Wie kann die Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern in Schulen konkret aussehen? Welche unbekannten Räume gibt es dafür, damit das gemeinsame Gestalten von Unterricht und Schule funktioniert? Fragen, denen das Forschungsprojekt «Partizipative Schulentwicklung – Unterricht mit Schülerinnen und Schülern gestalten» nachgeht.
Im Projekt «Partizipation stärken – Schule entwickeln (Passe)» wurden 2017 fünf Schulen über ihre Wünsche bezüglich der Partizipation von Schülerinnen und Schülern befragt. Sowohl Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrpersonen wünschten sich eine starke Mitwirkung bei Schulanlässen oder im Klassenrat. Hingegen bei Themen wie der Gestaltung des Stundenplans oder bei der Frage, wofür die Schule Geld ausgeben soll, gingen die Meinungen auseinander. Während die Schülerinnen und Schüler sich auch hier eine Mitbestimmung vorstellen konnten, stiess dies bei den Lehrpersonen auf Ablehnung. Einigkeit herrschte hingegen darüber, dass die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an Sitzungen der Lehrpersonen unerwünscht ist.
Gleichzeitig ist die Beteiligung am Lernen ein Dauerbrenner an Konferenzen und in Fachliteratur, wenn es um die Partizipation von Schülerinnen und Schülern geht. Beispiele werden beschrieben, wie Schülerinnen und Schülern eine aktive Mitgestaltung im Unterricht und in der Schule ermöglicht werden kann. Begriffe, die dieses Anstreben zum Ausdruck bringen, wie «student voice» oder «pedagogical voice», waren keine Worthülsen mehr. Diese Wörter existieren in der deutschen Sprache nicht und das ist kein Zufall. Wenn uns die Wörter fehlen, fehlt auch die gelebte Praxis dahinter.
Mit Design-based-Research etwas Neues wagen
Dies war die Ausgangslage, mit der das Forschungsprojekt «Partizipative Schulentwicklung – Unterricht mit Schülerinnen und Schülern gestalten (Pasus)» der PH Zürich, mitfinanziert durch die Stiftung Mercator Schweiz, im vergangenen Jahr startete. Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Vorgängerprojekt Passe führten dazu, dass Partizipation als Grundprinzip vielschichtig etabliert wurde – nicht nur in der Schulentwicklung, die mit dem aktiven Mitwirken der Schülerinnen und Schüler in den beteiligten Schulen stattfinden soll, sondern auch in der konkreten Zusammenarbeit zwischen Praxis und Forschung. «Praxis und Forschung müssen stärker in einen aktiven, gegenseitig inspirierenden Dialog treten», ist Projektleiterin Enikö Zala-Mezö überzeugt. Diesen Forschungsansatz lebt das Pasus-Projekt vor mit dem Design-based-Research, wonach die Produktion (Forschung) und Nutzung (Praxis) von Wissen nicht streng getrennt wird. Vielmehr sollen das Suchen nach und Erproben von Lösungen helfen, die Herausforderungen der schulischen Praxis zu verstehen.
Als solche Herausforderung für die Partizipation von Schülerinnen und Schülern werden seitens Schulen immer wieder Vorgaben wie beispielsweise der Lehrplan ins Spiel gebracht, nach welchem sich die Schulen richten müssten. Aussagen über fehlenden Gestaltungsspielraum mögen vielen Lehrpersonen bekannt vorkommen. Die vier Sekundarschulen, die im Pasus-Projekt teilnehmen, sehen dies anders. Sie sind gewillt, mit ihren Lernenden gemeinsam darüber nachdenken, wie sie das Lernen aktiver, selbstgesteuerter und freudvoller gestalten können. Dieser Dialog braucht aber Raum und Zeit. Da Zeit in Schulen immer knapp ist, lautet die Devise hier: «Lasst uns die bestehenden Gefässe nutzen!» Ein Revival erlebte so auch die Idee der Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an Teamsitzungen der Lehrpersonen.
Teamsitzung mit Schülerinnen und Schülern
Zwar gab es zuerst überraschte Blicke und Vorbehalte: «Lernende wollen in der unterrichtsfreien Zeit sicher nicht an unserer Sitzung teilnehmen», monierte eine involvierte Lehrperson. Diese Sorge hat sich schnell in Luft aufgelöst. Mehr Schülerinnen und Schüler als erwartet nahmen die Einladungen zur Teilnahme an diesen Sitzungen an. Die Teamsitzungen mit Beteiligung von Schülerinnen und Schülern – oft waren es die schulinternen Weiterbildungstage – liefen allerdings anders ab als sonst.
Hier kommt das «Design» (Gestalten) aus dem Design-based-Ansatz ins Spiel. Die Sitzungen werden bewusst und sorgfältig in einem Vorbereitungsteam mit Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen sowie Forschenden geplant und durchgeführt. Zentral bei diesen Sitzungen ist die Moderation: Fragen müssen klar und unkompliziert formuliert sein und auf die erlebte Praxis zielen. Diese wurden in immer neu gemischten Kleingruppen diskutiert und die Essenzen der Diskussionen wiederum im Plenum präsentiert, gebündelt und festgehalten, damit sie nicht vergessen gehen und weiterentwickelt werden können. Denn Schulentwicklung ist nicht mit einem Event abgeschlossen – vielmehr lebt sie vom stetigen Prozess!
Befreiende Erfahrung
Das bisherige Fazit der vier beteiligten Sekundarschulen ist durchwegs positiv. Es wurde beispielsweise in einer Schule darüber diskutiert, wie das Lernen mehr Spass machen kann. «Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie (Lehrpersonen) sich über solche Themen Gedanken machen», stellt ein Schüler verblüfft fest. Die Teamsitzungen mit Schülerinnen und Schülern sind überraschend, bereichernd, abwechslungsreich und motivierend. Auch wenn noch Patzer geschehen und Ungeplantes eintrifft, wie dies in allen nicht routinemässigen Situationen vorkommt, lernen alle Beteiligten aus diesen Situationen gerne weiter. Dabei sollen die Erfahrungen langfristig zu Erkenntnissen und zu Gestaltungsprinzipien führen, wie partizipative Schulentwicklung in der Praxis stattfinden kann – etwa mit sorgfältig gestalteten Sitzungen, die Schülerinnen und Schüler als Wissende adressieren, deren Erfahrungen gefragt sind. Nur so können sich die Schülerinnen und Schüler konstruktiv in die Entwicklung einbringen. Die Frage aus der Perspektive der Forschung ist, ob sich diese neue Erfahrung auf andere Situationen überträgt und in der schulischen Praxis etabliert.