Die Abteilung Internationale Bildungsentwicklung der PH Zürich war bis im vergangenen März viel im Ausland unterwegs. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen die PHZH-Expertinnen und Experten ihre Weiterbildungen nun digital durchführen. Projektleiterin Corinna Borer erläutert, was sie dabei lernt und wie sie die Lehrpersonen im Balkan und der Republik Moldau unterstützt.
Akzente: Sie führen viele Weiterbildungsprojekte für Lehrpersonen im Westbalkan und der Republik Moldau durch. Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf die Volksschulen dort?
Corinna Borer: Die Corona-Pandemie hat die Schulen in Südosteuropa und in der Republik Moldau vor grosse Herausforderungen gestellt. In Kosovo, Albanien und der Republik Moldau wurde in Halbklassen unterrichtet. Insgesamt wurden in der Republik Moldau zehn Schulen geschlossen, weil diese überhaupt keine Ressourcen für den Online-Unterricht hatten. Für die Lehrpersonen bedeutet der Unterricht in Halbklassen natürlich viel mehr Aufwand.
In der Schweiz hatte die Schliessung der Schulen grosse Auswirkungen auf die Familien. Wie haben sich die Familien in den Ländern des Westbalkans und jene in der Republik Moldau organisiert?
Die Eltern wurden stark in den Unterricht eingebunden. Sie hatten im Vergleich zur Schweiz mehr Kontakt mit den Lehrpersonen und erhielten Anleitungen für die Hausaufgaben der Kinder. Die Eltern haben sich ausgeholfen und gegenseitig die Kinder betreut. In den Städten waren die Voraussetzungen für einen Online-Unterricht etwas besser als in ländlichen Regionen.
War es von Anfang an klar, dass Sie die Weiterbildungen mittels Online-Tools durchführen werden oder gab es Bedenken?
Zu Beginn war vieles unklar. Wir haben in der Vergangenheit oft Online-Tools für die Kommunikation mit den Partnerinnen und Partnern vor Ort genutzt. Allerdings nie für Weiterbildungen, denn die persönliche Beziehung ist das Fundament unserer Zusammenarbeit. Zuerst gab es grosse Bedenken auf beiden Seiten. Die Dozierenden der PH Zürich mussten ihre Weiterbildungen in kürzester Zeit auf digital umstellen, das hat sie wie die Lehrpersonen in der Schweiz gefordert. Uns war auch bewusst, dass es nicht in allen unserer Partnerschulen gute Internetverbindungen gibt und wir mit regelmässigen Stromunterbrüchen rechnen mussten.
Hat es geklappt hinsichtlich Stromzufuhr und Internet?
Bei einem Training mit Dozentinnen von der Universität Ion Creanga in Chisinau gab es einen Stromausfall. Weil wir vorher abgemacht hatten, dass wir uns bei einem Unterbruch alle nach einer halben Stunde wieder einloggen, konnten wir den Workshop nach der kurzen Verzögerung mit allen Teilnehmenden durchführen. Hätten wir das nicht abgemacht, wäre viel Zeit verloren gegangen, um sie wieder alle zu kontaktieren.
Wie liefen die Weiterbildungen konkret ab?
Wir geben den lokalen Projektkoordinierenden sehr viel Verantwortung. Sie erklären uns die Gegebenheiten vor Ort und wir berücksichtigen diese beim Planen der Weiterbildung. Für die Online-Weiterbildungen werden detaillierte Drehbücher mit verschiedenen Szenarien erstellt. Je nach Situation im Land in Bezug zu Corona mussten wir in der Lage sein, die Weiterbildung schnell anzupassen. Wichtig ist, einer Struktur zu folgen: kurzer Input, individuell Lesephase, intensive Austauschphase, kurze Rückmeldung im Plenum. Durchgeführt werden die Weiterbildungen von einem Dozierenden der PH Zürich und einem Moderator oder einer Moderatorin. Letztere sind auch zuständig für die technische Unterstützung. Meistens arbeiten wir mit Dolmetschern zusammen. Manchmal müssen diese in mehrere Sprachen übersetzen, etwa auf Russisch und Rumänisch in der Republik Moldau. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Weiterbildung machen entweder von zu Hause aus mit oder sie treffen sich in kleinen Gruppen in einer Schule und loggen sich von dort aus ein.
Wie habt ihr die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterstützt, die technisch Mühe hatten?
Wir haben vor Kursbeginn die Teilnehmenden gefragt, ob sie technische Unterstützung wünschen. Falls sie das bejahten, haben wir sie entweder von der PH Zürich aus unterstützt oder sie erhielten von IT-Expertinnen oder technisch affinen Kolleginnen und Kollegen im Land Support. Das Zusammenspiel von exakten Instruktionen und lernfreudigen Kursteilnehmenden machte unsere Weiterbildungen erfolgreich.
Ihr habt inzwischen seit vielen Monaten nur virtuelle Kontakte zu den Projektpartnerinnen und -partnern und den Lehrerinnen und Lehrern im Ausland. Wie wirkt sich das auf die Beziehungen aus?
Wir sitzen alle im gleichen Boot. Die Herausforderungen in den letzten Monaten haben unsere Beziehungen intensiviert und wir konnten sehr gut zusammenarbeiten. Wir treffen uns zwar nicht physisch, aber wir haben häufiger als vorher Kontakt miteinander. Das sind zwar immer virtuelle Begegnungen, aber durch die Herausforderungen der letzten Monate haben wir uns noch besser kennengelernt. Trotzdem vermissen wir die persönlichen Begegnungen sehr. In Südosteuropa ist es enorm wichtig, Vertrauen zu schaffen, denn das ist nicht von Anfang an da. Viele Lehrpersonen und Bildungsexperten sind gegenüber Online-Kommunikationsmitteln skeptisch. Ohne persönliche Begegnungen kann man keine Basis für ein erfolgreiches Projekt schaffen. Die Schulen vermissen unsere Besuche und wir vermissen die Zusammenarbeit vor Ort.
Neben den Weiterbildungen haben Sie auch Beratungen durchgeführt. Um was ging es hier?
Wir haben auf Bedürfnisse und Fragen reagiert. Es gab zum Beispiel Fragen, wie die Lehrpersonen die von uns entwickelten Lehrmittel im Unterricht einsetzen können. Sie wollten verstehen, wie wir das in der Schweiz machen. Diese Beratungen sind wichtig, denn wir können zurzeit keine Modell-Lektionen im Land abhalten. Wir haben einige unserer Projektpartnerinnen und Partner auch darin beraten, wie sie online unterrichten können. Ich glaube, dass die beste Beratung darin besteht, gut zuzuhören, die Probleme zu verstehen und zusammen im Gespräch Lösungen zu finden.
Was waren die grössten Herausforderungen der letzten Monate?
Die steigende Nachfrage nach Online-Besprechungen und unsere limitierte Zeit. Wir mussten sehr flexibel sein und unsere Weiterbildung den sich ständig ändernden Corona-Massnahmen in den Ländern anpassen. Wir wissen auch nicht, ob die fehlenden physischen Kontakte in diesem Jahr langfristig nicht doch eine negative Auswirkung auf unsere Zusammenarbeit haben werden.
Eine Veränderung bedeutet meist auch viel Potenzial. Inwiefern konntet ihr von der Umstellung auf digitales Lehren und Lernen profitieren?
In der Republik Moldau haben die Schulen vermehrt in die Infrastruktur und solide Internetanschlüsse investiert. Es wurden auch viele Projekte zum digitalen Lernen lanciert. Im Kosovo konnten wir noch mehr Lehrpersonen mit Weiterbildungen erreichen und sie gleichzeitig mit neuen digitalen Plattformen wie Zoom oder Teams vertraut machen. Unsere Projektleitenden haben gelernt, die Kompetenzen der Mitarbeitenden in einem Land noch besser in die Projekte einfliessen zu lassen. Die Lehrpersonen haben uns Feedback gegeben, dass sie viele neue Elemente des Online-Lehrens und -Lernens nutzen können.