Das Schreib-Ego hofieren

Alex Rickert – Seitenblick

Textfeedback ist eine scharfe Klinge. Vor ein paar Jahren machte ich ein Interview mit einem Schweizer Autor für ein Literaturmagazin zum Erscheinen seines neuen Romans. Nach langem Gespräch und noch viel längerer Arbeit am Text schickte ich ihm das Interview zum Gegenlesen. Ich fand den Text ziemlich gelungen. Als ich das Interview zurückerhielt, war ich beleidigt. Der Autor änderte sehr viele Stellen ab und kommentierte ausufernd. Nach einiger
Überarbeitung schickte ich ihm den Text ein zweites Mal mit dem Ergebnis, dass nun er beleidigt war. Denn aus dramaturgischen Gründen hatte ich nicht all seine Wünsche übernommen.

Schreiben ist etwas Persönliches. Wenn der eigene Text kritisiert wird, fühlt man sich schnell persönlich gekränkt und hat das Gefühl, ein Dilettant zu sein. Aber warum sind Personen – und bei Weitem nicht nur Schriftsteller und Schriftstellerinnen – so empfindlich, wenn es um ihre Texte geht? Eine Antwort darauf lautet: Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Feedbackwahrnehmung und der Selbstwirksamkeit beim Schreiben. Das belegen mehrere Studien – bei Kindern und Erwachsenen. Wenn ein Feedback Gefühle wie Angst, Wut, Scham oder gar Schuld erzeugt, dann erschüttert die Rückmeldung das Schreib-Ego. Den Zusammenhang gibt es wohl auch bei gestandenen Autorinnen und Autoren, denen womöglich vorschnell Narzissmus angehängt wird. Peter Handke etwa reagierte äusserst pikiert auf eine knappe Rückmeldung seines Lektors Siegfried Unseld zu einem Manuskript. «Du sagtest», schrieb Handke in einem Brief an Unseld, «dass Du ‹begeisterst› seist – und dann hörte ich einen Satz, den ich nie vergessen werde: Du sagtest einem Autor, der ja immerhin schon einigermassen gelesen wird: ‹Dieses Buch wird seine Leser finden›. Was Du da sagtest, schlug mir ein richtiges Loch ins Bewusstsein.»

Man sieht, Textfeedback ist ein zweischneidiges Instrument. Es bringt Schreibende weiter, hat aber auch vernichtendes Potenzial. Das Schreib-Ego sollte deshalb hofiert werden. Aber wie? Erwiesenermassen führt nur akzeptiertes Feedback zu Überarbeitung, verbessert längerfristig die Schreibkompetenz und verstärkt die Selbstwirksamkeit. Doch was trägt dazu bei, dass Schreibende eine Rückmeldung akzeptieren? Aus der Psychologie ist bekannt, dass Menschen sowohl kognitiv als auch emotional auf Feedback anspringen. Auf kognitiver Ebene beeinflussen drei Faktorengruppen die Akzeptanz von Feedback: a) die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Feedbackquelle, b) wahrgenommene Gerechtigkeit/Fairness, c) Klarheit und Relevanz des Feedbacks. Diese Faktoren beeinflussen auch die affektive Reaktion auf ein Feedback.

Was das Gegenüber mit einer Rückmeldung anfängt, hängt weniger davon ab, ob sie Lob oder Kritik enthält, sondern davon, inwiefern sie akzeptiert wird. Kritisch darf sie sein, auf jeden Fall. Weh tun darf sie auch. Aber das Feedback muss fair, klar und relevant sein. Dann wird es eher angenommen und aus einem schlechten Text wird womöglich ein besserer. Wie gesagt: Textfeedback ist eine scharfe Klinge. Viel schlimmer als grottenschlechte Texte sind lausige Feedbacks. Die Wunden, die sie schlagen, heilen sehr langsam.

Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums der PH Zürich.