Anna-Tina Hess: «Weisch bim Surfe, da lernsch meh fürs Läbe als i villne Schuelstunde!», rief mir einmal ein Berufskollege vom Surfbrett aus zu, als wir beide auf gute Wellen warteten. Dann zählten wir abwechslungsweise auf: «Geduld», «Demut», … Weiter kamen wir nicht, denn die nächste Welle näherte sich uns und wir legten uns auf unsere Surfbretter, um sie noch rechtzeitig anpaddeln zu können. Wir erwischten sie beide nicht.
Mit Geduld und Demut hatten mein Kollege und ich zwei der vermutlich wichtigsten Dinge aber bereits aufgezählt. Surfen braucht aber auch Mut, die Fähigkeit, zu scheitern und nicht aufzugeben. Denn das Meer ist eine ebenso gnädige wie ungnädige Lehrperson. Streng und doch verständnisvoll, beharrlich und doch nachgiebig, sanft und doch bestimmt. Dass ich das ausgerechnet jetzt schreibe, ist kein Zufall. Ich schreibe diese Zeilen aus Costa Rica. Vor mir liegt der Dschungel, neben mir das Meer. Ich reise gerade durch Zentralamerika und lerne surfen. Gestern Morgen war ich zwei Stunden ununterbrochen im Wasser. Es war eine von bereits unzähligen hinter mir liegenden Surfsessions, die mich fragend zurückliessen: Was mache ich bloss falsch? Warum erwische ich diese verflixten Wellen nicht? Gerade eben hatte ich doch noch Fortschritte gemacht? Doch gestern saugten mich diese Wellen wieder an und klatschten mich kurz darauf ungnädig auf die Wasseroberfläche. Bei der heutigen Session habe ich dann die Antwort bekommen, die ich suchte: Sei geduldig und demütig. Ich werde mir genau das auch in Erinnerung rufen, wenn ich das nächste Mal wieder vor einer Klasse stehe.
Georg Gindely: Eigentlich hatte ich gedacht, nach dem Abschluss des Studiums würde alles ruhiger und gemütlicher werden. Ich hatte mich getäuscht: Das höhere Pensum, mehr Schulämter und meine neue Klasse sorgen dafür, dass meine Tage immer noch übervoll sind. Um in der Surfsprache zu bleiben: Eine Arbeitswelle nach der anderen rauscht auf mich zu. In meinem alten Beruf als Journalist hatte ich regelmässig Auszeiten. Meist folgten auf eine intensive Arbeitsphase einige freie Tage, in denen ich keine Gedanken an die Arbeit verschwendete. Das hat sich komplett geändert. Meine To-do-Listen sind endlos. Kaum ist eine Aufgabe abgearbeitet, sind bereits drei neue hinzugekommen. Richtige Auszeiten gibt es trotz der vielen Schulferienwochen nur selten. Das kann einen überfordern und kaputtmachen. Die grosse Kunst des Lehrerseins ist es denn auch, dass man die grossen Arbeitswellen ab und zu einfach mal vorbeirauschen lässt, sich auf dem Brett entspannt und nicht an die Schule denkt, sondern die Ruhe geniesst. Vielleicht ist dann etwas nicht erledigt, die nächste Lektion schlecht bis gar nicht vorbereitet, die Prüfung noch nicht korrigiert, das Elterngespräch aufgeschoben. Egal. Es surft sich deutlich besser durch den Schulalltag, wenn man sich kleine Auszeiten nimmt. Nur dann hat man wieder die Kraft, aufzustehen und eine der nächsten Wellen richtig gut zu erwischen. Und wenn ich diese Welle dann reite, dann weiss ich auch genau, weshalb ich diesen Beruf gewählt habe: Weil er so lebendig, vielfältig und abwechslungsreich ist wie fast nichts anderes. Auch wenn Surfen in Costa Rica besser klingt als RZG in Veltheim AG.