«Es brach eine schweisstreibende und unvergessliche Zeit an»

Die Geschichte der PH Zürich begann vor 20 Jahren an der Zürcher Rämistrasse. Akzente sprach mit den bisherigen drei Rektoren auf einem Rundgang vom ehemaligen Hauptstandort zum heutigen Campus – über die Gründungszeit, den Umzug an die Europaallee und über frühere und aktuelle Herausforderungen.

Fotos: Niklaus Spoerri

Walter Furrer, Sie waren bei der Gründung der PH Zürich im Jahr 2002 der erste Rektor. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Walter Furrer: Es herrschte eine regelrechte Aufbruchstimmung. Wir haben mit der Planung der Hochschule im Jahr 2000 begonnen und es war eine wahre Herkulesaufgabe, die wir zu bewältigen hatten: die Fusion von insgesamt 11 Institutionen. Die grosse Herausforderung bestand darin, die Partikularinteressen der einzelnen Einheiten möglichst gut zu berücksichtigen. Unser Ziel war es, das Gute zu bewahren, und wo nötig, Neues zu entwickeln. Dazu waren viele Gespräche notwendig, mit Mitarbeitenden, Verbänden und der Politik. Ich rannte teilweise von einem Termin zum nächsten.
Walter Bircher: Es waren tatsächlich turbulente Zeiten. Ich war damals als Prorektor Ausbildung Teil der neu gebildeten Hochschulleitung, welche die ganzen Konzepte entwickeln durfte. Es erfüllte uns mit grosser Freude, diese Aufgabe in Angriff nehmen zu dürfen. Dabei mussten wir in der Anfangszeit auch viel improvisieren. Das begann schon an unserem ersten Arbeitstag, als wir mit Schachteln voller Unterlagen unser neues Zuhause am Zeltweg bezogen. Der Hauswart zeigte uns das Büro, doch das war komplett leer. Wir fragten, wo denn die Möbel seien, worauf er meinte, dass wir diese im Estrich holen können (lacht). So haben wir unser erstes Büro selber eingerichtet. Doch das war eigentlich nebensächlich. Wir waren so motiviert, dass wir uns von solchen Dingen nicht ablenken liessen, und arbeiteten von Tag eins an pausenlos.
Furrer: Ich habe um das Jahr 2001 einen Zeitungsartikel gelesen zur Gründung der PH Zürich und dass diese in einem Jahr den Betrieb aufnimmt. Da musste ich zweimal leer schlucken und dachte mir, hoffentlich werden wir rechtzeitig fertig. Denn es blieben lange sehr viele Fragen offen. Am Ende hatten wir es aber geschafft und unsere Hochschule war entstanden. Es gibt hier noch eine kleine Geschichte, weshalb wir PHZH heissen. Wir wollten uns eigentlich PHZ nennen. Doch die PH Zentralschweiz hatte diese Abkürzung bereits für sich reserviert. Da wir keinen Streit wollten, haben wir uns für PHZH entschieden (lacht).

«Es herrschte eine regelrechte Aufbruchstimmung.» Walter Furrer, Gründungsrektor.

Hatten Sie bei der Planung freie Hand oder gab es auch Einflüsse von aussen?
Bircher: Es gab durchaus Vorgaben, etwa die Umsetzung des Bologna-Systems mit Kreditpunkten und Bachelor- und Masterabschlüssen. Abgesehen davon hatten wir viele Freiheiten. Als Vorbild dienten uns die Ausbildungsstandards der amerikanischen Lehrerinnen- und Lehrerbildung, die sogenannten Intasc, sowie einige europäische Länder. Das Kernstück unserer Arbeit bildeten die Fragen nach dem Ausbildungsmodell – Allrounder- vs. Fächerprofil –, dem passenden Verhältnis zwischen Theorie und Praxis und wie wir die berufspraktische Ausbildung gestalten.
Furrer: Die Konzepte unterschieden sich in den 11 Institutionen stark voneinander. Das gab uns die Chance, eine neue Idee umzusetzen, wobei wir einige bestehende und gut funktionierende Elemente integrierten. Insbesondere erhöhten wir den Praxisanteil gegenüber dem bisherigen Curriculum deutlich. Das glaubte man uns anfangs nicht und wir mussten es immer wieder aufzeigen. Es kostete uns einige Anstrengungen, die teilweise vorherrschende Angst vor einer zu stark auf die Theorie ausgerichtete Ausbildung zu entkräften.

Heinz Rhyn, Sie waren zum Zeitpunkt der Gründung der PH Zürich bei der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) tätig. Walter Furrer hat eben angetönt, dass er auch immer wieder mit Kritik umgehen musste. Wie haben Sie die Entwicklungen damals erlebt?
Heinz Rhyn: Die Überführung der Lehrerinnen- und Lehrerseminare in Pädagogische Hochschulen war ja ein Entscheid, der für die gesamte Schweiz Gültigkeit hatte. Insofern waren wir bei der EDK als national ausgerichtetes Gremium immer sehr nahe dran an allen Fragen rund um deren Gründung. Entsprechend haben wir neben der Aufbruchstimmung auch die teilweise aufkommende Kritik wahrgenommen, etwa die eben erwähnten Stimmen, die vor einer Akademisierung der Ausbildung warnten. Ein vielgehörtes Argument war, dass die jungen Leute nicht studieren wollen, um Lehrerin oder Lehrer zu werden. Dass dies nicht der Realität entsprach, zeigten die Anmeldezahlen. Die PH Zürich rechnete mit 200 Studierenden, gekommen waren aber rund 400. Dieses hohe Interesse setzte sich in den folgenden Jahren laufend fort.
Furrer: Wir wussten, dass wir mit der in allen Branchen zunehmenden Professionalisierung mit Abschlüssen auf Hochschulniveau mitziehen mussten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Unser zentrales Anliegen war, das Niveau zu heben. Es hiess oft, das Seminar reiche doch aus, um Lehrer oder Lehrerin zu werden. Wir waren im Gründungsteam jedoch der festen Überzeugung, dass das aufgrund der seinerzeit bereits hohen Ansprüche an Lehrpersonen nicht stimmt und eine anspruchsvolle Ausbildung mehr Leute anzieht. Heute wissen wir, dass dies eine richtige Einschätzung war.
Bircher: Mit der Zeit wurden die kritischen Stimmen leiser. Der Lehrberuf wurde mehr und mehr als anspruchsvoller Beruf anerkannt und entsprechend erkannte man, dass dazu eine umfangreiche und anspruchsvolle Ausbildung erforderlich ist.

Ein wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der Gründung der Pädagogischen Hochschulen war, dass damit die Lehrdiplome künftig schweiz- und europaweit anerkannt wurden. Welche Bedeutung hat dieser Aspekt aus heutiger Sicht?
Rhyn: Die Personenfreizügigkeit war absolut massgebend. Wir waren damals mit einer Benachteiligung der Inländerinnen und Inländer konfrontiert. Als deutsche Lehrerin konnte man überall unterrichten, ich als Berner aber nur in Bern, da mein Lehrdiplom nur kantonal gültig war. Mit der Gründung der Pädagogischen Hochschulen und der Anerkennung der Diplome durch die EDK waren die Lehrerinnen und Lehrer frei in der Entscheidung, wo sie eine Stelle annahmen. Die Tertiarisierung, also die Ansiedlung der Pädagogischen Hochschulen auf Niveau Hochschule, war folglich auch aus diesem Grund eine Notwendigkeit.

Nach den Gründungsjahren und einer ersten Konsolidierungsphase folgte 2012 der Einzug in den Campus an der Europaallee. Wie kam es dazu, dass die PH Zürich an diesen Standort wechseln konnte?
Bircher: Das Gebäude war unabhängig von der Frage nach der künftigen Mieterschaft geplant worden durch die SBB und die damalige PTT. Die SBB hatte starkes Interesse daran, dass eine Schule einzieht. Zuerst dachte man an die Volksschule, erkannte dann aber, dass es dazu im Quartier zu wenig Schülerinnen und Schüler hatte. Die SBB gelangte dann an die Bildungsdirektion. Diese suchte für die PH Zürich ohnehin einen neuen zentralen Standort. Zusätzlich unterstützte die Kunsthausgesellschaft den Auszug unserer Hochschule an der Rämistrasse für den Ausbau des Kunsthauses. So nahm die Geschichte ihren Lauf.
Rhyn: Der Entscheid wurde über die Kantonsgrenzen hinaus wahrgenommen. Ich war damals an der PH Bern tätig und kann mich daran erinnern, dass wir uns sehr freuten über das Zeichen der Anerkennung für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung mit einem modernen Bau an einer Toplage mitten in Zürich.

Wie ging es nach dem Entscheid der SBB weiter?
Bircher: Nach der Zusage der Stadt und anschliessend des Kantons Zürich zum Einzug der PH Zürich in die Europaallee startete 2006 der Architekturwettbewerb. Den Zuschlag erhielt der Architekt Max Dudler. Der Bau wurde in drei Jahren errichtet, von 2009 bis 2012. Ich kann mich noch gut daran erinnern, unter welchem Zeitdruck die SBB standen. Drei Jahre sind für ein so grosses Gebäude sehr wenig Zeit. Ich war bereits 2005 mit der Projektleitung zum Umzug der PH Zürich betraut worden. Ab dem Tag des Entscheids zugunsten unserer Hochschule brach für mich eine schweisstreibende und aus heutiger Sicht unvergessliche Zeit an.

«2012 nahm man die PH Zürich erstmals wahr.» Walter Bircher, Rektor 2007–2015.

Was war die grösste Herausforderung?
Bircher: Die PH Zürich war damals in insgesamt 35 in der ganzen Stadt verteilten Gebäude untergebracht. Das alles unter ein Dach zu bringen, war eine logistische Meisterleistung, die allerdings nicht hauptsächlich ich vollbrachte, sondern es war eine Zusammenarbeit verschiedener Akteure.

Welche Bedeutung hat der Einzug der PH Zürich in die Europaallee aus heutiger Sicht?
Furrer: Obwohl ich damals bei der Umsetzung des Projekts nicht mehr im Amt war, kann ich mich noch gut daran erinnern, dass dies als eine bildungspolitisch wegweisende Aussage gewertet wurde.
Bircher: Absolut. 2012 nahm man die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Zürich erstmals richtig wahr. Die PH Zürich erhielt das Gesicht, das sie heute noch hat.
Rhyn: Wir hatten den Umzug auch in Bern stark wahrgenommen und freuten uns darüber, dass die Lehrerinnen- und Lehrerbildung mit dem zentralen Standort mitten in Zürich zusätzlich Gewicht erhielt.

Wie verlief die erste Zeit im neuen Zuhause?
Bircher: Der Umzug erfolgte in den Sommerferien 2012. Gefordert war hier insbesondere die Verwaltungsdirektion mit IT und Facility Management. Dank der Unterstützung aller Beteiligten konnten wir den Betrieb wie geplant aufnehmen und im Herbst das erste Semester starten. Die Umstellung für die Studierenden und die Mitarbeitenden war natürlich gross. Letztere arbeiteten zuvor teilweise in beinahe familiären Umfeldern. Jetzt waren sie plötzlich in Mehrplatzbüros untergebracht. Dieser Wechsel war nicht für alle einfach. Letztendlich überwogen aber die Vorteile. Dass man zum Beispiel nicht mehr durch die halbe Stadt reisen musste für eine Besprechung, war eine enorme Erleichterung.

Der Einzug in den Campus ist nun bereits 10 Jahre her. Welches sind seither die wichtigsten Entwicklungen?
Bircher: Während meiner Zeit als Rektor haben wir oft von innerer und äusserer Tertiarisierung gesprochen. Mit dem Einzug an der Europaallee hat man bei der äusseren Tertiarisierung, das heisst bei der Infrastruktur, einen wesentlichen Schritt machen können, auch wenn der Campus bereits wieder zu klein ist. Hinsichtlich innerer Tertiarisierung hat man das Hochschulniveau inzwischen längst erreicht. Das wesentliche Merkmal einer Lehrerinnen- und Lehrerbildung ist jedoch, dass die Entwicklung nie abgeschlossen ist und es immer weitergeht.
Rhyn: Die augenscheinlichste Entwicklung ist das Wachstum der PH Zürich. Wir sind hier 2012 mit 2700 Studierenden gestartet, jetzt stehen wir bei fast 4000. Ein weiterer Punkt ist die Professionalisierung, die in allen Bereichen deutlich spürbar ist. Sei das bei der Infrastruktur oder in der Lehre. Die an uns gestellten Ansprüche und unsere eigenen Erwartungen sind stark gewachsen in den vergangenen Jahren. Diese positiven Entwicklungen bringen auch neue Herausforderungen mit sich. So sind wir aufgrund der hohen Studierendenzahlen mit einem veritablen Platzproblem konfrontiert und dringend auf zusätzliche Räumlichkeiten angewiesen. Entsprechende Abklärungen sind zurzeit im Gang.

«Die Professionalisierung ist in allen Bereichen deutlich spürbar.» Heinz Rhyn, aktueller Rektor.

Richten wir zum Schluss den Blick 20 Jahre in die Zukunft: Was wünschen Sie der PH Zürich?
Furrer: Ich wünsche der Hochschule, dass sie keine derart schwierigen Situationen mehr bewältigen muss wie aktuell mit der Corona-Pandemie und dem Lehrpersonenmangel. Dass die Kolleginnen und Kollegen wichtige inhaltliche Themen nicht zurückstellen müssen, weil sie irgendwo Brände löschen müssen.
Bircher: Ich hoffe, dass die Hochschule auch in 20 Jahren weiterhin motivierte und geeignete Studierende und Mitarbeitende findet, die bereit sind, sich ständig weiterzuentwickeln und die PH Zürich weiterzubringen. Und dass auch die Finanzen für eine qualitativ hochstehende Lehrerinnen- und Lehrerbildung weiter zur Verfügung gestellt werden.
Rhyn: Ich wünsche mir, dass die Entwicklung weiter so positiv verläuft wie in der Vergangenheit und es weiter aufwärts geht. Ein wichtiges Anliegen ist mir ausserdem, dass die Pädagogischen Hochschulen bis dann das Promotionsrecht erhalten haben. Dieser Schritt ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, auch in Zukunft gut ausgebildete Nachwuchskräfte für unsere Hochschulen gewinnen zu können.