Mit fünfunddreissig beschliesst Nora Seed zu sterben. Die Hauptfigur in Matthew Haigs zauberhaftem Roman «Die Mitternachtsbibliothek» (Droemer 2021) gelangt jedoch nicht ins Jenseits, sondern findet sich in einer Welt zwischen Leben und Tod wieder. Punkt Mitternacht bleibt die Zeit stehen und Nora betritt eine Bibliothek mit endlosen Regalen. Jedes Buch bietet ihr die Chance, Entscheidungen zu revidieren und verpasste Versionen ihres Lebens auszuprobieren – als Olympiaschwimmerin, Musikerin, Philosophin, Mutter oder Gletscherforscherin. Aber welches davon ist das beste Leben?
Paul Austers Mammutroman «4 3 2 1» (Rowohlt 2017) spielt ebenfalls mit verzweigten Varianten einer Lebensbiografie. Allerdings weiss sein Held Archie Ferguson nichts von seinen Doppelgängern. Nach dem Startkapitel 1.0 faltet sich die Handlung in vier parallele Erzählstränge auf. Neben bewussten Entscheidungen und einschneidenden Schicksalsschlägen sind es manchmal unscheinbare Ereignisse oder zufällige Fügungen, die Archies Leben in ganz andere Bahnen lenken.
Durch einen globalen Kurzschluss verschlägt es auch den erfolglosen Musiker Jack Malik (Himesh Patel) in Danny Boyles Spielfilm «Yesterday» (2019) in ein Paralleluniversum. Als er aus dem Koma erwacht, scheint vorderhand zwar alles beim Alten. Doch bald muss Jack feststellen, dass in dieser Welt die Beatles völlig unbekannt sind. Also macht er sich daran, ihre unvergesslichen Songs niederzuschreiben und gelangt unversehens doch noch zu grossem, aber zweifelhaftem Ruhm.