Psychische Gesundheit dank überfachlichen Kompetenzen

Im Forschungsprojekt Scout der PH Zürich wurde untersucht, ob pfadispezifische Aktivitäten überfachliche Kompetenzen fördern. Foto: Christian Frei

Lernsettings mit Möglichkeiten, selbstbestimmt Ideen zu entwickeln und diese gemeinsam umzusetzen, fördern die überfachlichen Kompetenzen und stärken dadurch die psychische Gesundheit. Wichtige Voraussetzung sind interessierte und verlässliche Bezugspersonen.

Um sich kompetent zu erleben und sich in die Gemeinschaft einbringen zu können, müssen sich Kinder und Jugendliche mit eigenen Verhaltensweisen, Einstellungen und Werten auseinandersetzen und lernen, mit anderen zusammenzuarbeiten, Konflikte zu lösen, Verantwortung zu übernehmen und mit Vielfalt umzugehen. Überfachliche Kompetenzen stellen eine wichtige Ressource dar, um diese Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Wenn das gelingt, trägt dies zu einem höheren Wohlbefinden bei, was langfristig die körperliche und psychische Gesundheit stärkt. Gemäss dem amerikanischen Psychologen Richard Lerner können bedeutsame Entwicklungserfolge und ein höheres Niveau an Wohlbefinden insbesondere dann erreichet werden, wenn die «Six Cs of Positive Youth Development» gefördert werden (siehe am Ende des Artikels).

Verzicht auf kommerziell hergestelltes Spielzeug
Die PH Zürich hat die eben beschriebenen überfachlichen Kompetenzen und deren Entwicklung in zwei verschiedenen Lernsettings untersucht. Im Spielzeugfreien Kindergarten wurde während einem Projektzeitraum von acht bis zehn Wochen das vorgefertigte, kommerziell hergestellte Spielzeug, das meistens bestimmte Spielmöglichkeiten vorgibt, aus dem Kindergarten entfernt. Auch wurde auf vorbereitete Lernangebote der Lehrperson verzichtet. Den Kindern standen Spielmaterialien wie Kisten, Tücher, Stühle, Tische, Seile, Bretter oder Materialien aus der Natur zur Verfügung und sie konnten selbst bestimmen, wann sie was spielen wollten. Diese Umgebung soll die Kinder unterstützen, ihre überfachlichen Kompetenzen intensiv weiterzuentwickeln. Es wurde der Frage nachgegangen, ob sich während der Projektdauer ein Zuwachs an überfachlichen Kompetenzen der Kinder feststellen liess. Einerseits wurden die Lehrpersonen und Eltern der am Projekt teilnehmenden Kinder zu Beginn und kurz vor Abschluss des Projekts mittels Online-Erhebung befragt. Andererseits wurden in ausgewählten Kindergartenklassen mit einer Beobachtungsstudie die Lehrperson-Kind-Interaktionen untersucht. Es ergab sich ein weitgehend einheitliches Bild: Insgesamt zeigten sich bei allen untersuchten überfachlichen Kompetenzen signifikante positive Entwicklungen, insbesondere dann, wenn die Lehrpersonen viel emotionale und verhaltensbezogene Unterstützung zeigten. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich Lehrpersonen von den kindlichen Interessen und Bedürfnissen leiten lassen und die Kinder bei der Regulierung des Verhaltens und der Emotionen unterstützen. Statistisch betrachtet handelt es sich um eher kleine Veränderungen. In Anbetracht der kurzen Zeitspanne von acht bis zehn Wochen sind sie jedoch bemerkenswert.

Lageraktivitäten fördern überfachliche Kompetenzen
Die zweite Studie wurde im Bundeslager mova der Pfadibewegung Schweiz durchgeführt. Das Lager fand im Sommer 2022 im Goms statt. Insgesamt nahmen 30’000 Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen teil. Das Forschungsprojekt Scout untersuchte bei 14- bis 17-jährigen Jugendlichen, ob pfadispezifische Aktivitäten und das Gemeinschaftsleben überfachliche Kompetenzen und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen fördern. Die Jugendlichen wurden zweimal während des Lagers befragt. Die erste Befragung fand ein bis zwei Tage nach Lagerbeginn statt, die zweite ein bis zwei Tage vor Lagerende. Auch in dieser Studie zeigten sich während nur rund zehn Lagertagen bei sieben von elf untersuchten überfachlichen Kompetenzen signifikante positive Veränderungen. Die grössten Veränderungen ergaben sich in Bezug zu «einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten», dem Selbstwert, der Selbstkontrolle sowie der Durchsetzungsfähigkeit, also wenn es beispielsweise darum geht, die eigene Meinung gegenüber anderen zu vertreten. Ein bedeutsamer Zuwachs an überfachlichen Kompetenzen war aber nur dann erkennbar, wenn die Jugendlichen über eine grosse soziale und emotionale Unterstützung der Leitungspersonen berichteten. Beim Wohlbefinden zeigte sich, dass sich die positiven Emotionen deutlich erhöhten und die negativen Emotionen stabil geblieben waren, und dies trotz (oder eben gerade wegen) dem Leben unter einfachen Bedingungen im Zelt und in der Natur, Müdigkeit und starkem Regen zum Zeitpunkt der zweiten Befragung.

Lernsettings mit Projektcharakter stärken
Neben der Familie und dem soziokulturellen Umfeld (zum Beispiel Peers, Jugendverbände, Sportvereine) nimmt die Schule als Lernort und Lebensraum, wo Kinder und Jugendliche einen grossen Teil ihrer Zeit verbringen, eine wichtige Rolle für den Kompetenzerwerb ein. Beide Studien zeigen auf, dass Projekte in oder ausserhalb der Schule Lernprozesse im Bereich der überfachlichen Kompetenzen erfolgreich unterstützen. Ein hohes Ausmass an überfachlichen Kompetenzen erhöht die Lernmotivation, führt zu mehr Wohlbefinden und wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen aus. Die Bewältigung von Herausforderungen hängt aber nicht nur von den Kindern und Jugendlichen selbst ab, sondern auch von der Interaktion mit ihrer Umwelt und der Qualität der verfügbaren sozialen Unterstützung durch Bezugspersonen. Wichtige Voraussetzung für einen Zuwachs an überfachlichen Kompetenzen sind interessierte und verlässliche Bezugspersonen.

Six Cs of Positive Youth Development

  • Connection (positive Beziehungen vermitteln ein
    Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit)
  • Competence (eine positive Sicht auf die eigenen
    Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln)
  • Confidence (Selbstvertrauen, Vertrauen in andere
    und Vertrauen in die Zukunft entwickeln)
  • Character (Verantwortung für das eigene Handeln
    übernehmen und Regeln einhalten)
  • Caring (Mitgefühl und Toleranz gegenüber anderen
    Menschen entwickeln)
  • Contribution (an gemeinsamen Aktivitäten teilnehmen,
    Führungsqualitäten entwickeln)

Quelle: Richard Lerner, 2017