Der Philosoph und Psychoanalytiker Daniel Strassberg bezeichnet die Angst davor, dass künstliche Intelligenzen ein Bewusstsein entwickeln könnten, als kulturell bedingt. Und er zeigt auf, inwiefern unsere ambivalente Haltung gegenüber Maschinen mit der Vorstellung des Menschen als Krone der Schöpfung und der Furcht vor der Strafe Gottes zusammenhängen.
Im Frühling 2022 ist Ihr Buch «Spektakuläre Maschinen: Eine Affektgeschichte der Technik» erschienen. Wieso schreibt ein Philosoph und Psychoanalytiker darüber, wie wir Maschinen gegenüber fühlen?
Wie ich ursprünglich auf das Thema kam, weiss ich nicht mehr genau. Vor vielen Jahren habe ich einmal ein Seminar zur Technikphilosophie und -geschichte gegeben, das nicht wirklich gelang, weil ich die Reaktion der Studierenden falsch einschätzte. Wenn man ein Philosophieseminar besucht, möchte man über hohe Dinge wie Gott und das Sein sprechen und nicht über Computer. Das Thema hat Widerstände ausgelöst, die ich ziemlich unterschätzt habe. Da hat meine Faszination für das Thema angefangen.
In Ihrem Buch geht es auch um die Angst vor der Maschine. Ist diese etwas Natürliches?
Die Angst vor Maschinen ist immer kulturell bedingt. Das sieht man daran, wie unterschiedlich Kulturen auf Maschinen reagieren. All diese Ängste, von denen wir heute reden, gibt es in Japan schlicht nicht. Dort können Roboter, die Kranke pflegen, heute eine symbolische Staatsbürgerschaft erhalten, mit dem Argument, dass sie zur Gesellschaft beitragen. Der Grundgedanke dahinter ist, dass alles belebt ist und eine Seele hat. Ob Roboter leben oder eine Seele haben, ist in diesem Fall gar keine interessante Frage. Bei uns dagegen ist die Frage, ob Computer ein Bewusstsein haben, die Frage, die alle interessiert.
Die Vorstellung, dass künstliche Intelligenzen wie Siri oder Alexa ein Bewusstsein haben und Gefühle zeigen, löst ungute Gefühle aus. Weshalb?
Diese Angst hat mit der Vorstellung zu tun, dass wir die Krone der Schöpfung sind, die aus der jüdisch-christlichen und griechischen Tradition kommt. Wir wollen etwas Ausserordentliches sein und suchen immer nach dem einen Kriterium, das uns vom Tier oder der Natur unterscheidet. Früher war das Tier das Vergleichsobjekt, doch das hat sich radikal geändert. Wir haben das Tier inzwischen in unsere Gesellschaft aufgenommen, nun suchen wir den Unterschied zur Maschine. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zu den Tieren: Wir haben die Maschinen selbst gemacht.
Was bedeutet das für unser Verhältnis zur Maschine?
Weil wir die Maschinen ständig verändern, gibt es keinen festen Unterschied mehr wie bei den Tieren. Das Verwirrende bei dieser Sache ist, dass die Maschine einerseits immer besser ist als wir und andererseits immer schlechter. Das macht uns demütig oder beschämt uns, wie der Philosoph Günther Anders in «Die Antiquiertheit der Menschen» beschreibt. Er sagt: Wir schämen uns vor der Technik, die etwas kann, was wir nicht können. Doch gleichzeitig gibt es den gegenteiligen Gedanken, dass wir etwas erfunden haben, was besser ist als das, was der liebe Gott geschaffen hat. Da sind wir beim zentralen Punkt angelangt: Der Ursprung für unsere Angst vor der Maschine liegt in der Angst vor der Strafe Gottes.
Wir fürchten uns also vor der Technik, weil wir uns mit dieser in den Himmel emporheben und dafür bestraft werden könnten?
Genau. Ich glaube, dass der Ikarus-Mythos und der Prometheus-Mythos für unsere Kultur leitend sind. In beiden geht es darum, dass wir etwas gemacht haben, das man eigentlich nicht dürfte. Das nennt sich Hybris und wird bestraft. Heute spricht man nicht mehr von der Strafe Gottes, sondern davon, dass sich die Natur rächen wird. Diese Vorstellung, dass wir für unsere Technik bestraft werden, tauchte auch im Zusammenhang mit der Pandemie immer wieder auf. Ohne Flugzeuge hätte es diese Pandemie nicht gegeben. Wir haben dem Teufel sozusagen das Gefährt zur Verfügung gestellt.
Weshalb suchen wir immer wieder nach Innovationen, wenn wir uns vor den Konsequenzen fürchten?
Historisch kann man zeigen, dass das Motiv für die Entwicklung der Maschinen nicht Nützlichkeit ist. Die Maschinen wurden nicht in erster Linie gebaut, um uns das Leben zu erleichtern, sondern wir bauen sie, weil wir es können. Leonardo da Vinci baute im 15. Jahrhundert für den König von Frankreich einen Löwen, dessen Brust sich öffnete, wenn man sich ihm näherte, und heraus kam ein Strauss Lilien. Das hatte keinen Nutzen, aber es beeindruckte. Auch in der Kirchenpropaganda spielten die Maschinen eine grosse Rolle. Im 15. Jahrhundert etwa wurde eine Maschine gebaut, die an Pfingsten eine Jesusfigur von der Decke zum Boden schweben liess. Man kann sich vorstellen, dass die Leute glaubten, dass die Kirche recht haben muss, wenn sie so etwas kann. Die Maschinen dienten nicht dem Nutzen, sondern dem Spektakel. Erst ab dem 18. Jahrhundert taucht die Nützlichkeit als Motiv für den Bau von Maschinen auf.
Wie ist das heute?
Es gibt kaum mehr Maschinen, die nur dem Spektakel dienen und nicht nützlich sind, aber es gibt keine Maschine, die nicht das spektakuläre Element enthält. Das Spektakuläre wird immer eingeplant, das zeigt sich in der Bedeutung des Designs. Irgendwann hat man herausgefunden, dass Frauen in Paarbeziehungen einen grossen Einfluss auf den Kaufentscheid bei Autos haben. Da hat sich das Design der Autos stark verändert, bei den Scheinwerfern etwa wurde das Kindchenschema eingeführt. Auch bei digitalen Geräten wird das Spektakuläre von Anfang an mitgedacht. Jedes Gerät bringt neue Features, die kein Mensch braucht, die aber beeindrucken.
Wir sind mehr als je zuvor von Maschinen umgeben, stecken aber noch in einem uralten Bewusstsein fest. Müssten wir diese Vorstellungen Ihrer Ansicht nach ändern?
Diese unbewussten Vorstellungen können wir nicht einfach ändern, aber vielleicht können wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass es eine Inkongruenz zwischen der Umwelt, in der wir leben, und unseren Vorstellungen gibt. Weil wir so alte Vorstellungen mittragen, sind wir der Zeit, in der wir leben, immer hinterher. Das Beste wäre, der ganzen Sache mit etwas mehr Gelassenheit zu begegnen.
Was heisst das konkret?
Zum Beispiel sollten wir einsehen, dass Kinder nicht kaputtgehen, wenn sie in Kontakt mit digitalen Geräten kommen. Es gibt eine Tendenz, die Dinge zu verteufeln, statt Verhältnisse und Machtverhältnisse anzuschauen. Das erspart den unangenehmen Blick auf die Verhältnisse. Ich will die Gefahren der Technik überhaupt nicht leugnen. Ich halte etwa die Datensammlerei von Grosskonzernen für ziemlich problematisch. Da muss man sehr genau hinschauen. Aber es sind nicht die Geräte selbst, die schlecht sind, sondern die Verhältnisse. Auch sehe ich noch einen anderen Grund für die Verteufelung digitaler Geräte. Die Kinder können am Computer meistens viel mehr als Erwachsene, da geht es auch um einen Verlust von Überlegenheit.
Die Einstellungen gegenüber digitalen Technologien sind sehr unterschiedlich, von begeistert bis abweisend, das kann man auch bei Lehrerinnen und Lehrern beobachten. Woher kommen diese Unterschiede?
Das liegt an einer gesellschaftlichen Tendenz, dass Ambivalenzen in Trennungen enden. Jeder hat in sich auf der einen Seite eine Faszination für neue Technologien und auf der anderen Seite eine Angst vor diesen. Doch wie bei einem Seilziehen wird man gezwungen, sich zu positionieren. Man müsste die eigenen Ambivalenzen kennen, um diesen völlig fruchtlosen Streit zwischen Kulturpessimisten und Technikeuphorikern zu beenden.
Wie schafft man es, sich dieser eigenen Ambivalenz bewusst zu werden?
Ich glaube, dass das nur über Wissen möglich ist. Mit meinem Buch habe ich versucht, diese Ambivalenzen aufzuzeigen. Man könnte sich auch vorstellen, die beiden Seiten einmal aufeinandertreffen zu lassen. Dass man beispielsweise ein Rollenspiel macht, in dem man auch nach den Ängsten oder der Faszination des anderen fragt. Schliesslich kann sich dieser ja niemand entziehen.