Mit dem Clean-up-Day will das Thalwiler Schulhaus Sonnenberg die Kinder für Umweltthemen sensibilisieren. Als Mitglied des «Schulnetz21» unternimmt die Primarschule aber noch viel mehr in diesem Bereich.
Den ersten Zigarettenstummel findet die Gruppe bereits auf dem Pausenplatz. Eine Fünftklässlerin hebt ihn auf und wirft ihn in den Plastiksack. In der Unterführung kommen verbeulte PET-Flaschen, Verpackungen von Glacéstängeln und Getreideriegeln sowie eine Gesichtsmaske dazu. Als die drei Mädchen und zwei Knaben in die vielbefahrene Sonnenbergstrasse in Thalwil einbiegen, liegt in den beiden Plastiksäcken bereits eine beträchtliche Menge Müll. Auf einer Anhöhe erreicht die mit gelben Westen und Plastikhandschuhen ausgestattete Kinderschar einen hübschen Platz mit zwei Sitzbänken. Doch obwohl ein Abfalleimer daneben steht, ist der Boden mit Zigarettenstummeln übersät. Ganze Hände voll dieser halb zerfallenen Filter und Tabakresten klauben die Kinder aus dem Kies. «Wieso lesen die das nicht selber auf?», fragt eine Zweitklässlerin und gibt sich die Antwort gleich selbst: «Die sind wohl einfach zu faul.»
Das Primarschulhaus Sonnenberg hat Mitte September bereits zum siebten Mal beim jährlichen Clean-up-Day mitgemacht. Am Freitag und Samstag fanden schweizweit rund 500 Aufräum-Aktionen statt. Im Rahmen des gleichzeitig stattfindenden World-Clean-up-Day wurden in vielen weiteren Ländern zahlreiche Landschaften, Städte und Strände von Abfall befreit. In der Schweiz wird der Tag von der Interessengemeinschaft für eine saubere Umwelt (IGSU) koordiniert, welche von Recycling-Organisationen und kommerziellen Partnern wie etwa Coop, Migros, McDonald’s und dem Raucherwarenverband Swiss Cigarettes getragen wird.
Am besten vermeiden
Die Primarschule Sonnenberg setzt einen Schwerpunkt auf Umweltthemen. Der Clean-up-Day ist eine der Aktionen, mit denen sie ihre Schülerinnen und Schüler dafür sensibilisieren will. Beteiligt sind jeweils die zweiten und fünften Klassen. Je fünf Kinder sind in altersdurchmischten Gruppen in verschiedenen Quartieren unterwegs. Bevor sie losziehen, erhalten sie klassenweise eine Einführung.
«Wir sammeln heute Müll ein, weil es für die Natur und die Tiere nicht gut ist, wenn er herumliegt», erklärt Heike Leupi den Zweitklässlern. Die DaZ-Lehrerin ist Leiterin der vierköpfigen Projektgruppe Umweltschule und Hauptverantwortliche für den Clean-up-Day der Primarschule Sonnenberg. «Habt ihr beim Baden auch schon Plastik am Strand gesehen?», fragt Heike Leupi. Mehrere Schülerinnen und Schüler bejahen die Frage. Mit dem Webvideo der SRF-Serie «Clip und Clar» wird darauf die Problematik der verschmutzten Meere erläutert: Der Wind weht den Plastik in die Seen und Flüsse, welche ihn ins Meer spülen. Sonnenstrahlen und Wellen zerteilen ihn in immer kleinere Teile, die von den Tieren gefressen werden und via Fischmahlzeit auch wieder auf unseren Tellern landen können. Dazu kommt
Mikroplastik aus Shampoos, Textilien oder dem Pneu-Abrieb des Verkehrs.
Beeindruckend sind für die Kinder auch die langen Zeitspannen, die es braucht, bis Materialien verrotten: Bei einer PET-Flasche kann es bis zu 1000 Jahre dauern. Und selbst eine Bananenschale oder ein Taschentuch benötigen dafür noch drei Monate. An Ideen, wie der Abfall in der Landschaft zu vermeiden wäre, mangelt es nicht: «Am besten wäre es, gar nicht so viel Plastik zu verbrauchen», sagt ein Knabe. Derweil schenkt ein Mädchen seine Spielsachen, die es nicht mehr will, jeweils einer Spielgruppe in der Nachbarschaft. Und ein weiterer Junge liest unterwegs manchmal herumliegenden Müll auf und bringt ihn heim – nicht immer zur Freude seiner Mutter, wie er schmunzelnd erzählt. Auch Hahnenwasser zu trinken statt Getränke in Flaschen zu kaufen, sei ein wirksamer Beitrag zum Umweltschutz, erfährt man im Film.
Der Fokus auf das Thema Umwelt entspricht den aktuellen Legislaturzielen der Schulpflege Thalwil. Die Primarschule Sonnenberg ist Mitglied des kantonalen Netzwerks gesundheitsfördernder und nachhaltiger Schulen («Schulnetz21»). Mit der Einführung des Lehrplans 21 wurde dieses 2019 mit den Inhalten aus dem fächerübergreifenden Unterricht «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» (BNE) erweitert. Die Trägerschaft liegt bei der PH Zürich und den kantonalen Stellen für Suchtprävention. Die beteiligten Schulen erhalten Beratung und Unterstützung bei ihren Projekten und es finden Tagungen und Treffen für den Erfahrungsaustausch statt. Die PH Zürich bietet zudem eine Weiterbildung für die verantwortlichen Lehrpersonen an. Das Thema Umwelt ist jedoch nur eines von sieben Teilgebieten, welche im Bereich BNE zusammengefasst werden. Weiter gehören zum Beispiel Aspekte wie Gesundheit, Politik, Diversität sowie Wirtschaft dazu. Eine Herausforderung bei der Vermittlung dieser komplexen Inhalte ist, dass kein eigenes Fach dafür zur Verfügung steht.
Im Schulalltag integriert
Im Schulhaus Sonnenberg werden Umweltthemen mittels diverser Ansätze aufgegriffen. Eine der drei Regeln zum schulischen Zusammenleben lautet: «Ich trage Sorge zu den Sachen und der Umwelt.» Konkret wird dies zum Beispiel, indem jede Woche eine andere Klasse für das «Fötzeln» des Pausenplatzes zuständig ist. Danach wird der gesammelte Abfall gewogen und das Gewicht auf einem gut sichtbaren Plakat eingetragen. In jedem Schulzimmer stehen zudem Behälter für rezyklierbare Materialien zur Verfügung sowie eine Makulatur-Box, in der einseitig bedrucktes Papier für die Zweitverwertung gesammelt wird. Weiter besuchen die Klassen regelmässig die Kehrichtverbrennungsanlage. Geplant ist auch ein jährlicher Do-it-yourself-Tag, an dem Material und Einrichtungen des Schulhauses gereinigt, gepflegt und repariert werden. So sollen die Kinder lernen, sorgfältig mit den Gegenständen umzugehen.
Seit vielen Jahren gibt es zudem ein Biotop auf dem Areal, wo die Kinder Pflanzen und Kleintiere beobachten und entdecken können. Weiter profitiert die Schule jedes Jahr vom Angebot der Organisation Pusch (Praktischer Umweltschutz), welche Umweltbildung vermittelt. Dabei werden auch komplexere Themen wie etwa Energie und Klima, Wasser oder Biodiversität behandelt. Das Team hat vor Kurzem zudem eine Weiterbildung zum Thema «Draussen unterrichten» besucht. Seither findet der Unterricht immer öfter im Wald oder sonst irgendwo in der Natur statt, wobei die Kinder lernen, auf die Umwelt Rücksicht zu nehmen.
Lehrpersonen dienen als Vorbilder
Das Engagement der Schule für die Ökologie und Nachhaltigkeit sei wichtig, aber auch mit beträchtlichem Aufwand verbunden, sagt Heike Leupi. «Unsere Schule ist am Wachsen und das Team wird grösser.» Umso wichtiger sei es, alle Lehrpersonen gut in die laufenden Projekte einzuführen. Sie selber lebt den Umweltschutz auch privat. Zum Beispiel besitzt ihre fünfköpfige Familie kein Auto, heizt die Wohnung nicht auf T-Shirt-Temperaturen und kommt mit einem 17-Liter-Abfallsack pro Woche aus. Gleichzeitig ist der Projektverantwortlichen bewusst, dass der oft hektische Schulalltag manchmal zu Kompromissen verleiten kann. «Auch bei mir landet hin und wieder ein Papier im Müll statt im Altpapier, wenn ich im Stress bin», räumt Leupi ein.
In der Projektgruppe ist auch die Schulleitung vertreten. Das Thema stosse im Team auf grossen Rückhalt, sagt Schulleiterin Patricia Wegmüller. «Die meisten Lehrpersonen stehen dahinter und versuchen, sich im Alltag vorbildlich
zu verhalten.» Viele würden mit dem Velo oder dem Zug zur Arbeit kommen und das Biotop auf dem Schulhausareal
werde rege besucht. Das Thema Umwelt lasse sich wunderbar fächerübergreifend einbinden, sagt Patricia Wegmüller. «Mit dem Clean-up-Day setzen wir ganz konkret bei der Lebenswelt der Kinder an.»
Viel Abfall gefunden
Unterdessen trudeln die Gruppen in ihren leuchtend gelben Westen langsam wieder auf dem Schulhausplatz ein und deponieren ihre gut gefüllten Mülltüten auf einer ausgelegten Plane. Nach der Zehnuhrpause nehmen sie auf den Steintreppen Platz. Heike Leupi zieht sich Plastikhandschuhe über und beginnt, die Säcke nach wiederverwertbaren Materialien zu durchforsten, wobei sie zwei Kinder unterstützen. Als Erstes fischt sie eine zerbeulte Eistee-Flasche heraus. «Wohin kommt diese Flasche?», fragt sie in die Runde. «Das ist PET», antwortet ein Mädchen. Bevor der Gegenstand im entsprechenden Sammelbehälter landet, presst Leupi die Luft heraus und schraubt den Deckel wieder darauf. Das sei wichtig, um Platz zu sparen, erklärt sie. Dasselbe gelte für Aludosen.
Allmählich füllen sich die Boxen mit PET, Metall, Karton und Glas. Der Grossteil des gesammelten Materials landet jedoch im Müll: Vom Turnschuh über den feuchten Lappen und den kaputten Plastikfrosch bis zu den zwei angebissenen Sandwichs. «Foodwaste ist ein grosses Problem, weil dabei wertvolle Ressourcen verschwendet werden», weiss eine Fünftklässlerin. Die Schülerinnen kennen das Wort Foodwaste sowie andere Begriffe rund um Littering und Recycling, weil sie immer wieder im Unterricht thematisiert werden.
Bevor die vier Klassen um 11 Uhr wieder in ihre Schulzimmer gehen, steht noch ein kleiner Parcours für die spielerische Vertiefung des Themas auf dem Programm. An einem Posten schreiben die Kinder Begriffe entlang des Alphabets auf, die mit dem Thema zu tun haben: Von A wie Abfalleimer über U wie Umweltverschmutzung bis zu Z wie Zigarettenstummel. Einen Posten weiter verwandeln sie sich selber in verschiedene Materialien und wechseln auf Kommando ihre Plätze. Und als Drittes spielen sie «Activity» zum Thema Recycling. Ein Zweitklässler hat dabei eine schwierige Aufgabe erwischt: Er soll schauspielerisch eine Glühbirne darstellen. Der Junge verrenkt sich in alle Richtungen und gestikuliert angestrengt, bis eine Kameradin den Gegenstand endlich errät. Und dann ist die Zeit auch schon abgelaufen. «Die Aktion hat Spass gemacht», sagt ein Zweitklässler. «Ich war überrascht, wie viel Abfall da zusammengekommen ist.»