
Gute Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern sowie die erlebte Zugehörigkeit zur Klasse und zur Schule haben einen grossen Einfluss auf die Lernmotivation und den Schulerfolg der Lernenden, aber auch auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Lehrpersonen. Jürg Frick, Dozent an der PH Zürich, setzt sich für bessere Beziehungen im Klassenzimmer ein.
Jürg Frick, was macht eine gute Beziehung aus?
Beziehung findet dann statt, wenn Menschen aufeinander bezogen sind und eine gegenseitige bejahende und positive Reaktion erfolgt. So erreichen wir als Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler erst dann, wenn wir bei ihnen in irgendeiner Art eine Resonanz auslösen. Das heisst, sie sollen sich angesprochen fühlen in den Lebenswelten, in denen sie stehen. Beziehung ohne Resonanz funktioniert nicht.
Ganz konkret, wie kann die Lehrperson eine vertrauensvolle Beziehung gestalten?
Die Grundhaltung ist wichtig. Diese beginnt mit dem Interesse für die Schülerin, für den Schüler. So kann Raum für eine Offenheit geschaffen werden. Dazu kommt ein respektvolles Verhalten, gerade auch in schwierigen Situationen. Mit einer klaren Kommunikation kann die Lehrperson vermitteln, was sie von den Schülerinnen und Schülern erwartet, sie wird berechenbar. Und die Berechenbarkeit ist letztlich Basis für eine vertrauensvolle Beziehung.
Was verstehen Sie unter berechenbar?
Berechenbarkeit wird aktuell in der Bindungsforschung stark betont. Gerade bei Kindern, die in instabilen Verhältnissen aufwachsen, kann Berechenbarkeit der Lehrperson vieles auffangen. So bauen Menschen von Geburt an Bindungen zu den nächsten Bezugspersonen Mutter und Vater auf. Dabei werden Beziehungen verinnerlicht. Es entstehen Bindungen, die sich als sicher oder aber auch als unsicher erweisen. Diese Bindungen in den ersten Lebensjahren haben einen grossen Einfluss auf das Verhalten später in den Kitas, im Kindergarten und in der Schule. Dabei übertragen die Kinder ihre erlernten Erfahrungen und Erwartungen an die Lehrperson.
Und wie können Lehrpersonen damit umgehen?
Es ist hilfreich, wenn die Lehrperson etwas über das Bindungsverhalten weiss. So geht es darum, das Bindungsverhalten des Schulkindes einzuordnen. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass es versucht, die Grenzen auszuloten und zu provozieren. Das Schulkind testet, wie die Lehrperson reagiert. Es möchte unbewusst herausfinden, inwiefern sich seine Erfahrungen von zuhause auch im Verhalten der Lehrperson bestätigen. Wenn sich die Reaktion gegenüber der bestehenden eigenen Erfahrung nicht wiederholt, kann das zu einer Irritation führen. Das Bindungsmuster wird durchbrochen und das Kind stellt fest, dass die Lehrperson anders tickt. In diesem Prozess besteht die Chance, dass die Schülerin oder der Schüler eine neue Bindung eingeht. Gerade bei Klassen, die länger von einer Lehrperson betreut werden, kann das Bindungsverhalten des Kindes erweitert werden. Dies führt zu einem differenzierteren Verhalten ausserhalb der erlernten Muster von zu Hause.
Sie bieten Kurse zur Beziehung und den Umgang mit Schulkindern. Ist Beziehungskompetenz erlernbar?
In meinen Tageskursen kann ich die Beziehungskompetenz als solche nicht vermitteln. Ich kann aber Anstoss geben, in welchem Bereich jemand genauer hinschauen soll und sich vertiefen kann. So kommen immer wieder Leute in meinen Kurs, die einen Leidensdruck in der Praxis erleben. Sie stehen bei gewissen Schülerinnen und Schülern an einem Punkt, an dem sie einfach nicht weiterkommen. Ein Leidensdruck entsteht und sie stellen fest, dass es nicht immer nur mit dem Kind zu tun hat, sondern eben mit ihnen selbst. Dieses Bewusstsein erachte ich als sehr wichtig. Es entsteht der Bedarf, nach neuen Lösungen zu suchen.
Welche Lösungen bieten sich konkret an?
Eine Supervision sehe ich als gute Möglichkeit, um über das eigene Verhalten und die eigenen Muster zu reflektieren. Es kann aber auch eine Intervisionsgruppe in der Schule sein. So erachte ich den Austausch unter Lehrpersonen als sehr wertvoll. Denn in der Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern spielen auch bei der Lehrperson Sympathie und Antipathie eine grosse Rolle. Und da kann der Blick von aussen, von einer anderen Lehrperson hilfreich sein und eine Situation durchaus auch mal etwas relativieren. Eine weitere interessante Möglichkeit sind Schülerrückmeldungen. Hierzu gibt es gute Fragebogen über Beziehungskompetenz, in welchen die Schulkinder ganz gezielt zum Verhalten der Lehrperson Stellung nehmen können – ein wertvoller Eindruck, wie diese die Lehrperson wahrnehmen. Und eine Lehrstunde in Sachen Beziehungskompetenz.