«Können Maschinen denken?», fragt Alan Turing 1950 in einem denkwürdigen Aufsatz, der nun als Neuübersetzung in einer zweisprachigen Ausgabe erscheint (Reclam 2021). Die Frage beschäftigt uns heute mehr denn je. Sogar an den von Turing diskutierten Einwänden gegen Künstliche Intelligenz hat sich seit 70 Jahren kaum etwas geändert. Da wir uns «Denken» ohne Bewusstsein und Emotionen nur schwer vorstellen können, entwirft Turing ein Imitationsspiel und regt zu einem Frage-und-Antwort-Experiment an, das inzwischen als «Turing-Test» geläufig ist.
Wenn eine Maschine sinnvolle Wortfolgen oder sogar Kunst hervorbringt, ist das noch kein Beweis dafür, dass sich dahinter ein denkendes Wesen oder gar eine poetische Seele verbirgt. Aber könnte dabei so etwas wie Literatur entstehen? Um dieser Frage nachzugehen, hat sich Schriftsteller Daniel Kehlmann auf den Versuch eingelassen, gemeinsam mit einer Maschine eine Geschichte zu schreiben. Von seinen Erfahrungen berichtet er in seiner Stuttgarter Zukunftsrede unter dem Titel «Mein Algorithmus und ich» (Klett-Cotta 2021).
Man kann den Spiess auch umdrehen, wie es der britische Autor und Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro in seinem Roman «Klara und die Sonne» tut (Blessing 2021). Seine Ich-Erzählerin ist ein humanoider Roboter und dafür programmiert, als Künstliche Freundin einem Kind Gesellschaft zu leisten und für dessen Wohlbefinden und Sicherheit zu sorgen. Wo ziehen wir bei diesem fiktionalen Imitationsspiel die Grenzen, um zwischen So-tun-als-ob und echter Zuneigung zu unterscheiden?