«Der Umgang mit der Klasse belastet am stärksten»

Simone Berweger (r.) und Christine Wolfgramm, Forscherinnen an der PH Zürich. (Foto: Christoph Hotz)

Die Belastung von Lehrpersonen ist nicht nur während der Corona-Pandemie ein omnipräsentes Thema. Eine Studie der PH Zürich untersucht den Zusammenhang von subjektivem Belastungsempfinden und personalen Eigenschaften und entwickelt gleichzeitig ein Selbstmanagementtraining für Berufseinsteigerinnen mit dem Ziel, den Umgang mit Belastungsfaktoren zu verbessern. Akzente sprach mit dem Projektteam.

Sind Lehrpersonen tatsächlich stärker belastet als andere Berufsgruppen?
Simone Berweger: Der Berufseinstieg ist bei jedem Beruf anspruchsvoll. Studien zeigen jedoch, dass bei Lehrpersonen die Belastung trotz zunehmender Berufserfahrung hoch bleibt und nicht abnimmt. Was als belastend empfunden wird, ist jedoch sehr subjektiv und hängt von vielen Faktoren ab. Unser Forschungsprojekt untersucht, wie Lehrpersonen, in unserem Fall Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger mit zwei bis vier Jahren Unterrichtserfahrung, persönliche Strategien entwickeln können, um mit Belastungen besser zurechtzukommen. Im Zentrum steht die Selbstregulierung – also die Fähigkeit, eigene Gedanken, Emotionen und Handlungen zielgerichtet zu steuern. Dazu haben wir ein Selbstmanagementtraining entwickelt, das in der Weiterbildung «Berufseinführung» der PH Zürich erforscht wurde und seither eingesetzt wird.

Wie funktioniert dieses Training?
Simone Berweger: Das handlungsorientierte Training umfasst drei halbtägige Module. Zu Beginn steht die Reflexion des eigenen Arbeitsverhaltens. Danach geht es um die Analyse und Veränderung von Denkmustern im Umgang mit negativ erlebten Berufssituationen. Schliesslich nehmen sich die Lehrpersonen ein Problemfeld vor, das sie angehen möchten, etwa die Kommunikation mit dem Stellenpartner oder der Stellenpartnerin zu verbessern. Und sie setzen sich ein persönliches Handlungsziel, das realistisch ist und erreicht werden kann. Der Weg zur Zielerreichung wird anhand eines konkreten Handlungsplans mit überprüfbaren Teilschritten skizziert. Die Trainingsmodule ergänzten wir teilweise mit Einzelcoaching-Terminen, die eine individualisierte Vertiefung ermöglichten. Die Hälfte der Lehrpersonen wurde zudem im Berufsalltag mit Online-Coachings weiterbegleitet.

Was sind die grössten Belastungsfaktoren von Lehrerinnen und Lehrern in der Phase des Berufseinstiegs?
Christine Wolfgramm: Die Lehrpersonen wurden zu ihrer Arbeitssituation, ihren persönlichen Ressourcen und zu ihrer berufsbezogenen Belastung befragt. Am stärksten belastet sie der Umgang mit der Klasse: die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, mangelnde Motivation und Konzentrationsfähigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler sowie zu grosse Klassen. Das sind die grössten emotionalen Belastungsfaktoren. Zeitlich sind vor allem Verwaltungsarbeit und Administration belastend. Es zeigte sich, dass die Lehrpersonen zwei bis vier Jahre nach Berufseintritt eine mittlere subjektive Belastung erleben und nur gering emotional erschöpft sind. Zudem ist ihre Arbeitszufriedenheit hoch. Die berufliche Belastung bleibt über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren konstant, einzig vor den Sommerferien ist sie etwas höher. Unsere Daten bestätigen zudem Zusammenhänge zwischen persönlichen Ressourcen wie Selbstwirksamkeit und Selbstregulationsfähigkeit und dem Belastungserleben, etwa emotionale Erschöpfung oder Arbeitsüberforderung. Umgekehrt gesagt: Stress entsteht dann, wenn die Ressourcen nicht ausreichen, um mit Belastungen umzugehen.

Konnte die Belastbarkeit durch das Training verbessert werden?
Simone Berweger: Rund zwei Drittel der Befragten fanden das Training hilfreich und nützlich und gaben an, bei Belastungssituationen im Berufsalltag davon zu profitieren. Die Kombination des Trainings mit dem Online-Coaching erwies sich als wirksamer als die Varianten, bei denen sich die Unterstützung auf das Training innerhalb der dreiwöchigen Weiterbildung beschränkte. Das Anwenden erlernter Strategien im Berufsalltag funktioniert also besser, wenn es über eine längere Zeit und von externer Seite unterstützt wird. Das Erlernen von Problemlösestrategien kann auch anstrengend sein und kurzfristig sogar die Belastung erhöhen. Ein wichtiger Gelingensfaktor ist deshalb die Motivation, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen. Da die Lehrpersonen im Trainingsprogramm an ihren eigenen Beispielen arbeiten konnten, war diese mehrheitlich gegeben. Sind die Strategien mal erlernt, lassen sie sich auch bei anderen Belastungsfaktoren einsetzen. Und selbstverständlich ist eine gute Selbstregulation nur eine von vielen persönlichen Ressourcen, wenn auch eine sehr wirksame. Unser Selbstmanagementtraining fokussiert kognitive Problemlösefähigkeiten. Das Regulieren von Emotionen, etwa durch Entspannungstechniken, haben wir in der Studie nicht miteinbezogen.

Inwieweit sind Selbstmanagement und Selbstregulierung auch Thema in den Studiengängen der PH Zürich? Wird dieses Training dort auch angewendet?
Christine Wolfgramm: Das Training wurde spezifisch für die Weiterbildung entwickelt. Bereits während des ersten Studienjahrs, etwa in der Beurteilung der beruflichen Eignung, wird in der Ausbildung den Themen Belastbarkeit und Reflexion – als Teil der überfachlichen Kompetenzen – aber ebenfalls hohe Aufmerksamkeit geschenkt. In den Mentoratsgruppen wird teilweise mit ähnlichen Methoden gearbeitet, indem in sogenannten Reflexionsfenstern belastende Situationen eingebracht und diskutiert werden. Oder die Studentinnen und Studenten setzen sich für ihre Praktika ganz ähnlich wie in unserem Trainingsprogramm persönliche Lernziele. Selbstregulation ist nur ein Aspekt der professionellen Handlungskompetenz. So kann beispielsweise ein gutes Classroom-Management Belastungsfaktoren präventiv auffangen. Aber generell gilt schon: Wenn die Belastung hoch ist und die Reflexion darüber nicht gelingt, dann sind das eher schwierige Voraussetzungen im Lehrberuf.

Die Studie umfasst auch eine Befragung unmittelbar nach dem Lockdown im Frühling 2020. Hat sich die Belastungssituation der Lehrpersonen verschärft?
Christine Wolfgramm: Wir sind von der Hypothese ausgegangen, dass die Lehrpersonen in dieser Zeit sehr stark belastet waren. Tatsächlich war die Situation mit Fern- und Halbklassenunterricht im Frühling 2020 für Lehrpersonen mit Herausforderungen und Mehrarbeit verbunden. Unsere Studie hat aber auch gezeigt, dass die Befragten, je nach Persönlichkeit und vorhandenen Ressourcen, sehr unterschiedlich darauf reagiert haben. Die einen empfanden die Situation als belastender, andere fanden sie aufgrund der fehlenden direkten Kontakte sogar entlastend. Einheitlicher waren die Resultate in Bezug auf die Zufriedenheit: Diese erreichte im Juni 2020 ganz klar einen Tiefpunkt. Als wir die Befragung durchführten, dachten wir, die Pandemie sei mehr oder weniger vorbei. Würden wir die Lehrpersonen heute erneut befragen, kämen wir mit grosser Wahrscheinlichkeit zu anderen Ergebnissen.

Das Forschungsprojekt «Die Kunst, sich als Lehrperson selbst zu managen» wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. Projektleitung: Simone Berweger und Christine Bieri Buschor. Projektteam: Zippora Bührer, Andrea Keck Frei, Christine Wolfgramm, Susanna Abegg, Nicole Périsset, Birgitta Schmidt-Braun.