Vom warmen Schulzimmer auf die kalte Baustelle

Fotos: Goran Basic

Schülerinnen und Schülern, die eine handwerkliche Berufslehre in Angriff nehmen, steht eine grosse Umstellung bevor. Zwei angehende Liftmonteure erzählen beim Besuch von Akzente, wie sie den Übergang meistern.

Draussen ist es noch dunkel, als Paul Zielke das Logistik-Areal Embraport in Embrach betritt. Hier hat die Firma Schindler Aufzüge ihren Geschäftssitz für den Raum Winterthur. Der 14-Jährige fasst eine Tasche mit Helm, Schutzbrille und Schutzhandschuhen. Die trittsicheren, säurebeständigen Schuhe mit Stahlkappe sowie die Arbeitshosen hat er bereits angezogen. Und schon kann’s losgehen: Kurz vor acht fährt der Schnupperlehrling zusammen mit Praxisbetreuer Jens Heuer im Auto ins thurgauische Aadorf, wo die Firma gerade einen Auftrag ausführt.

Für Paul Zielke ist es bereits der dritte Schnuppertag bei der Firma Schindler. Den Lehrvertrag hat der Sekundarschüler bereits unterschrieben. «Ich freue mich auf die Lehre», sagt der junge Mann aus dem schaffhausischen Rüdlingen. «Endlich werde ich etwas Praktisches arbeiten können.» Früh aufzustehen mache ihm nichts aus. Bevor er sich für die Ausbildung zum Anlage- und Apparatebauer mit Schwerpunkt Liftmontage entschied, hatte er auch als Polymechaniker, Automobilfachmann und Fachangestellter Gesundheit geschnuppert. «Bei Schindler waren die Leute sehr nett», begründet Paul seine Wahl.

Mit dem Auto geht’s am Morgen vom Geschäftssitz von Schindler in Embrach auf die Baustelle im 25 Minuten entfernten Aadorf.

Die ersten beiden Jahre wird er jedoch nicht in der Firma selber absolvieren, sondern im Ausbildungszentrum Winterthur (AZW), wo er die Grundlagen des Berufs erlernt. Die Institution wird von diversen Partnerfirmen getragen und bildet jährlich rund 550 Lernende in technischen und kaufmännischen Berufen aus. Während die einen direkt beim AZW angestellt sind und sich nach zwei Jahren bei einer Partnerfirma bewerben müssen, haben andere wie etwa die Schindler-Lernenden einen Lehrvertrag direkt mit der Firma.

Massarbeit und Muskelkraft
In Aadorf angekommen, fahren Jens Heuer und Paul Zielke in die Tiefgarage der neu entstehenden Siedlung und steigen aus dem Auto. Das Mehrfamilienhaus ist bereits weit gediehen. Die Fenster sind montiert, weshalb die Temperatur für Anfang Dezember ziemlich angenehm ist. Diverse Handwerker gehen ein und aus, in den Wohnungen sind Maurer, Schreiner und Maler mit Feinarbeiten beschäftigt. Man hört Bohren und Schleifen, überall liegt feiner Betonstaub.

Im Treppenhaus hantiert Johannes Graubner am Liftschacht. Der Drittlehrjahr-Stift wartet schon auf seinen Praxisbetreuer. Er braucht seinen Rat. «Etwas stimmt mit dem Abstand nicht», meldet er an Jens Heuer, der nun einen Massstab zur Hand nimmt und seinem Lehrling hilft, den Fehler zu korrigieren. «Der Spalt zwischen Liftrahmen und Tür darf höchstens sechs Millimeter breit sein», erklärt Heuer. «Sonst könnte ein Kind den Finger reinstecken.» Der Beruf erfordert gleichzeitig millimetergenaues Arbeiten und auch mal etwas Muskelkraft. Gerade kommt Johannes die Treppe hoch mit der Lifttür, die er von der Tiefgarage in den ersten Stock trägt. Er packt sie aus dem Karton, während Paul alles genau beobachtet. Die Aufzüge werden in vorgefertigten Bestandteilen geliefert und vor Ort zusammengeschraubt. Die normierten, kleineren Lifte lässt Schindler in ausländischen Betrieben produzieren. Am Hauptsitz im luzernischen Ebikon werden nur Spezialanfertigungen hergestellt wie etwa der Aufzug für den 178 Meter hohen Roche-Turm in Basel. Für die Montage eines Lifts in einem Mehrfamilienhaus benötigt ein gelernter Liftmonteur etwa zwei Wochen.

Ins kalte Wasser geworfen
An der Lehrabschlussprüfung in eineinhalb Jahren sollte auch Johannes einen Treppenhaus-Lift in 80 Stunden selbstständig zusammenbauen können. Derzeit braucht er dafür aber noch etwas länger. Nach zwei Jahren Ausbildung im AZW hat der Lernende die Grundlagen des Liftbaus in einem sogenannten Lift-Camp erworben. Darauf wurde er bereits auf den Baustellen eingesetzt. «Man muss viel Neues lernen am Anfang und es ist streng», sagt der 19-Jährige. «Doch wenn man gleich richtig mit anpacken muss, ist die Lernkurve am steilsten.» Gelegentlich sei auch die Sprache auf den Baustellen recht direkt, erzählt er. «Wenn wir unter Zeitdruck sind, kann es schon mal heissen: Jetzt mach mal vorwärts!» Bereits kurz nach dem 18. Geburtstag hat der junge Mann die Autoprüfung gemacht. Der Arbeitgeber bezahlte ihm 500 Franken an die Fahrstunden. Nun fährt er mit dem Kleinbus der Firma voller Material und Werkzeuge täglich von seinem Wohnort in Volketswil auf die jeweilige Baustelle.

«Wir können die Lernenden erst richtig einsetzen, wenn sie die Autoprüfung haben», sagt Jens Heuer. Denn häufig müsse man zwischen den verschiedenen Baustellen hin- und herwechseln. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Lernenden die ersten zwei Jahre im AZW sind. Zudem gestaltet sich damit der Übergang vom warmen Schulzimmer auf die staubige Baustelle etwas weniger abrupt. Im Ausbildungszentrum sind die Lernenden noch unter sich, in einem geschützten Rahmen ohne grossen Leistungsdruck. Doch auch hier sei er zu Beginn am Abend jeweils sehr müde gewesen vom vielen Stehen, erzählt Johannes Graubner. Zudem habe er immer wieder Muskelkater gehabt, wenn er einen ganzen Tag lang schweissen musste.

Für den Znüni fahren die Liftmonteure in ein nahegelegenes Café im Dorf. Hier bleibt Zeit für ein persönliches Gespräch zwischen Lernendem und Betreuer.

«Die Umstellung nach der Schulzeit ist gross», ist sich Jens Heuer bewusst. «Auf der Baustelle ist es im Winter meist nass und kalt. Man friert an den Fingern. Im Sommer dagegen läuft einem der Schweiss unter dem Helm hervor.» Dabei muss man auch immer mal wieder schwere Lasten tragen. Dies mag vielleicht ein Grund sein, wieso sich bisher noch wenige junge Frauen für den Beruf interessieren, so Jens Heuer. Trotzdem würde man sich bei Schindler freuen, wenn sich in Zukunft mehr Frauen für diesen Job entscheiden – und man unternimmt auch Anstrengungen in diese Richtung.

Die Lernenden von Anfang an bis zum Lehrabschluss zu begleiten, sei eine schöne Aufgabe, sagt Jens Heuer. «Die meisten bestehen die Lehrabschlussprüfung auf sehr gutem Niveau.» Doch gute Lernende zu finden sei gar nicht so einfach. «Nicht alle sind optimal vorbereitet auf das Berufsleben», findet der 46-Jährige, der selber Liftmonteur gelernt hat und seit sieben Jahren bei Schindler arbeitet. Manchen fehle es an Selbstständigkeit und Zuverlässigkeit. «Ich bin nicht dazu da, die jungen Leute zu erziehen, sondern ihnen den Beruf zu zeigen», sagt er.

Das Unterrichten lernt er an der PH Zürich
Den Eindruck, dass es den jungen Menschen bei Antritt der Lehre teilweise an Selbstständigkeit fehlt, teilt auch Roland Lanz. Der 48-Jährige arbeitet seit gut 20 Jahren bei Schindler im Verkauf, hat aber ursprünglich Polymechaniker gelernt. Nun will er sich als Berufsschullehrer ein zweites Standbein aufbauen. «Ich freue mich darauf, die Lernenden im Berufsalltag weiterbringen zu können», sagt Lanz. «Die Lernenden sind schliesslich unsere Zukunft.» Berufsbegleitend besucht er einen Halbtag pro Woche einen Studiengang an der PH Zürich. Hier werden ihm Methoden für den Unterricht sowie didaktische Fähigkeiten vermittelt. Gleichzeitig frischt Lanz seine etwas eingerosteten Fachkenntnisse der Mechanik selbstständig auf. Im Betrieb steht er regelmässig mit den Lernenden in Kontakt und fühlt ihnen auf den Zahn. Bald wird er sein erstes Praktikum in der Berufsschule in Dietikon absolvieren und erste Erfahrungen im Unterrichten sammeln. «In der Berufsschule müssen die Schülerinnen und Schüler unter anderem Protokolle führen, Kurzvorträge halten, Aufgaben in Gruppen lösen und vor allem selbstständig lernen», erklärt Lanz, der selber Vater eines Drittsekundarschülers ist.

Zuweilen mangle es auch an der schulischen Leistung, macht Praxisbetreuer Heuer die Erfahrung. Wenn jemand bereits am Anfang in der Berufsschule ungenügende Noten schreibe, sei es schwierig, das wieder aufzuholen. Lassen die Leistung im Betrieb oder in der Schule zu wünschen übrig, gibt es zuerst eine Verwarnung. «Die meisten kriegen dann die Kurve und merken, was wir von ihnen erwarten.» Keine Sorgen macht sich Heuer bei Paul Zielke. Der werde die Lehre bestimmt gut meistern.

Johannes Graubner befindet sich im dritten Lehrjahr und kann bereits viele Arbeiten selbstständig ausführen: «Am Anfang ist es streng. Doch wenn man gleich richtig anpacken muss, ist die Lernkurve am steilsten.»

«Ich habe gute Noten», bestätigt der Sek-B-Schüler. Beim Stellwerk-Test habe er auch in der Mathematik gut abgeschnitten – ein wichtiges Fach für diese Ausbildung. Auch das Werken hat Paul gern. Zudem geht er mit seiner Klasse gelegentlich in die Kletterhalle in Schaffhausen, wo es ihm sehr gefällt. «Ich bin ziemlich schwindelfrei.» Für einen angehenden Liftmonteur sei das bestimmt eine willkommene Eigenschaft. Denn zu Beginn einer Montage müssen die Handwerker manchmal angeseilt im Liftschacht hantieren.

Müde, aber zufrieden
Langsam nimmt der Lift im Aadorfer Mehrfamilienhaus Form an. Das Gegengewicht hängt bereits an den stahlverstärkten Riemen, die Lifttür ist so montiert, dass sie in geöffnetem Zustand genau bündig mit dem Rahmen ist, wie Paul und Johannes von aussen her erkennen. Nun darf auch Paul den Liftboden betreten und sich den Schacht von innen ansehen. Mit der provisorischen Steuerung fährt er einen halben Meter nach unten. «Stopp», ruft Heuer. Darauf darf Paul den sogenannten Führungsschuh anschrauben – die Schiene, welche die Tür beim Öffnen und Schliessen führt. Unterdessen ist es halb zehn Uhr geworden – Zeit für einen Znüni. Zusammen mit einem anderen Schindler-Mitarbeiter, der im Nebengebäude einen Lift montiert, steigt die Crew in zwei Autos und fährt zu einem Café im Dorf, wo es Kaffee und Cola gibt.

Auch am Nachmittag darf Paul noch mithelfen, die Tür und ein paar andere Elemente anzuschrauben. Gegen 17 Uhr beginnt das Aufräumen. Die Handwerker verstauen Werkzeuge und Maschinen wieder im Auto, räumen auf jedem Stockwerk den Abfall weg und stellen sicher, dass alle Schachttüren verriegelt sind. Nach acht Stunden Arbeit lockt der Feierabend. Auch Paul ist müde. Doch der Schnuppertag habe Spass gemacht, sagt er. Paul ist nach wie vor überzeugt: «Der Beruf ist genau das Richtige für mich.»