Von der PR-Beraterin zur Lehrerin zur Schulleiterin

Fotos: Niklaus Spoerri

Die diversen Erfahrungshintergründe im Team des Schulhauses Niederuster sind im Schulalltag eine Bereicherung. Auch Schulleiterin Cristina Gremli ist auf einem eher ungewöhnlichen Weg zu ihrem Job gekommen.

Montagmorgen, kurz nach acht Uhr. Im Korridor des Pavillons im Schulhaus Niederuster herrscht ein wildes Gewusel. Die Kinder ziehen ihre Jacken aus, erzählen sich lebhaft vom Wochenende und stellen sich dann an der Tür zum Klassenzimmer an. Manche schubsen sich gegenseitig. Ein Mädchen nervt sich über einen etwas überdrehten Klassenkollegen. An der Türschwelle begrüsst Lehrerin Sina Streiff jedes einzelne Kind im Flüsterton und nimmt seine Hausaufgaben entgegen. Sobald sie das Zimmer betreten haben, setzen sich die Schüler: innen an ihre Tische, nehmen die Hefte über Satzkonstruktionen hervor und beginnen konzentriert zu arbeiten. Nur noch hie und da ist ein Rascheln zu hören. Manche ziehen sich auch an die mit Vorhängen verdeckten Pulte zurück.

«Am Montag machen wir immer einen stillen Anfang», erklärt Sina Streiff. «So können die Kinder zur Ruhe kommen.» Erst nach etwa 20 Minuten gibt es einen gemeinsamen Einstieg. Die dritte Klasse versammelt ich im Halbkreis, übt Weihnachtslieder und führt verschiedene Turnübungen aus.

Von Steinerschule geprägt
Die Lehrerin hat die 24 Schülerinnen und Schüler bestens im Griff. Alles klappt störungsfrei in dieser abwechslungsreichen ersten Wochenstunde. Für Sina Streiff ist dies der erste Klassenzug. Vor vier Jahren ist sie als Quereinsteigerin in den Schulbetrieb gekommen. Wie viele andere Lehrpersonen an der Primarschule Uster kann sie auf einen reichen Schatz an Lebenserfahrungen zurückgreifen und bringt diesen in der Schule Niederuster ein. Die 43-Jährige hat selber ab der 6. Klasse die Steinerschule besucht und war anschliessend an einer Theaterschule. Danach hat sie Sozialpädagogik studiert und in einem Kinderheim gearbeitet. «Ich hatte den Eindruck, dass die Lehrpersonen an der Regelschule oft wenig Verständnis für die schwierigen Situationen dieser Kinder hatten», erzählt Streiff. Unter anderem hat sie diese Erfahrung motiviert, sich künftig selber an der Volksschule zu engagieren. «In der ersten Klasse wollen die Kinder von sich aus lernen, aber nicht alle sind gleich schnell unterwegs», erklärt sie. «Wenn man ihnen Druck aufsetzt und sie miteinander vergleicht, riskiert man, dass sie frustriert werden.»

Cristina Gremli besucht für die Mitarbeitendenbeurteilung den Unterricht von Lehrerin Sina Streiff.

Pädagogische Vorerfahrungen nützlich
Der Quereinstieg-Studiengang an der PH Zürich sei intensiv gewesen, blickt die zweifache Mutter zurück. Im ersten Jahr gab es neben einem dichten Stoffplan zwei dreiwöchige Praktika. Ab dem zweiten Studienjahr stand sie dann bereits zu 40 Prozent in einem Klassenzimmer. Im Quereinstieg-Studiengang, der sich explizit an Personen ab 30 mit vorgängiger Ausbildung richtet, seien einige Inhalte kürzer behandelt worden als im regulären Bachelorstudiengang, sagt Streiff. Zum Beispiel hätte sie sich gewünscht, dass Elterngesprächen noch mehr Platz eingeräumt würde. Umso mehr war sie froh um ihre Vorerfahrungen als Sozialpädagogin.

Die dritte Klasse ist unterdessen in Schwung gekommen. «Dashing through the snow, in a one-horse open sleigh», singen die Kinder lauthals, während ein Junge sie am Elektropiano begleitet und die Lehrerein Ukulele spielt. Die Kinder üben für ihren Auftritt am traditionellen Uster Märt, der jedes Jahr Ende November stattfindet. Zudem bereiten sie einen Gesangsbeitrag für den digitalen Adventskalender der Schule vor.

Vom fröhlichen Gesang wird auch Schulleiterin
Cristina Gremli mitgerissen. Sie ist an diesem Morgen wegen der Mitarbeitendenbeurteilung (MAB) der Lehrerin in der Klasse anwesend und stimmt gleich mit ein. Später wird sie ihre Beobachtungen mit Sina Streiff besprechen. Doch nun ist die Stunde zu Ende und sie muss weiter. Von der Kommunikation in die Schulleitung Wie meistens hat Gremli an diesem Morgen einen dichten Terminplan. Nach dem Unterrichtsbesuch steht ein Austausch mit dem Hauswart an. In seinem Raum im Untergeschoss hat Frank Schneider Kaffee und Gipfeli bereitgestellt. Er ärgert sich gerade über einen Vandalenakt auf dem Schulareal. Diesmal seien sogar Bänke beim Kindergarten kaputtgemacht worden, erzählt er. Gremli will das Thema später mit dem Schulsozialarbeiter besprechen. Und sie erinnert Schneider an den Erlebnistag, der am Mittwoch ansteht: «Da kann es etwas wilder zu- und hergehen.»

Mit allen beteiligten Personen zu kommunizieren, sei ein wichtiger Teil ihrer Aufgaben, sagt Cristina Gremli. Auch sie profitiert dabei von ihrem «beruflichen Rucksack», wie sie es nennt. Bevor sie in den Schulbetrieb einstieg, hatte sie mit 23 Jahren die Matura für Erwachsene absolviert und danach Kommunikationswissenschaften studiert. Sie schloss mit einem Master in institutioneller Kommunikation ab. Nun kann sie die angeeigneten Kenntnisse bestens gebrauchen, etwa für die Personalführung oder eben Gespräche mit Mitarbeitendenund Eltern.

Zuerst hatte sie nach dem Studium als Public-Relations-Beraterin gearbeitet. Doch der Job sagte ihr nicht zu und die Auswahl war damals, mitten in der Finanzkrise, nicht allzu gross. «Ich wollte etwas Sinnvolles machen», blickt die 42-Jährige zurück. Wegen des Mangels an Lehrpersonen hatte die PH Zürich vor zehn Jahren die sogenannte Fasttrack-Quereinstieg-Ausbildung entwickelt. Sie dauerte nur eineinhalb Jahre. Diese Chance nutzte Gremli. Bereits nach einem halben Jahr Vollzeitstudium an der PH Zürich übernahm sie ein 50-Prozent-Pensum. Immerhin hatte sie so bald wieder einen halben Lohn. «Wenn man bereits über 30 ist, hat man meist schon eine Wohnung und fixe monatliche Ausgaben.»

Nach dem Abschluss arbeitete die Primarlehrerin an der Schule Schwerzenbach. «Ich war mit Leib und Seele dabei», erzählt sie. «Ich habe viel mit den Kindern gelacht. Wenn sie gern in die Schule kommen, hat man schon halb gewonnen.» Obwohl es Gremli gefiel, suchte sie nach acht Jahren eine neue Herausforderung. Als die Schulleitungsstelle in Uster ausgeschrieben wurde, bewarb sie sich und
erhielt den Job. Diesen Sommer hat sie die berufsbegleitende Schulleitungsausbildung an der PH Zürich abgeschlossen. Dabei hat sie viel Nützliches gelernt. Doch alle Situationen, die im Schulalltag möglicherweise auftreten, könne die Ausbildung natürlich nicht abdecken, sagt Gremli. Die Vernetzung mit Berufskollegen und -kolleginnen sei deshalb extrem wichtig. Regelmässig ruft sie andere Schulleitungen an und tauscht sich über spezielle Probleme aus.

Um 11 Uhr geht es weiter mit dem wöchentlichen Treffen mit Schulsozialarbeiter André Hog.

Nach dem Termin mit dem Hauswart steigt Cristina Gremli wieder die drei Treppen hoch zu ihrem Büro, wo die Tür meistens offen steht. «Das ist unsere Philosophie: Alle sollen vorbeischauen können», erklärt die Schulleiterin. Bis zur Zehnuhrpause hat sie nun Zeit, einige Mails zu beantworten und Telefongespräche zu führen. Dann wechselt sie hinüber ins Teamzimmer.

Vielfalt als Bereicherung
Rund 15 Lehrerinnen sitzen rund um den Tisch beim Kaffee und Znüni. Der einzige Mann im Raum ist der Zivildienstleistende, der heute angefangen hat. Dass er später selber Lehrer werde, sei nicht ausgeschlossen, sagt der junge Mann. Das insgesamt 60-köpfige Team des Schulhauses Niederuster weist eine grosse Vielfalt an Ausbildungshintergründen auf. Neben den Lehrpersonen mit regulärem Bachelorstudium gibt es einige, die ein Quereinstieg-Studium gemacht haben. Zwei sind noch mittendrin. Viele haben zusätzlich andere Berufe gelernt oder pflegen intensive Hobbys, die sie in den Schulalltag einfliessen lassen. Als Kooperationsschule der PH Zürich bildet die Primarschule Uster zudem zahlreiche Praktikant:innen aus.

Der Pausengong läutet und Cristina Gremli eilt weiter an die Schulleitungssitzung. Sie teilt das Amt mit drei Kolleginnen, die kleinere Pensen besetzen. Auch Sandra Grimm hält die Vielfalt im Lehrpersonenteam für eine grosse Bereicherung: «Alle bringen verschiedene Perspektiven und Fertigkeiten mit.» Die Schulleiterin erinnert sich zum Beispiel an einen Lehrer, der vorher Schreiner war und für ein Schulhausfest mit den Schüler:innen Marktstände zimmerte. Und Sina Streiff und ihre Stellenpartnerin bringen beide Theatererfahrung mit. Sie nehmen im Team die Rolle als Kulturvermittlerinnen ein. Zum Beispiel haben sie schon einmal einen Zirkus ins Schulhaus eingeladen.

Der Quereinstieg in den Schulberuf sei eine grosse Herausforderung, weiss Co-Schulleiterin Sandra Grimm. Die Quereinsteigenden seien häufig Personen, die bereits eine Familie hätten. Zusammen mit Studium und Unterricht sei das eine Dreifachbelastung. «Die meisten von ihnen sind sehr motiviert und haben sich die Sache gut überlegt.» Es gab aber auch schon entsprechende Personen, die vorzeitig abbrechen mussten.

Pause! Das Team der Schule Niederuster besteht aus insgesamt 60 Personen.

Austausch mit Sozialarbeiter
Schon ist es elf Uhr. Sandra Grimm und Cristina Gremli sind mit dem Schulsozialarbeiter verabredet. Im wöchentlichen Austausch mit André Hog kommen Themen wie die Dynamik in gewissen Klassen oder auf dem Pausenplatz zur Sprache. Letzte Woche hatte Hog zum Beispiel eine Klasse besucht, in der eine Gruppe von Mädchen einige andere Kinder ausschloss. Im Gespräch mit den Schulleiterinnen wird er schildern, wie erfolgreich die Intervention war.

Hog arbeitet je zwei Tage in zwei verschiedenen Schulhäusern. Regelmässig führt er auch Einzelgespräche und vermittelt passende Fachstellen. «Was mir die Kinder erzählen, untersteht der Schweigepflicht», stellt der Sozialarbeiter klar. «Sie müssen mir vertrauen können.» Als um zehn vor zwölf der Gong ertönt, ist Cristina Gremlis Gesprächsmarathon einstweilen beendet. «Es ist ein intensiver Job mit grosser Verantwortung», sagt die Schulleiterin. Ständig springe sie von Thema zu Thema. Doch die Absprache mit allen Personen, die gemeinsam die Schule gestalten, liegt der Kommunikationswissenschaftlerin offensichtlich im Blut. Sie bleibt stets ruhig und man spürt, dass ihr der Job richtig Spass macht.