren, oder der 2011 eingeführte Studiengang für Quereinsteigende (Quest) mit Bachelorabschluss und Berufserfahrung, die bereits während des Studiums in den Beruf einsteigen. Nun sollen auch Regelstudierende an der PH Zürich auf der Kindergarten- und Unterstufe sowie auf der Primarstufe einen solchen berufsintegrierten Weg durchlaufen können. Dabei handelt es sich nicht um eine Studienvariante, die zu Beginn des Studiums gewählt wird. Vielmehr sollen die Studierenden nach den ersten zwei Jahren entscheiden können, ob sie die restlichen Studienleistungen weiterhin im Vollzeitstudium absolvieren möchten oder Teilzeit, begleitend zu einer Anstellung an einer Schule. Diese Variante soll ab 2024 möglich sein, aktuell laufen dazu erste Erprobungen. Auf der Sekundarstufe I ist ein Teilzeitstudium erst ab Masterstufe möglich.
Neue Gruppen erreichen
Der Quest-Studiengang wurde als Antwort auf einen akuten Lehrpersonenmangel konzipiert. Die aktuelle Erprobung für einen Soforteinstieg in den Beruf nach zwei Jahren fällt ebenfalls in eine Zeit des Lehrpersonenmangels. Die zunehmende Flexibilisierung der Studiengänge zielt gemäss Neresheimer allerdings nicht bloss darauf ab, noch mehr Lehrpersonen auszubilden. «Unser Ziel ist es, die Bildungsangebote so vielfältig wie möglich zu gestalten, damit alle Studierenden den für sie passenden Weg finden», so Neresheimer. Wenn durch individualisierte Angebote zusätzliche Gruppen erreicht werden könnten, steige zudem die Chance, dass diejenigen Personen ausgebildet würden, die wirklich am Lehrberuf interessiert und für diesen geeignet seien, erklärt sie. Auch gezielte Angebote in der Vorbildung wie das Profil Pädagogik an der FMS oder das Gymnasialprofil «Philosophie/Pädagogik/Psychologie», das im Kanton Zürich auf das Schuljahr 2024/2025 eingeführt wird, könnten dazu beitragen, zusätzliche Personen mit einem Interesse für Pädagogik für die Ausbildung zur Lehrer:in zu gewinnen.

Lars Bollhalder, Schulleiter Schule Leutschenbach
Um den steigenden Bedarf an Lehrpersonen langfristig decken zu können, dürfen gemäss Neresheimer jedoch auf keinen Fall Abstriche bei der Qualität der Ausbildung gemacht werden. «Eine hohe Qualität der Ausbildung steigert die Attraktivität des Lehrberufs und ist somit Teil einer nachhaltigen Ausbildungsstrategie», sagt Neresheimer. So habe die Tertiarisierung der Lehrpersonenausbildung
stark zur Attraktivität des Lehrberufs beigetragen. Dass die Qualität der Ausbildung nicht beeinträchtigt werden darf, gilt auch für die aktuelle Situation, in der Personen, die ohne Lehrdiplom an einer Schule unterrichten und keine Matura haben, eine neue Zugangsmöglichkeit zum Studium erhalten. So prüft die PH Zürich mit einem Aufnahmeverfahren «sur dossier» die Studierfähigkeit dieser Interessent:innen. Die zunehmende Heterogenität der Studierenden ist jedoch durchaus mit neuen Herausforderungen in der Ausbildung verbunden. So investiert die PH Zürich heute vermehrt in den Kompetenzaufbau einzelner Student:innen. Denn wie Neresheimer betont, entsprechen heute viele Studierende nicht mehr dem früheren Bild der Lehrperson als musisch und sprachlich begabte Allrounder:innen.
Ein sinnstiftender Beruf
Nicht nur die Wege in den Lehrberuf haben sich vervielfältigt. Auch das Berufsbild hat sich in den letzten Jahren vom Einzelkämpferjob hin zum Beruf mit einer starken Ausrichtung auf das Team gewandelt. Haben sich damit ebenso die Gründe, weshalb jemand Lehrperson werden will, verändert? Christine Bieri, die die Abteilung Sekundarstufe I der PH Zürich leitet und zu den Motiven für die Berufswahl von Lehrpersonen forschte, verneint: «Dass heute im Beruf mehr Teamarbeit und Teamfähigkeit gefordert sind, ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.» Der Lehrberuf ziehe deshalb nicht andere Leute an, so Bieri. Auch seien die Motive für die Berufswahl noch die gleichen wie früher. Zu diesen gehören das pädagogische Interesse, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, das Sinnstiftende des Lehrberufs, die mit den Anstellungsverhältnissen verbundene Sicherheit und die Möglichkeit, den Beruf mit Familienarbeit oder eigenen Interessen und Hobbys zu verbinden. Bei Sekundarlehrpersonen kommt zudem das Interesse am Fach als weiterer Grund für die Berufswahl dazu.
Die sicheren Anstellungsverhältnisse sind für viele Lehrpersonen zwar wichtig, in der Regel ist gemäss Bieri jedoch die intrinsische Motivation ausschlaggebend für den Berufswahlentscheid. Bei Quereinsteiger:innen ist der Entscheid für ein Studium an der PH Zürich bisweilen ebenso ein Entscheid für den Ausstieg aus einem prekären Berufsfeld. Doch bei den Quereinsteiger:innen spielt gemäss Bieri das Motiv der Sinnhaftigkeit noch eine wichtigere Rolle als bei den Regelstudierenden. «Viele kommen aus Berufen, die sie als wenig sinnstiftend erlebt haben», sagt Bieri. Zudem seien die meisten Quereinsteiger:innen mit gut 40 in einem Alter, in dem sich viele der Sinnfrage stellen und sich fragen, was sie in der zweiten Hälfte ihres Lebens machen möchten.
«Gerade weil der Entscheid für ein zweites Studium in diesem Alter riskant ist, ist er bei Quereinsteigenden oft besser abgestützt», sagt Bieri. Darauf deutet die Tatsache hin, dass der Männeranteil in den Quest-Studiengängen höher ist als im Regelstudium. So scheinen mit zunehmender Lebenserfahrung traditionelle Geschlechterrollen und gesellschaftliche Zuschreibungen in den Hintergrund zu rücken.

Natasha Bedo, Studentin auf der Primarstufe
Im Beruf bleiben
Im Hinblick auf den aktuell hohen Bedarf an Lehrpersonen ist nicht nur entscheidend, dass genügend Lehrpersonen ausgebildet werden, sondern dass diese längerfristig im Beruf bleiben – oder wieder zurückkommen. Für Lehrpersonen, die aus dem Beruf ausgestiegen sind und sich mit einem Wiedereinstieg auseinandersetzen, bietet die PH Zürich spezifische Beratungen an, in denen abgeklärt wird, welche Vorbereitungen dazu nötig sind. Zudem können Wiedereinsteiger:innen, die mindestens acht Jahre nicht unterrichtet haben, die Angebote der Berufseinführung, mit der die PH Zürich Berufseinsteiger:innen unterstützt, kostenlos nutzen.
Auch den Berufseinstieg von Regelstudierenden will die PH Zürich noch besser unterstützen, indem sie ihnen mit dem Modell der Kooperationsschulen einen umfassenderen Einblick in den späteren Berufsalltag ermöglicht. Künftig sollen Studierende nicht mehr Unterrichtspraktika an verschiedenen Schulen absolvieren, sondern für die Praktika an einer Kooperationsschule bleiben. Durch eine längere und engere Zusammenarbeit mit dem gesamten Schulteam erhalten die Studierenden Einblicke in wichtige Aufgabenbereiche neben dem Unterricht, so etwa im Bereich der Zusammenarbeit mit Eltern oder der Schulsozialarbeit. Damit sollen die Studierenden das komplexe System Schule umfassend kennenlernen und auf zentrale Aspekte des Lehrberufs neben dem eigentlichen Unterricht vorbereitet werden.
Die bisweilen geäusserte Befürchtung, wonach Berufseinsteiger:innen den Lehrberuf bald wieder verlassen, widerlegen aktuelle Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS). So waren 2022 fast 90 Prozent der Absolvent:innen der PH Zürich fünf Jahre nach ihrem Abschluss noch im Bereich Erziehung und Unterricht tätig. Ein weiterer Bericht des BfS zeigte zudem, dass in der Schweiz 90 Prozent der Lehrpersonen unter 55 Jahren, die 2015 an einer Schule angestellt waren, fünf Jahre später noch an einer Schule tätig waren.

Sabine Sturzenegger, Lehrerin im 2. Berufsjahr
«Ein Ausstieg aus dem Lehrberuf sollte jedoch nicht automatisch negativ bewertet werden», mahnt Christine Bieri. Wichtig sei, dass man die Gründe für den Ausstieg genau anschaue. «Wenn eine Lehrperson irgendwann merkt, dass der Beruf nicht mehr passt, ist es wichtig, dass sie tatsächlich wechselt», so Bieri. Genauso wichtig sei es, dass Laufbahnentscheide innerhalb des Bildungssystems zugelassen und unterstützt würden.
Schulleiter:in werden
Auch die Wege in eine Schulleitungsposition, den scheinbar auf der Hand liegenden Karriereschritt für Lehrpersonen, haben sich seit der flächendeckenden Einführung der geleiteten Schule verändert. «Anfangs wurde an vielen Schulen diejenige Lehrperson, die zuvor die inoffizielle Führung innehatte, Schulleiterin oder Schulleiter», sagt Ivo Kamm, Studiengangsleiter des Quereinstiegs Schulleitungen (QLS) an der PH Zürich. Generell sei der Nachwuchs für die Schulleitung häufig aus dem Lehrkörper rekrutiert worden, und zwar unter der Annahme, dass sehr gute Lehrpersonen auch gute Schulleiter oder Schulleiterinnen werden.
Doch zwischen diesen beiden Berufsbildern gibt es gemäss Kamm Unterschiede. «In einer Schulleitungsposition sind andere Kompetenzen als im Schulzimmer gefragt», so Kamm. Zu den Kompetenzen, die Lehrpersonen im Gegensatz zu Schulleiter:innen weniger brauchen, zählen etwa Management- und Leadershipkompetenzen: das Wissen, wie man Angestellte und eine ganze Organisation führt, Verhandlungsfähigkeiten oder eine Affinität für Rechtsfragen. «Das heisst keinesfalls, dass eine Lehrperson nicht eine sehr gute Schulleiterin werden kann», sagt Kamm. Doch gelte es bei der Besetzung von Schulleitungspositionen genauer hinzuschauen, welche Kompetenzen gefragt seien.
Umgekehrt bringt ein Kaltstart, den Quereinsteiger:innen in der Schulleitung bis anhin hinlegen mussten, auch Schwierigkeiten mit sich, da den Aussenstehenden zu Beginn das pädagogische Wissen und fundierte Kenntnisse des komplexen Systems Schule fehlen. Dies will die PH Zürich mit einem Aufbaustudium korrigieren, das sich an Personen mit Leadership- und Managementerfahrung richtet, die Interesse an einer Schulleitungsposition haben, aber noch keine solche innehaben, wie dies die reguläre Schulleitungsausbildung erfordert. Im einjährigen CAS Quereinstieg Schulleitung, der im Sommer 2021 lanciert wurde, werden die Teilnehmer:innen berufsbegleitend zu ihrer bestehenden Tätigkeit an das Schulfeld und pädagogische Aspekte der Schulleitungsfunktion herangeführt. So begleiten sie an einer Kooperationsschule beispielsweise die Schulleiterin bei einem Unterrichtsbesuch und lernen, wie sie guten Unterricht beobachten und Lehrpersonen Feedbacks geben können.

Lukas Bischofberger, Student auf der Sekundarstufe I im Quereinstieg
Der CAS wurde nicht nur entwickelt, um Quereinsteiger:innen einen besseren Start in einer Schulleitungsposition zu ermöglichen. Ziel des neuen Angebots ist ausserdem, kompetenten Personen mit Managementerfahrung überhaupt eine Einstiegsmöglichkeit in den Beruf zu bieten, nicht zuletzt im Hinblick auf eine drohende Mangelsituation. «Viele der bisherigen Teilnehmenden berichten, dass sie das Schulfeld schon lange interessierte, sie aber schlicht keinen Zugang fanden», sagt Kamm. Denn obwohl es seit der Einführung der geleiteten Schulen immer wieder Quereinsteiger:innen mit Leadership-, aber ohne Unterrichtserfahrung gab, seien viele von ihnen nur über persönliche Empfehlungen, das heisst über bereits bestehende Beziehungen zur Schule, in eine Schulleitungsposition gekommen.
Schulleiter:in bleiben
Bei Schulleitungen ist die Frage, ob und wie lange sie im Beruf und auf ihrer Stelle bleiben, noch gewichtiger als bei Lehrpersonen. Denn gemäss Kamm bringen häufige Wechsel in der Schulleitung grossen Stress mit sich – für die beteiligten Personen wie auch die Schule als gesamte Organisation. Das Aufbaujahr dient deshalb dazu, den Entscheid für oder gegen eine Schulleitungsposition besser abzustützen, zudem werden die Teilnehmer:innen stark für die Frage der Passung sensibilisiert. Wichtig sei ausserdem, dass auch Schulleitungen eine gute Begleitung brauchten und die Möglichkeit hätten, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. «In dieser Sandwichposition zwischen Behörden und Lehrpersonenteam steht man schnell einmal allein da», so Kamm.
Gemäss Ivo Kamm gibt es manchmal Skepsis gegenüber Schulleitungen ohne Unterrichtserfahrung, insbesondere wenn es um die Beurteilung der Lehrpersonen geht. Wichtig sei in diesem Fall, dass Lehrpersonen ihre Ängste ansprechen können und die Schulleitung transparent kommuniziere, was sie selbst könne und was sie sich noch nicht zutraue, so Kamm. Unabhängig davon, auf welchem Weg jemand in die Schulleitung komme, solle der Anspruch an sie nie sein, dass sie alles könne, sagt Kamm und fügt an: «Schliesslich leitet sie eine Expert:innen-Organisation.»