Anna-Tina Hess: Ich weiss nicht, wie das damals bei Ihnen war. Wie Sie Ihren Abschluss gefeiert haben? Korkenknallen? Jubelgeschrei? Luftsprünge? Freudige Umarmungen? Feiern ohne Ende? Ich für meinen Teil muss sagen, mein Abschluss war nüchtern, sehr nüchtern.
Statt Korken knallen zu lassen, drückte ich die «Verlassen»-Taste auf Teams und loggte mich, während ich ins kollektive «Au revoir, merci» der Klasse meines letzten Französischmoduls einstimmte, aus. Nach der Diplomlektion war ich so fix und fertig, dass ich mich nicht im Stande fühlte, zu irgendwelchen Freudensprüngen anzusetzen. Und auch als in meinem Posteingang in der Neujahrswoche unter dem Betreff «Masterarbeit» stand: «Liebe Frau Hess, gerne teile ich Ihnen mit, dass ich Ihre Arbeit angenommen habe», kam da kein Jubelschrei, sondern lediglich eine Textnachricht an meine Liebsten: «Ha d Masterarbet bestande!» Woran das liegt, kann ich gar nicht so genau sagen. Vermutlich fehlte vor allem das Kollektive. Der Abschluss als Klasse. Sowas wie eine Klasse hatten wir nur gerade in den ersten beiden Semestern. Danach waren wir ein wild zusammengewürfelter Haufen Studentinnen und Studenten aus allen möglichen Studiengängen. Als ich in der vorletzten Schulwoche die Frage in die Runde warf, ob wir nach der letzten Lektion noch ein Bier trinken gehen, da kam nur Kopfschütteln und «Nöd mini Letscht» oder «Muess d Masterarbet na abgeh». Und so endete meine dreieinhalbjährige Ausbildung, die mir mehr abverlangte als je eine Ausbildung zuvor, so wie keine Ausbildung zuvor: stocknüchtern. Es fühlte sich gut an. Vor allem am Tag danach.
Georg Gindely: Es gibt nur zwei Unterschiede bezüglich des Studienabschlusses meiner Kolumnen-Kollegin Anna-Tina Hess und mir. Der eine ist eher klein: Ich verabschiedete mich nach der letzten Lehrveranstaltung an der PH Zürich auf Englisch statt auf Französisch (aber genauso nüchtern und sec wie sie). Der andere Unterschied ist grösser: Mein Studium ist noch gar nicht fertig. Ich habe die Abgabe der Masterarbeit auf den nächsten Juni verschoben. Natürlich stinkt es mir, dass ich noch nicht abgeschlossen habe. Gleichzeitig bin ich extrem froh, musste ich die Arbeit nicht Mitte Dezember abgeben. Das war nämlich die Zeit, als mir auch ohne Masterarbeit alles zu viel war. Wirklich bewusst wurde es mir, als ich auf Twitter eine Auflistung mit sieben Anzeichen eines Burnouts entdeckte und bei jedem Punkt dachte: Kenne ich! Geht mir im Moment genauso! Die Schülerinnen und Schüler merkten es auch, wie sie eben immer sofort bemerken, wenn etwas nicht stimmt. «Was war denn mit Ihnen los in den drei Wochen vor Weihnachten? Streit mit Ihrer Frau? Stress im Studium? Sie waren ja gar nicht entspannt!» Jetzt bin ich wieder erholt und voller Tatendrang. Mit der Masterarbeit habe ich trotzdem noch nicht angefangen. Ich nehme es mir zwar jede Woche vor, aber es kommt einfach ständig etwas dazwischen. Schliesslich habe ich eine dritte Sekundarklasse, und die müssen Lehrstellen suchen und testen Grenzen und sind kritisch und mühsam und immer erwachsener und toller. Lehreralltag halt. Ihn will ich nicht missen – das Studium langsam schon.