Jetzt sind sie da, und sie sind ziemlich gut: Maschinen, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren und auf Knopfdruck fertige Texte ausgeben. Die KI-Software mit dem Namen GPT-3 (beta.openai.com) ist einer der mächtigsten Textgeneratoren, der auch für Deutsch funktioniert. Innert Sekunden produziert er ansehnliche Texte zu beliebigen Themen. Die Software ist in der Lage, eine Kindergeschichte zum Thema Freundschaft zu verfassen. Sie schreibt auf Wunsch eine Erörterung zur Schädlichkeit von Handystrahlung oder auch eine Einleitung einer Seminararbeit zum Thema Bildungsgerechtigkeit.
Hierfür kopiert GPT-3 nicht einfach Fragmente aus bereits vorhandenen Texten, sondern generiert einen einzigartigen Text mittels der KI-Technologie der sogenannten neuronalen Netzwerke. Vereinfacht gesagt, wurde GPT-3 mit einer gigantischen Menge an Texten (mehreren Hundert Milliarden Wörtern – Texten aus dem Web inklusive sämtlicher Wikipedia-Einträge sowie Bücher) dafür trainiert, zu erkennen, welche Wörter mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein gegebenes Wort folgen. Kein Text, den das Programm ausgibt, gleicht einem andern. Keine Plagiatserkennungssoftware der Welt schlägt darauf an. Die Fachwelt staunt und Lehrpersonen fragen sich: Wie sollen vor diesem Hintergrund Texte beurteilt werden? Ferner stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Schreibenlernens: Wenn Maschinen ähnlich gute Texte verfassen wie Menschen, welche Art des Schreibens soll dann überhaupt vermittelt werden?
Für Personen in Lehrberufen empfiehlt sich die Flucht nach vorn. Die Zeit, in der ein Text erst ganz am Schluss einmalig summativ beurteilt wird, ist endgültig vorbei. Textgeneratoren beschleunigen diesen ohnehin stattfindenden Paradigmenwechsel hin zu prozessorientierter Beurteilung. Der Schreib- und Lernprozess sowie die Zwischenprodukte werden zu fixen Bestandteilen von förderorientierter Beurteilung. Auch das Schreibenlernen per se verliert nicht an Bedeutung. Gut möglich, dass Maschinen ebenfalls gute Argumentationen produzieren, doch werden sie niemals alle schriftbezogenen kommunikativen Kompetenzen ersetzen können, die Menschen in beruflichen Kontexten und als Bürgerinnen und Bürger brauchen. Aber: Wir können sie als Hilfsmittel nutzen. Im Unterricht beispielsweise, um Selbstgeschriebenes mit maschinell «Geschriebenem» zu vergleichen, um Geschichten oder Sachtexte thematisch weiterzuentwickeln und Ideen zu generieren.
Textgeneratoren sind – Stand heute – keineswegs makellos. Der KI-Forscher Julian Togelius von der New York University vergleicht die Leistung von GPT-3 mit jener eines cleveren Schülers, der seine Leseaufgabe nicht gemacht hat und sich mit Allerweltswissen und Halbwahrheiten durch eine Prüfung mogeln möchte. Das Problem von GPT-3 ist, dass es nicht lesen kann. Die KI schöpft auch aus Texten, die diskriminierende Inhalte und Unwahrheiten enthalten. Das System weiss nicht, ob eine Quelle vertrauenswürdig und die Fakten korrekt sind. So generiert GPT-3 potenziell auch Fake News. Im Unterschied zu Menschen gelingt es Maschinen nicht, relevante und wichtige Informationen von irrelevanten und unwichtigen zu unterscheiden. Schulen sind also weiterhin stark gefordert. Keinesfalls kann das Schreiben den Maschinen überlassen werden.
One thought on “Nehmen uns Maschinen das Schreiben ab?”
Comments are closed.