Die Triathletin Nicola Spirig ist zweifache Olympia-Medaillengewinnerin, sechsfache Europameisterin, promovierte Juristin und Mutter dreier Kinder. Mit einer eigenen Stiftung und einem Triathlon-Wettkampf motiviert sie schon die Kleinsten dazu, sich zu bewegen.
In wenigen Monaten starten Sie an den Olympischen Spielen in Tokyo. Wie gestaltet sich die Vorbereitung?
Ich trainiere dreimal pro Tag, jedoch selten alle drei Sportarten am gleichen Tag. Ich lege den Fokus jeden Tag auf ein bis zwei Disziplinen, schwimme etwa am Morgen und absolviere danach zwei Radtrainings. Es kann auch sein, dass ich an einem Tag bis zu dreimal laufe, dafür am nächsten Tag nicht. Wir versuchen, den idealen Mix zu finden, dass die Sportarten voneinander «profitieren» können.
Gibt es auch Tage, an denen Sie sich erholen und nicht bewegen?
Es gibt Ruhetage, jedoch nicht jede Woche, sondern dann, wenn mein Körper wirklich Ruhe braucht, und auch dann bewege ich mich meistens etwas, weil sich der Körper durch die Durchblutung beim Bewegen schneller erholt, als wenn man gar nichts macht.
Wie schaffen Sie es, zum richtigen Zeitpunkt eine Topleistung zu erbringen?
Einerseits muss das körperliche Training genau auf diesen Zeitpunkt «getimt» sein. Das ist sicherlich auch die Aufgabe des Trainers. Daneben stellt sich aber auch die Frage der mentalen Vorbereitung. Es ist wahnsinnig wichtig, sich psychisch auf diesen einen Tag einzustellen und sich mit der Situation auseinanderzusetzen, Erfahrungen im Umgang mit Druck und Erwartungen zu sammeln und genau zu wissen, was man will.
Bundesrat Alain Berset sagte zu Beginn der Corona-Pandemie: Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Nun zeigt sich, dass es quasi ein Triathlon war und der Marathon erst noch ansteht. Was hilft Ihrer Erfahrung nach in einer solchen Situation?
Die Pandemie ist für viele eine unglaublich grosse Herausforderung. Sie stellt uns vor komplett neue Herausforderungen. Was ich als Athletin gelernt habe und mir auch in dieser Situation hilft: Es gibt immer Dinge im Leben, Umstände, auf die wir keinen Einfluss haben und die wir nicht ändern können. Es ist wichtig, dass man sich nicht auf diese Umstände konzentriert. Auf diese Weise werden auch keine negativen Gedanken darauf verschwendet. Viel essenzieller ist es, sich zu überlegen, wie das Beste aus den gegebenen Umständen gemacht werden kann und was ich selbst beeinflussen kann. Und natürlich ist es gerade in der jetzigen Zeit wichtig, flexibel zu bleiben.
Mit welchem Sport haben Sie ursprünglich begonnen?
Meine Eltern waren Sportlehrer. Wir Kinder durften viele Sportarten ausprobieren. Ich wuchs sehr polysportiv auf mit Schwimmen, Basketball, Mädchenriege und Wintersport. Mein Vater hat mich zudem die ersten 15 Jahre als junge Triathletin trainiert. Sport war meine beste Lebensschule. Und er ist es heute noch. Ich lernte, auf ein Ziel hin zu arbeiten, nicht aufzugeben, wenn es mal nicht so gut lief, mit Druck umzugehen und vieles mehr, was ich im Leben direkt nutzen kann. Zum Beispiel wusste ich vom Training, wie ich im Studium effizient lernen konnte und wie ich mich von Rückschlägen nicht beirren lassen und weiter mein Ziel verfolgen konnte. Ich wusste von den Wettkämpfen genau, wie ich im Hinblick auf die Abschlussprüfung meines Jus-Studiums mit Druck und Stress umgehen konnte.
Das klingt nach einer grossartigen Ressource. Wird dies auch schon in der Schule genug gepflegt?
Ich denke, die Aufgabe der Schule sollte sein, den Kindern zu vermitteln, dass Bewegung im Alltag aus ganz unterschiedlichen Gründen extrem wichtig für sie ist, und in ihnen mit abwechslungsreichem, spielerischem Sportunterricht die Lust und die Leidenschaft an Bewegung versuchen zu wecken.
Ist das heute schwieriger als früher?
Kinder bewegen sich gerne. Es ist aber so, dass es mit Fernsehen, Computer und Handys sehr viele andere Beschäftigungen gibt, bei denen man sich nicht bewegt. Früher ging man raus zum Spielen, das nimmt kontinuierlich ab. Hinzu kommt: Ich hatte im Quartier einen grossen Platz für Basketball oder Unihockey, einen Tennisplatz und den Wald gleich nebenan. Viele Kinder haben diese Möglichkeit aufgrund ihrer familiären Lage, ihres Umfelds und der Umgebung nicht.
Sie halten hier mit einem eigenen Angebot dagegen. Worum geht es dabei?
Ich habe gemeinsam mit meinem Mann, dem ehemaligen Triathleten Reto Hug, vor einigen Jahren den «Kids Cup by Nicola Spirig» initiiert. Damit wollen wir Kinder schon früh für den Sport motivieren. Das Angebot ist überhaupt nicht auf Leistung ausgerichtet, sondern auf Spass. So nehmen zum Beispiel viele 5-Jährige das 25-Meter-Becken mit Flügeli oder Schwimmnudel in Angriff oder absolvieren die Velostrecke mit Stützrädern. Auch die Zeit wird nicht gestoppt. Wir möchten zeigen: Sport ist megacool. Es geht nicht mal unbedingt um den Triathlon, sondern um Bewegung allgemein und ein positives Erlebnis mit der ganzen Familie.
Gibt es auch ein Angebot für Schulen?
Neben dem Wettkampf haben wir eine eigene Stiftung gegründet. Damit gehen wir in die Schulen und zeigen den Kindern, dass Bewegung nicht nur für den Körper wichtig ist, sondern dass sie durch den Sport auch viel für ihr Alltagsleben lernen wie Fairness, Teamgeist, mit Sieg und Niederlagen umzugehen oder auf ein Ziel hin zu arbeiten.
Wie motiviert man Kinder, sich zu bewegen?
Indem man ihnen zeigt, wie man gemeinsam etwas machen kann. Und indem man sie verschiedene Aktivitäten ausprobieren lässt und sie jene finden lässt, die sie persönlich gern machen. Ganz wichtig dabei: Die Kinder merken, wie gut es sich anfühlt, wenn sie durch das Wiederholen einer Aktivität immer besser werden und Fortschritte machen.
Worauf können Lehrpersonen achten?
Schön ist natürlich, wenn sie ihren Schülerinnen und Schülern möglichst viele verschiedene Sportarten zeigen. Falls sie erkennen, dass gewisse Kinder an einem bestimmten Sport besonders Freude haben, können sie sie an entsprechende Clubs und Vereine weitervermitteln. Mein Mann etwa wurde durch die Initiative seines Lehrers professioneller Triathlet.
Wie lassen sich Ihrer Erfahrung nach Schule und Leistungssport vereinen?
Da Triathlon ein Ausdauersport ist, musste ich mich nicht schon früh spezialisieren. Ich konnte deshalb eine normale Grundschule besuchen und später das Gymnasium gut mit meinem Training kombinieren. Auch an der Universität in Zürich liessen sich Studium und Sport problemlos vereinen.
Werden Sportlerinnen und Sportler in der Schweiz ausreichend unterstützt?
Im Vergleich zu früher hat sich hier einiges bewegt. Es ist aber auch so, dass Sport in der Schweiz noch immer eher selten als Beruf akzeptiert wird, vor allem bei Frauen. Es gibt sehr wenige Athletinnen, die mit ihrer Sportart ihren Lebensunterhalt oder gar jenen ihrer Familie bestreiten können. Hier bin ich in einer sehr privilegierten Lage. Ich würde mich freuen, wenn dies anderen Athletinnen auch möglich würde.
Wie gehen Sie mit Niederlagen um?
Niederlagen gehören zu jeder Karriere wie auch im übertragenen Sinne zu jedem Leben. Ich versuche, das Positive in Niederlagen zu sehen und herauszufinden, was dazu führte und was ich anders machen muss. So lerne ich aus den Situationen und werde dadurch besser und stärker. Wenn ich zurückschaue, konnte ich aus jeder schwierigen Zeit etwas lernen und brachte mich jede Niederlage weiter, auch wenn es manchmal anfangs nicht so schien.
Wie beginnt Ihr Tag – und wie hört er auf?
Am liebsten wache ich am Morgen mit meinem Kleinsten auf und am Abend schaue ich jeweils als Letztes in allen Zimmern meiner drei Kinder kurz vorbei.