
Anna-Tina Hess: Eigentlich gebe ich mir immer sehr Mühe, wenn es darum geht, klare Aufträge zu erteilen. Ich mache Powerpoint-Präsentationen, erkläre den Schülerinnen und Schülern alles noch mündlich und verteile ein Blatt mit den wichtigsten Informationen über das Was, Warum, Wie, Wielange und Womit. Was passiert, wenn man dies nicht tut, habe ich kürzlich schmerzlich erfahren.
So lautete einer von mehreren Aufträgen zur aktuellen Klassenlektüre im Deutschunterricht, den ich blauäugig einem Lehrmittel zum Buch entnommen hatte, lediglich: «In Kapitel 6 streitet Laurie mit ihrer Mutter über den Geschichtsunterricht von Ben Ross. Sie macht vor dem Zubettgehen noch einen Tagebucheintrag. Verfasse diesen Tagebucheintrag.» Einer meiner besten Deutschschüler setzte den Auftrag folgendermassen um: Er schrieb drei Sätze. Auf seinem iPad. Es waren hervorragende Sätze. Inhaltlich auf den Punkt gebracht. Die drei Sätze entsprachen aber natürlich in keiner Weise meinen Vorstellungen dieses Tagebucheintrags. Weder was die Länge noch was die Form betraf. Genau dies gab ich dem Schüler als Rückmeldung, worauf er meinte, er habe nur das gemacht, was im Auftrag stand. Irgendwie konnte ich seine Antwort nachvollziehen, denn wer sagt, ein Tagebucheintrag kann nicht nur aus drei auf dem iPad getippten Sätzen bestehen? So oder so war der Schüler nicht mehr für Ratschläge empfänglich und ich liess ihn gewähren, denn ich hatte bereits eingesehen, dass der Fehler bei mir lag. Ich verliess die Stunde und passte den Auftrag an: «Schreibe mindestens eine halbe A4-Seite! Handschriftlich!»
Georg Gindely: Den Lockdown vor einem Jahr fand ich nicht schlimm, im Gegenteil. Ich fand es spannend, online zu unterrichten und neue Möglichkeiten zu entdecken, Wissen zu vermitteln. Gleichzeitig zwang mich die neue Form dazu, meine Lektionen ganz genau vorzubereiten und die Aufträge glasklar zu formulieren. Was ich nicht verstand war, dass viele Schülerinnen und Schüler meine Begeisterung für die neue Unterrichtsform nicht zu teilen schienen, uninteressiert in die Kamera schauten, die Aufträge nicht oder schlecht erledigten, während der Lektionen regelmässig abtauchten oder überhaupt nicht auffindbar waren. Hey, das ist doch die Zukunft!, dachte ich. Heute, da ich seit Monaten selbst in der Position des Schülers am Bildschirm bin, sehe ich das anders. Kürzlich hat mich ein Dozent gefragt, ob bei mir alles in Ordnung sei, ich würde immer so ernst in die Kamera blicken. Ich bin nicht ernst, dachte ich. Ich bin schlicht gelangweilt, weil ich mich am Bildschirm nicht konzentrieren kann. Ich kann dafür gar niemanden kritisieren: Die Dozierenden sind gut vorbereitet, formulieren ihre Aufträge klar und sorgen für Abwechslung, indem sie uns in Break-out-Rooms schicken und mehr. Dennoch: Mir fehlt der Austausch vor Ort mit den Dozierenden und vor allem den Kolleginnen und Kollegen, und ich freue mich für meine Schülerinnen und Schüler, dass sie sich in der realen Schule treffen können. Auch wenn mein Unterricht wieder weniger gut vorbereitet ist und die Aufträge weniger klar formuliert sind als letztes Jahr im Lockdown: Meine Schülerinnen und Schüler lernen dennoch mehr als damals.