Hohe Literatur bei heissen Temperaturen

Über 1000 portugiesische Secondas und Secondos besuchen im Kanton Zürich den Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und mehr über die Heimat ihrer Eltern zu erfahren. In den letzten Jahren kamen zunehmend gut qualifizierte Zuwanderer aus städtischen Gebieten Portugals.

Das Thermometer im Schulzimmer im Stadtzürcher Schulhaus Kornhaus steigt unbarmherzig Richtung 30 Grad. 11 Schülerinnen und Schüler besuchen an diesem Samstagvormittag den freiwilligen Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK). Die Jugendlichen fächern sich mit ihren Schulheften Luft zu, doch die Sonne brennt durch die nach Süden gerichtete Fensterfront ins Schulzimmer. Derweil springen rund 200 Meter entfernt die Badelustigen in Scharen in die Limmat, um sich an diesem Sommertag Abkühlung zu verschaffen.

Die portugiesischen Secondas und Secondos im Schulhaus Kornhaus haben die Volksschule bereits abgeschlossen, sind mit einer Ausbildung gestartet oder absolvieren ein Praktikum. Sie kommen für die wöchentliche Doppellektion aus dem ganzen Kanton Zürich zu Onélia Jorge in den Stadtzürcher Kreis 4. Rund die Hälfte der Klasse wohnt in der Stadt, andere kommen aus Bauma oder Erlenbach bis nach Zürich in den HSK-Unterricht.

Portugiesische Literatur
Der schulische Stoff ist anspruchsvoll, sagt die 47-jährige Onélia Jorge. So setzen sich die Schülerinnen und Schüler an diesem Vormittag intensiv in Zweierteams mit dem Text «O Tesouro» des portugiesischen Schriftstellers José Maria Eça de Queiros auseinander. Angeregt diskutieren etwa Letizia und Shahira die Fragen der Lehrperson und fassen auf Anfrage den Inhalt souverän in wenigen Sätzen zusammen. Onélia Jorge geht von Gruppe zu Gruppe, klärt Fragen oder gibt inhaltliche Inputs.

Onélia Jorge lobt den Einsatz der Jugendlichen, besuchen sie doch den HSK-Unterricht, der üblicherweise von Secondas und Secondos während der Primarund Oberstufe absolviert wird, neben einer vollen Arbeitswoche und der Berufsschule. Dies ist auch der Grund, warum Onélia Jorge auf dieser Stufe keine Hausaufgaben gibt. Die meisten Schülerinnen und Schüler schliessen neben der Volksschule den HSK-Unterricht mit einem B2-Sprachtest ab. Für die Klasse im Kornhaus ist die nächste anvisierte Sprachprüfung bereits das C1-Niveau. Natürlich merke man den Jugendlichen an, dass der Wortschatz im Portugiesischen durch das Aufwachsen im Schweizer Sprachumfeld nicht derselbe sei, wie wenn sie in Portugal leben würden. Denn auch wenn sie mit ihren Eltern mehrheitlich Portugiesisch sprechen, könne das Schweizer Umfeld nicht wettgemacht werden. Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler der HSKKlasse haben Familie im Norden Portugals, etwa in Braga oder Villa Real. Ein Grossteil der Zuwanderung ab den 1970er-Jahren stammt aus dieser eher ländlich geprägten Region. Damals schloss die Schweiz mit Portugal ein Abkommen für die Einreise der sogenannten Saisonarbeiter ab.

In den letzten Jahren ist gemäss Ausländerstatistik des Bundes allerdings keine andere Gruppe von Zugewanderten so stark gewachsen wie diejenige aus Portugal. Sie sind die drittgrösste Gruppe nach jenen aus Italien und Deutschland. Die jüngere Zuwanderung unterscheidet sich von den bisherigen dahingehend, dass zunehmend besser qualifizierte Portugiesinnen und Portugiesen aus städtischen Gebieten in Portugal in die Schweiz migrieren. So etwa die 19-jährige Raquel, die erst vor fünf Jahren mit ihren Eltern aus Lissabon nach Zürich-Oerlikon zog und nun ein Praktikum als Fachangestellte Betreuung absolviert.

Starke Rückkehr-Orientierung
Onélia Jorge selbst ist 2001 nach dem Abschluss ihres Studiums zu ihrem Partner in die Schweiz gezogen, dieser war bereits als portugiesischer Secondo in der Schweiz aufgewachsen und sie hatten sich über dessen Verwandtschaft in Portugal kennengelernt. Seither unterrichtet sie HSK-Kurse auf unterschiedlichem Niveau von A1 bis C1, dies auch an verschiedenen Standorten, neben Zürich etwa in Basel. Koordiniert wird der HSK-Unterricht von Lurdes Gonçalves, sie arbeitet in der portugiesischen Botschaft in Bern als Erziehungsattachée und verantwortet den schweizweiten Unterricht. Allein im Kanton Zürich besuchen über 1100 Schülerinnen und Schüler den HSK-Unterricht, der von 11 Lehrpersonen angeboten wird. Gonçalves betont, dass der Unterricht bei vielen portugiesischen Familien einen hohen Stellenwert hat. Zum einen, da sie im Vergleich zu anderen Zugewandertengruppen vermehrt in die Heimat zurückkehren möchten, zum anderen aber auch, weil den Jugendlichen damit eine weiterführende Schulbildung oder ein allfälliges Hochschulstudium in Portugal möglich wäre.

Doch zurück ins Schulzimmer im Kreis 4: Die Jugendlichen – die in der Schweiz beruflich erst mit ihren Erstausbildungen gestartet sind – wären an diesem heissen Vormittag vorerst zufrieden, aus dem warmen Schulzimmer zu entfliehen. Der Fächer von Onélia Jorge liegt unbenutzt auf ihrem Pult, zum Luftfächern bleibt der engagierten Lehrperson während dieser Doppellektion keine Zeit.

PH Zürich unterstützt HSK-Unterricht
Kinder und Jugendliche nicht deutscher Erstsprache können in Zürich ab dem Kindergarten den ergänzenden Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) besuchen. Der HSK-Unterricht fördert die Erstsprache sowie die Chancengerechtigkeit und vermittelt Hintergrundwissen über die Sprachregion und das Herkunftsland. Die PH Zürich unterstützt die HSK-Lehrpersonen mit Weiterbildungen und eigens entwickelten, sprachspezifischen Lehrmitteln. Diese sind in sieben Sprachen übersetzt und online verfügbar: tiny.phzh.ch/jcpoosdn