«Wir möchten den Knowhow- Transfer ausbauen»

Christine Neresheimer, Leiterin der Primarstufe an der PH Zürich. Foto: Christoph Hotz

Die PH Zürich entwickelt die berufspraktische Ausbildung weiter. Künftig absolvieren die Studierenden zahlreiche Praktika in den ersten zwei oder drei Jahren ihrer Ausbildung in der gleichen Schulgemeinde. Davon profitieren alle Beteiligten gleichermassen. Co-Projektleiterin Christine Neresheimer erläutert im Interview die Einzelheiten zum Projekt.

Praktika in Schulen bilden einen zentralen Bestandteil im Studium von angehenden Lehrpersonen. Wie war die berufspraktische Ausbildung bisher organisiert?
Wir arbeiten in der berufspraktischen Ausbildung seit der Gründung der PH Zürich vor 20 Jahren mit sogenannten Kooperationsschulen zusammen. Eine Kooperationsschule besteht aus verschiedenen Schuleinheiten innerhalb einer Schulgemeinde. Bisher haben unsere Studierenden die Berufspraktika
im ersten Studienjahr in einer dieser Kooperationsschulen absolviert. Dieses Grundjahr war in allen Abteilungen der Volksschule – Kindergarten- und Unterstufe, Primarstufe und Sekundarstufe I – gleich organisiert. Das Modell hat lange Zeit gut funktioniert.

Was war nun der Auslöser für die Entwicklung eines neuen Modells?
Unsere Studiengänge haben sich in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt und es sind neue Studiengänge dazugekommen. Entsprechend wurde es immer schwieriger, das Modell über alle drei Abteilungen hinweg gleich zu führen. Zudem hat das bisherige Modell im Kern eher nur drei Akteurinnen und Akteure berücksichtigt: die Studierenden, die Mentorierenden, also die Betreuenden seitens PH Zürich, sowie die Praxislehrpersonen, welche die Studierenden in den Praktika begleiten. Die Komplexität des Schulsystems hat in den vergangenen Jahren jedoch stark zugenommen, entsprechend sind viele weitere Akteurinnen und Akteure von Bedeutung.

Welche Rollen sprechen Sie hier an?
Unsere Forschungen und direkte Rückmeldungen aus den Schulen zeigen, dass unsere Studierenden sehr gut unterrichten können, aber in der Regel eher wenig Kenntnisse vom ganzen System Schule haben. Hier setzen wir mit unserem neuen Modell Kooperationsschule 2.0 an. Unser Ziel ist es, dass die Studierenden im Rahmen der Praktika einen umfassenderen Einblick in das System Schule erhalten. Dabei sind beispielsweise auch Schulleitungen von zentraler Bedeutung. Einen ebenso wichtigen Beitrag leisten Schulbehörden oder je nach Gemeinde die Leitungen Pädagogik/Bildung. Sie tragen in den Gemeinden die Verantwortung, dass die Schulen gut funktionieren können. Wir sind aufgrund der sehr hohen Studierendenzahlen auf viele Praktikumsplätze angewiesen. Entsprechend hat dies einen massgeblichen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Schulen, die mit uns zusammenarbeiten. Weitere bedeutsame Akteurinnen und Akteure sind etwa das Volksschulamt als Gesamtverantwortliche für die Schule oder auch die Verbände, welche die Interessen der Lehrpersonen vertreten.

Wurden die verschiedenen Akteure in die Entwicklung einbezogen?
Ja, sehr stark. Auf Seite PH Zürich sind alle Stufen der Volksschule involviert. Wir alle haben regelmässig unsere Ideen in verschiedenen Gruppen präsentiert und Inputs gesammelt. Die Studierenden waren hier ebenfalls involviert. Als erste Entwürfe von möglichen Modellen vorlagen, haben wir diese umfassend mit den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren gespiegelt und die Rückmeldungen in die weitere Entwicklung einfliessen lassen.

Ein neuer Fokus liegt also auf dem Kennenlernen des Schulsystems. Was wird sonst noch anders?
Wir legen zusätzlich diesen Schwerpunkt beim Kennenlernen des Schulsystems, das Unterrichten wird jedoch weiterhin einen sehr hohen Stellenwert haben. Mit dem neuen Fokus geht eine wichtige weitere Neuerung einher: Die Studierenden werden für einen wesentlichen Teil ihres Studiums, also die ersten zwei oder drei Jahre, in der gleichen Kooperationsschule ihre Praktika absolvieren. Die Idee ist, dass sie hier in verschiedenen Schulhäusern und Klassen unterrichten. Es ist mit der zunehmenden Komplexität der Schulen eine grundlegende Voraussetzung, dass die Studierenden über eine längere Zeit im gleichen Schulsystem tätig sind, wenn sie weitere schulrelevante Elemente kennenlernen sollen – sie sich also beispielsweise mit dem Leitbild der Schule oder dem Aufbau des Schulpsychologischen Dienstes auseinandersetzen können, an einem Elternabend teilnehmen, einen Tag mit der Schulsozialarbeiterin verbringen oder mit einer Klasse mit ins Klassenlager gehen.

Wie profitieren die Schulen?
Wir wissen, dass eine überwiegende Mehrheit der Absolventinnen und Absolventen der PH Zürich eine Stelle in einer Schule übernehmen, in der sie schon einmal unterrichtet haben. Das Modell trägt folglich einen Teil zur Nachwuchsförderung auf Seite der Schulen bei. Ausserdem bleibt die PH Zürich mit den Schulen durch die enge Zusammenarbeit in einem dialogischen Lernen. Wir sind beides lernende Organisationen, können also von Inputs des anderen Systems nur profitieren. So kann die Unterrichts- und Schulentwicklung weiter gefördert werden.

Wie sieht diese Zusammenarbeit konkret aus?
Auf Seite der Kooperationsschulen hat eine Leitungsperson die strategische Gesamtverantwortung. Das ist je nach Gemeinde beispielsweise die Schulleitung, die Leitung Bildung oder das Schulpräsidium. Die operative Verantwortung liegt bei einer sogenannten Praxisleiterin oder einem Praxisleiter. Das ist in der Regel eine Lehrperson mit langjähriger Berufserfahrung. Auf Seite der Schule organisiert sie unter anderem die Praktikumsplätze. Gleichzeitig ist diese Person in einem 20-Prozent-Pensum an der PH Zürich angestellt. Sie ist hier in die Lehre eingebunden und betreut gemeinsam mit den Mentorierenden die Studierenden. Die Praxisleiterin oder der Praxisleiter bildet damit die Verbindung von der Hochschule in die Schule – eine sehr interessante und verantwortungsvolle Tätigkeit. Ein weiteres wichtiges Element des Modells ist der Netzwerkgedanke, den wir stärker in den Fokus nehmen möchten.

Was sind hier die Ideen?
Wir möchten den Know-how-Transfer zwischen allen im Schulsystem involvierten Personen und Stellen ausbauen. Wir bringen die Akteurinnen und Akteure an einen Tisch. Dies machen wir beispielsweise mit spezifischen Netzwerkanlässen. Die PH Zürich und die involvierten Schulen sollen zu einem Marktplatz für spannende Ideen werden. Das Prinzip «Bottom up» hat hier eine wichtige Bedeutung. Die Schulen sollen ihre Anliegen einbringen können. Ein Beispiel ist das Thema Beurteilung. Das ist in den Schulen ein Dauerbrenner.

Wo steht das Projekt aktuell?
Wir stehen mitten in der Akquise und stellen ein sehr grosses Interesse auf Seite der Schulen fest. selbstverständlich behalten wir die jetzigen Kooperationspartnerinnen und -partner bei. Einige zukünftige Kooperationsschulen haben bereits provisorisch zugesagt. Unser Ziel ist, dass wir im nächsten Jahr mit den ersten Schulen starten können. Die bisherige berufspraktische Ausbildung führen wir noch eine Zeit lang parallel weiter. Die Idee ist, dass wir das neue Modell bis 2026 in den Studiengängen mit hoher Studierendenzahl umgesetzt haben.