Graun am Reschenpass, in zwanzig Minuten vom Unterengadin aus erreichbar. Berge, Seen, Landwirtschaft und etwas Kleingewerbe. Trina hat ihre Ausbildung zur Lehrerin abgeschlossen und darf im zwangsitalienisierten Südtirol ihren Beruf nicht ausüben.
Sie und ihre Familien haben sich 1939 in der zwischen Mussolini und Hitler vereinbarten «Grossen Option» zum Bleiben entschieden und sind nicht ins Deutsche Reich ausgewandert. Nur im Versteck der Scheunen, Keller und Dachböden, in Katakombenschulen, kann Trina unter grosser Gefahr unterrichten, ihre Freundin wird erwischt und nach Lipari verbannt. Das Dorf wird gegen Ende des Krieges durch die Nazis besetzt und damit wieder gespalten – die Feindschaften und Zerwürfnisse ziehen sich selbst durch die Familien. Trina und ihr Mann fliehen in die Berge und warten in Höhlen und Hütten auf das Ende des Krieges. Dieser bringt neben dem Frieden neues Unglück. Der Talboden wird durch einen Stausee geflutet, und wieder werden die Bewohner gezwungen, zwischen zwei schrecklichen Lebenszukünften zu entscheiden: Umsiedlung oder finanzielle Abgeltung und Wegzug. Nachdem die Grauner zwei Diktaturen ausgesetzt waren, werden sie nun wirtschaftlichen Interessen geopfert.
Marco Bolzano erzählt die Geschichte des Traumas kultureller Entwurzelung und der Bedeutung von Sprache für die Identität. Ich bleibe hier – was Journalismus und Geschichtsschreibung nur selten vermögen, schafft dieser Roman: die Auswirkungen von Politik und Wirtschaft auf das Leben von Menschen konkret und emotional zu vermitteln. So verändert Literatur den Blick auf die Welt. Was könnte man sich mehr wünschen.
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