Eine kleine und feine Insel der Ruhe

Die vielleicht kleinste Schulbibliothek im Kanton Zürich befindet sich in Wetzikon. Lauschig ist es da, und heimelig. Was sagen die Schülerinnen und Schüler der Unterstufe dazu?

Die Bibliothek liegt im Untergeschoss, man muss wissen, wo sie ist, sonst ist sie kaum auffindbar. An diesem Morgen finden sich zuerst die Schülerinnen und Schüler der fünften Klasse ein. Es ist noch früh, und die Kinder sind überraschend ruhig. Sie holen sich Bücher aus den Regalen, liegen auf die Bodenkissen oder setzen sich an den kleinen Tisch – volle Konzentration. Sind sie immer so ruhig? «Nein», sagt die Lehrerin. «Aber in der Bibliothek werden sie dazu angehalten, eine Stunde lang zu lesen.» Vor allem Lehrpersonen der Unterstufe kommen mit ihren Klassen regelmässig in die kleine Bibliothek. Manche verbringen ganze Lektionen hier.

Fotos: Niklaus Spoerri

Fokus auf Bücher
Die kleine Schulbibliothek gibt es seit 1995. Davor war sie eine sogenannte Wanderbibliothek, das heisst, jede Klasse hatte eine Kiste mit Büchern, die weitergegeben wurden. Das sagt Stefanie Honegger, Verantwortliche für die Bibliothek und seit fünf Jahren Primarlehrerin an der Schule Wetzikon. Neue Bücher bestellen, katalogisieren, einbinden. Stefanie Honegger macht die Bibliotheksarbeit Freude. Es gehe auch darum zu schauen, dass der Betrieb während des Jahrs im Gang sei und eine gewisse Ordnung herrsche. Immer nach den Sommerferien führe sie die neuen Lehrpersonen ein und erkläre ihnen, wie die Bibliothek funktioniere und aufgestellt sei. Manchmal helfe ihr ein Zivildienstleistender bei der Arbeit. «Derzeit überlegen wir uns, wie wir die Bibliothek etwas erneuern können», sagt sie. Rund 170 Bücher hätten sie kürzlich aussortiert. Darunter waren beispielsweise auch Bücher aus dem Jahr 1978, die nur noch selten ausgeliehen würden. Nun zählt der Bestand noch 1500 Werke. Zudem bräuchte es mehr Orte für die Kinder, wo sie sich zum Lesen etwas zurückziehen könnten. Denn der Raum ist nicht geteilt, es gibt nirgends eine Art Höhle oder Ecke. Das wolle man ändern. «Klein, aber fein», sagt Stefanie Honegger über ihre Bibliothek. Warum die kleine Bibliothek noch nicht mit einer Gemeindebibliothek fusioniert hat? Weil die Leseförderung eine zentrale Aufgabe der Bildung auf Primarstufe ist und weil die Bücher nahe griffbereit jederzeit verfügbar sein sollen, so die Antwort. Ausserdem findet es Honegger sinnvoll, dass die kleine Bibliothek ausschliesslich Bücher hat. «In der Stadtbibliothek hat es viele digitale Medien, Spiele, Computer. Wir konzentrieren uns auf das Medium Buch.» Eine Zusammenführung der beiden Bibliotheken sei nicht geplant, aber man wolle mit der Stadtbibliothek etwas enger zusammenarbeiten.

An diesem Morgen ist auch der zehnjährige Loreno in der Bibliothek und liest in einem Comicbuch. Aber seine grosse Leidenschaft ist etwas anderes: Flugzeuge. Er erzählt von den Gebrüdern Wright, den Flugpionieren, die vieles über das Fliegen in der Natur abgeschaut haben. Er weiss alles über den Concorde-Absturz. Und er bewundert Otto Lilienthal, den ersten erfolgreichen Flieger der Menschheit. Loreno hört gar nicht auf, von Flugzeugen zu sprechen. Sein Lieblingsflugzeug sei die Boeing 777-300ER, weil es «ein wirklich langes Flugzeug ist». Er kann kaum warten, bis er 14 Jahre alt ist. «Dann mache ich die Segelflugausbildung», sagt er. Und das klingt nicht nur nach einem Traum, sondern nach einem Plan.

«Mein Lotta-Leben» ein Must
Auch die Drittklässlerin Luana ist an diesem Vormittag in der Bibliothek. Sie liest ein Lotta-Buch. Kaum eine Schulbibliothek kommt ohne die Buchreihe «Mein Lotta-Leben» aus. Luana erzählt, dass sie Tiere liebe. Ihre Nonna habe Hühner und Schweine. Deshalb möchte sie einmal Tierärztin werden. Sie komme gerne in die Bibliothek, weil es hier ruhig sei, und sie mag die bunten Sitzkissen. Am liebsten leiht sie Bücher über Tiere aus, die viele Bilder hätten. Dann schaut sie die Fotos der verschiedenen Tiere an und stellt sich vor, welche Geräusche sie machen und wo sie leben.

Ebenfalls Tierbücher mag Cetta, neun Jahre alt und an diesem Morgen damit beschäftigt, in einem Buch über Vögel zu lesen. Ihr Vater sei Gärtner, erzählt sie, deshalb kenne sie eine Menge Vögel. Und sie mag auch Blumen. Ihre Mutter komme aus Indonesien und habe einen Balkon voller Blumen, so die Drittklässlerin. Cetta kommt gerne in die Bibliothek, weil «es anders ist als draussen». Manchmal döse sie über einem Buch ein, wenn sie müde sei. Als die Stunde vorbei ist, stürmen die Kinder raus und die Primarlehrerin Helga Zak lüftet den Raum, bis die nächste Klasse kommt. «Ja», sagt sie, der Raum sei klein und gemütlich und für die Kinder eine gute Gelegenheit, im Schulalltag etwas zur Ruhe zu kommen.

Serie «Unsere Bibliothek»
In der Serie «Unsere Bibliothek» besuchen wir in diesem Jahr verschiedene Bibliotheken im Kanton Zürich.