Bloss nicht zu viel Privates

Anna-Tina Hess und Georg Gindely
Illustrationen: Elisabeth Moch

Anna-Tina Hess: Ich habe Kopfschmerzen, mein Nacken fühlt sich steif an wie ein Kleiderbügel. Ich gehe in eine Massage in der Hoffnung auf Erleichterung. Die Massage ist eine Katastrophe. Ich verlasse das Massagezentrum mit hängendem Kopf, die Laune ist am Boden, die Tränen sind zuvorderst. Ausgerechnet da tönt es links von der Seite: «Grüezi Frau Hess!!!» Ich möchte im Boden versinken oder auf der Stelle unsichtbar werden, aber schon hüpft das Unausweichliche auf mich zu: Zwei Schülerinnen! In meiner Freizeit!

Ich lächle meine Schmerzen und die schlechte Laune so gut es geht weg und täusche Begeisterung vor: «Hoi zäme! Wie gaht’s eu? Und? Was mached er?» Ich meine, eigentlich mag ich sie ja, die beiden Schülerinnen, nur den Moment, den mag ich ganz und gar nicht. Als Lehrerin stehe ich selbstbewusst, innerlich ruhig und zufrieden vor der Klasse. Meist versuche ich das auch an schlechten Tagen. Im Schulhaus hat man allerdings Zeit, zwischen Lehrerzimmer und Schulzimmer noch einmal tief Luft zu holen und ein Lächeln aufzusetzen. Was passiert, wenn man dies nicht tut, habe ich erfahren, als ich es einmal anders machte. Ich erklärte nämlich meinen Schülerinnen und Schülern, dass es mir nicht so gut gehe, dass ich Kopfschmerzen hätte und dass ich sehr froh wäre, wenn sie diese Lektion etwas Rücksicht nehmen würden. Die sonst relativ ruhige Klasse riss mir in 45 Minuten den letzten Nerv aus. Ich entschied, die nächsten Kopfschmerzen wieder wegzulächeln. Es mag seltsam klingen, aber das Gute daran ist: Lächeln hilft manchmal mehr als eine schlechte Massage.

Georg Gindely: Beim Nachtessen erzähle ich oft von meinen Schülerinnen und Schülern. Ich mag sie sehr, aber im geschützten Rahmen der Familie motze oder spotte ich auch gern über sie. Ihre Namen und Macken sind meinen Kindern, beide selbst im Teenageralter, bestens bekannt. Auch meine Schülerinnen und Schüler wissen einiges über mich. Ich halte viel von Transparenz, und so habe ich ihnen vor zwei Jahren bei Schulbeginn mitgeteilt, dass ich als ihr Klassenlehrer noch mitten in der Ausbildung stecke. Ihren Eltern sagte ich am ersten Elternabend im ländlichen Aargauer Tal, in dem ich unterrichte, dass ich für die SP im Badener Stadtparlament sitze. Zudem teilte ich ihnen mit, dass ich ihre Sorgen und Nöte gut nachvollziehen könne, da ich selbst Teenager daheim habe. Die Offenheit hat sich bezahlt gemacht. Die Eltern fühlten sich verstanden und ehrlich informiert, die Schülerinnen und Schüler ebenfalls. Hartes Brot essen muss ich nach verlorenen Wahlen und Abstimmungen («Gsehnd Sie, Herr Gindely, d’SVP isch eifach besser.») oder wenn ich über Prüfungen an der PH klage («Jetzt wüssed Sie mol, wie’s eus ständig goht!»). Damit kann ich umgehen. Mittlerweile kommen mir meine Schülerinnen und Schüler aber fast ein bisschen zu nah. Seit mich vor kurzem meine Tochter in der Schule besucht hat, ist sie mit einigen von ihnen auf den sozialen Netzwerken befreundet – und auch mein Sohn bekam schon Anfragen («Herr Gindely, er isch soo en Hübsche!»). Beim Nachtessen bin ich deshalb auffallend vorsichtig geworden, was ich über meine Klasse erzähle.

Anna-Tina Hess und Georg Gindely studieren seit Herbst 2018 im Quereinstieg an der PH Zürich. Zuvor waren beide als Journalisten tätig. Sie schreiben an dieser Stelle über ihre ersten Erfahrungen in der Schule und an der PH Zürich.