Statistisch gesehen sitzt in fast jeder Schulklasse ein Kind mit ADHS. Denn von der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, wie das Syndrom in voller Länge heisst, sind zwischen 2,5 und 5 Prozent aller Kinder betroffen. Wenn Schülerinnen oder Schüler kaum stillsitzen und sich konzentrieren können, sind Lehrpersonen gefordert. Zudem kann das auffällige Verhalten die Beziehung zu anderen Kindern belasten. In seiner Bachelorarbeit hat sich Raphael
Meier damit beschäftigt, wie Lehrpersonen in der Regelschule mit hyperaktiven Kindern umgehen und ihnen ein geeignetes Lernumfeld bieten können.
Im Rahmen seiner Literaturrecherche ist der angehende Primarlehrer auf diverse Massnahmen gestossen. Sie reichen von einer reizarmen Gestaltung der Umgebung mit einer ruhigen Platzierung des betroffenen Kindes
über eine gut strukturierte Klassenführung, viel positiver Verstärkung bei angepasstem Verhalten in Form von Lob und Belohnung bis zu regelmässigen Bewegungspausen. Wichtig ist auch der Einbezug der Eltern. Denn auch sie sind häufig überfordert und benötigen Anleitung, um ihr Kind beim Lernen und Hausaufgabenlösen zu unterstützen. Zudem hat sich der Autor vertieft mit den sogenannten exekutiven Funktionen auseinandergesetzt. Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass die Schwierigkeiten von ADHS-Kindern mit kognitiven Prozessen im Gehirn zu tun haben, welche Funktionen wie die Impulskontrolle, das schnelle Wechseln zwischen verschiedenen Aufgaben (Shifting) sowie das Arbeitsgedächtnis beeinträchtigen. Eine Förderung der exekutiven Funktionen könnte einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von ADHS-Kindern haben. Wie die meisten anderen vorgeschlagenen Massnahmen ist die Evidenz dieses Ansatzes jedoch noch nicht ausreichend. «Ich habe den aktuellen Forschungsstand aufgrund des Überflusses an Ratgebern und Fachbüchern eindeutig überschätzt», stellt der Autor fest. Schwierig sei auch, dass sich die Störung sehr verschieden manifestieren kann und jedes betroffene Kind wieder anders auf eine Massnahme reagiert. Diese Erkenntnisse haben sich im Rahmen der beiden Interviews ergeben, die Meier im zweiten Teil seiner Arbeit mit einer erfahrenen Klassenlehrerin und einer Heilpädagogin geführt hat. Gemäss deren Aussagen dauert nur schon die Diagnosestellung oft bis zu zwei Jahren und erfolgt häufig erst in der Primarschule, obwohl dies bereits im Kindergarten ideal wäre.
«Ein Patentrezept für den Umgang mit ADHS-Kindern gibt es nicht. Es bleibt wohl nur das Trial-and-Error-Prinzip», sagt der Primarlehrer, der ab August als IF-Lehrer arbeitet. Das Thema begann ihn während der Vikariate zu interessieren. Zudem würden ihm die Symptome aus der eigenen Kindheit bekannt vorkommen, sagt der 30-Jährige, der aber selber nie auf ADHS abgeklärt wurde. «Ich kann gut nachvollziehen, wie sich diese Kinder fühlen.» Die Auseinandersetzung mit dem Thema werde ihm helfen, sich weniger aufzuregen über unerwünschtes Verhalten, sondern Wege zu finden, die sowohl Lernen als auch Unterrichten ermöglichen.