Programmieren lernen mit digitalen Spielzeugkäfern

Fotos: Alessandro Della Bella

Das Programmieren von Spielzeugrobotern in Form eines Käfers macht Embracher Kindergartenkindern sichtlich Spass. Geschickt kombiniert die Lehrerin digitale Techniken mit anderen Lernformen. Ein Augenschein im Kindergarten Dreispitz.

Der Käfer fährt drei Felder geradeaus, dreht sich nach links und rollt auf das Feld nebenan. Dann steht er still und blinkt mit den Augen: Er hat sein Ziel erreicht. Layana freut sich: Das Kindergartenkind hat es geschafft, den kleinen Spielzeugroboter so zu programmieren, dass er zum Feld mit der Bäckerei fährt. Denn auf der Karte, die sie zuvor aus einem Stoffbeutel gezogen hat, ist ein Gipfeli abgebildet. Nun ist ihr Kollege Benjamin an der Reihe. Weil er die Karte mit dem Sofa gezogen hat, soll sein Käfer zum Möbelgeschäft fahren. Mit der Kreuztaste löscht der Junge zuerst die zuvor programmierten Befehle. Dann gibt er die gewünschte Route mit den Pfeiltasten ein und drückt auf «Go». Der Käfer dreht sich einmal im Kreis und bleibt dann stehen. Benjamin ärgert sich kurz, probiert es dann aber erneut. Nun bewältigt das Spielzeug den komplizierten Weg mit mehreren Abbiegungen bis zum Bild mit dem Möbelladen.

Befehle mit Tasten eingeben
Im Kindergarten Dreispitz in Embrach steht an diesem Herbstnachmittag das Lernen mit Blue-Bots auf dem Programm. Dabei handelt es sich um durchsichtige Plastikspielzeuge in der Grösse einer halben Grapefruit. Die Käfer sind speziell für den ersten Zyklus designt. Sie sollen Kindern auf spielerische Art das Programmieren näherbringen. Mit vier Pfeiltasten auf dem Rücken kann man eine ganze Abfolge von Vorwärtsbewegungen und Richtungswechseln eingeben.

Lehrerin Ursi Meier verbindet die digitalen Lerneinheiten immer wieder mit analogen Sequenzen.

An einem anderen Posten im Schulzimmer sitzen zwei Kinder am Boden vor einer Matte mit einem aufgemalten Bauernhof. Dashurije will den Hühnern eine Kiste Rüebli bringen. Sie drückt einige Pfeile auf dem Rücken des Blue-Bot, stellt die kleine Spielzeugkiste aus Plastik vor ihn hin, worauf er sie über die Unterlage schiebt. Doch kurz vor dem Feld mit den Hühnern bleibt er stehen. Nachdem Dashurije nochmals den Vorwärtspfeil gedrückt hat, erhalten die Tiere ihr Futter. «Es ist mir wichtig, digitale Medien mit analogen Spielen und Lernsequenzen zu kombinieren», sagt Kindergartenlehrerin Ursi Meier. «Die Medienbildung soll keine anderen Inhalte verdrängen, sondern sie sinnvoll ergänzen.» Die eingekauften Grundmaterialien hat sie deshalb mit diversen anderen Elementen ergänzt – neben den Bauernhofutensilien etwa mit einer Schatzkiste, aus der die Kinder einen Edelstein nehmen dürfen, wenn ihr Bot das Ziel auf der Landkarte erreicht. Weiter hat sie eine Unterlage mit den Fotos der Kinder gestaltet und ihre Namen auf Karten geschrieben. Die Kinder müssen den Roboter jeweils zum passenden Porträt steuern. «So lernen sie gleichzeitig die Buchstaben kennen», erklärt Meier.

An einem weiteren Posten beschäftigen sie sich mit Reimen. Für viele ist das jedoch noch etwas schwierig: Beim Bild mit der Blume zum Beispiel erkennen die meisten Kinder nicht, dass es sich um eine Rose handelt und sie den Bot deshalb auf das Feld mit der Hose lenken sollen. Doch die Unsicherheit bringt die Zweiergruppen ins Diskutieren miteinander. Das Arbeiten in Gruppen ist eine gute Gelegenheit, soziale Kompetenzen einzuüben. Die Lektion mit den Käferrobotern ist nicht die erste Erfahrung, welche die Buben und Mädchen mit digitalen Medien machen. Bereits früher haben sie gelernt, mit einem Tablet QR-Codes zu scannen, um sich Geschichten anzuhören, bei denen sie viel Spannendes über Tiere erfuhren. Auch die Samichlausversli hat die Klasse letztes Jahr zuerst im Kreis gelernt und dann über das Tablet vertieft. Die Kinder konnten sich die Verse so oft anhören, bis sie sie auswendig konnten, oder sich selber beim Aufsagen aufnehmen.

Auf einem Blatt dürfen die Kinder einen Stern neben ihre Lieblingsaufgabe an diesem Nachmittag kleben.

Den traditionellen «Zeigitag», an dem jedes Kind sein Lieblingsspielzeug mitnimmt, hat die Klasse ebenfalls genutzt, um mit technischen Möglichkeiten vertraut zu werden: Mit dem Tablet durften die Kinder ihre Spielzeuge fotografieren und die Bilder danach zu einer Geschichte verarbeiten. Dazu haben sie mit der App «Book Creator» gearbeitet, mit der mediale Inhalte wie Texte, Zeichnungen, Fotos und Videos einfach miteinander kombiniert und zu E-Books verarbeitet werden können. Zum Abschluss des Kindergartens hat die Klasse im Sommer sogar einen ganzen Film erstellt, bei dem sie mit diversen digitalen Techniken experimentierte.

Spiele lieber analog
Zurückhaltend ist die Kindergartenlehrerin hingegen mit Computerspielen. Das Spiel «Rush Hour» zum Beispiel bietet sie in ihrem Kindergarten nur noch analog an, obwohl es auch digital erhältlich ist: «Die Kinder sind dabei viel zu stark auf das Gerät fixiert und alle stehen rundherum. Ich will nicht, dass das so stark im Zentrum steht.»

Spiele und Videos kennen die Kinder sowieso meist schon von zu Hause her. Kreative und lehrreiche Apps und Programme dagegen seien weniger verbreitet, sagt Ursi Meier. «Ich will ihnen die vielfältigen Möglichkeiten aufzeigen.» Doch obwohl es ihr ein grosses Anliegen sei, dass die Kinder den Umgang mit digitalen Medien schon früh erlernten, seien analoge und taktile Erlebnisse im Kindergarten immer noch vorrangig. Im Schulzimmer gibt es deshalb auch einen Minisandkasten sowie ein mit Kirschsteinen gefülltes Aquarium, in dem man mit den Händen herumwühlen kann.

Der Blue-Bot muss so programmiert werden, dass er auf einer Karte zu bestimmten Stationen fährt.

Ursi Meier hat im letzten Dezember die Weiterbildung PICTS (Pädagogischer ICT-Support) an der PH Zürich begonnen. Als Erstes hat sie den Kurs PICTS light besucht und dann die Passerelle zum PICTS-Basismodul absolviert, das zu einem vollständigen CAS ausgebaut werden kann. «Zuerst war ich unsicher, ob ich das verstehen würde», blickt sie zurück. Doch bereits im ersten Kurs sei sie gut abgeholt worden. «Nun hat es mir total den Ärmel reingezogen», lacht die 52-Jährige. Seither hat sie diverse Kurse in diesem Bereich besucht, unter anderem aus der Reihe MIA (Medien-, Informatik- und Anwendungskompetenzen), die sich speziell an Kindergarten- und Unterstufenlehrpersonen wendet. Seit einem Jahr ist sie an der Primarschule Embrach als PICTS für die elf Kindergartenklassen zuständig. In dieser Rolle leitet sie ihre Kolleginnen beim Einsatz von Blue-Bots und Tablets an. Zudem hat sie einige Lektionen zur Verfügung, um selber in anderen Klassen zu unterrichten. Dies habe sich bewährt, sagt Schulleiterin Kathrin Meyer: «Wenn jemand das mit grosser Freude und Motivation macht, bringt es mehr, als wenn Lehrpersonen mit einer Hemmschwelle digitalen Unterricht erteilen.» Denn im ersten Zyklus sei der Unterricht in Medien und Informatik noch nicht so selbstverständlich wie später, erklärt Meyer. Einige Lehrpersonen bräuchten noch etwas Zuspruch und müssten erst positive Erfahrungen sammeln.

ICT-Team zieht ganzes Schulteam mit
In der Primarschule Embrach gibt es mittlerweile drei PICTS – einen für jede Stufe – sowie einen TICTS, der für den technischen ICT-Support zuständig ist. Alle vier zusammen bilden das ICT-Team. Eine Lehrperson hat im Rahmen ihres Leistungsnachweises in der PICTS-Weiterbildung untersucht, wo die Schule bezüglich Digitalisierung steht und was es braucht, damit sie sich verbessern kann. Das ICT-Team beobachtet den Digitalisierungsprozess an der Schule und regt immer wieder spezifische Weiterbildungen im Team oder auf individueller Basis sowie Anschaffungen an. «Es ist cool, dass diese Gruppe das Thema vorantreibt», findet Kathrin Meyer. Erheblich weitergebracht habe die Schule auch die Corona-Pandemie, als für einige Wochen nur noch Online-Unterricht möglich war. «Das hat uns gezwungen, uns mit den digitalen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.» Die Schule arbeitet auch mit der Plattform Schabi (Schule am Bildschirm), die Lehrpersonen die Organisation und Kindern das Lernen erleichtern soll, mit dem webbasierten Programm Antolin für die Leseförderung sowie der Plattform Lernlupe für das individualisierte Lernen und die Lernstanderhebung. Vor vier Jahren erhielt die Schule zudem ein neues Gebäude – die Schulanlage Ebnet. Dort wurde ein hoher Digitalisierungsstandard erreicht, unter anderem mit digitalen Wandtafeln.

Die Kinder arbeiten in Zweiergruppen – eine gute Gelegenheit, den Umgang miteinander und damit die sozialen Kompetenzen einzuüben.

In der Unter- und Mittelstufe arbeiten die Kinder mit anspruchsvolleren Minirobotern, die auch über den Computer programmiert werden können – sogenannten Ozobots und Thymios. Und je nach Affinität der Lehrperson würden weitere digitale Medien wie etwa Musikprogramme im Unterricht verwendet, sagt die Schulleiterin. «Es geht vor allem darum, dass die Kinder vertraut werden mit digitalen Medien und sie den Mut haben, einfach auszuprobieren.» Mit dem Handy würden zwar viele schon gut zurechtkommen, nicht aber mit dem Computer. Ab der 5. Klasse lernen sie deshalb das Zehnfingersystem auf der Tastatur.

Zeichnender Käfer am beliebtesten
Im Kindergarten Dreispitz sind einige Kinder unterdessen etwas ungeduldig geworden, weil die Käfer nicht immer gehorchen. Viele Blue-Bots sind auf die Ladestation zurückgekehrt. Ihre roten Augen zeigen an, dass der Akku leer ist. Wer genug hat vom Programmieren, darf nun noch ein Bild mit einem Blue-Bot ausmalen. «Der hat ja gar keine Räder», stellt Len fest und ergänzt diese.

Als Junus den Gong betätigt, räumen alle auf und kehren in den Kreis zurück. Auf einem vorbereiteten Blatt dürfen sie einen Punkt neben die Aufgaben kleben, die sie an diesem Nachmittag ausprobiert haben, und einen Stern bei ihrer Lieblingsaufgabe. Die meisten setzen ihren Klebestern beim Posten mit dem malenden Käfer. Vorne am Blue-Bot gibt es nämlich ein Loch, in das man einen Filzstift stecken kann. Je nach Programmierung zeichnet er damit einen Kreis, ein Windrad oder eine andere Form auf ein Papier. Jedes Kind darf nun das Blatt mit den Klebern in seinem Arbeitsordner ablegen. Das nächste Mal werden sie noch die Posten ausprobieren, für die an diesem Nachmittag die Zeit gefehlt hat.

Nach einem Abschiedslied ist es bereits Zeit, Schuhe und Jacke anzuziehen. Milena ist besonders schnell beim Umziehen. Nun will sie auch ihre Kameradinnen und Kameraden entsprechend programmieren. Auf deren Rücken drückt sie einige imaginäre Tasten, worauf die anderen einen Zacken zulegen.