Weil er sich weigerte, den Hut auf der Stange zu grüssen, musste er zur Strafe den Apfel vom Kopf seines Sohnes schiessen. Die Geschichte von Wilhelm Tell kennen hierzulande fast alle. Die Figur ist der Inbegriff des freien Schweizers, der sich den fremden Vögten widersetzt, und wird auch heute noch regelmässig in politischen Kampagnen aufgegriffen.
Doch wie viel Wahrheitsgehalt ist an der Erzählung dran? Und wie nehmen Schülerinnen und Schüler den Nationalhelden wahr? In seiner Masterarbeit, die von der Stiftung Pestalozzianum mit dem diesjährigen Studienpreis ausgezeichnet wurde, hat sich Christopher Weikert mit der Frage befasst, wie in der Sekundarschule ein kritischer Umgang mit historischen Quellen vermittelt und das Geschichtsbewusstsein gesteigert werden kann.
Dass diesbezüglich Verbesserungspotenzial besteht, hat der studierte Historiker anhand eines Forschungstagebuchs festgestellt, in dem er über einige Monate hinweg seine Erfahrungen im Geschichtsunterricht dokumentierte. Im Rahmen seines Studiums der Fachdidaktik hat er eine Unterrichtsequenz zur Wilhelm-Tell-Sage entwickelt und sie mit seiner zweiten Sekundarklasse im Kanton Schaffhausen durchgeführt. Mit zwei Fragebogen erhob er zu Beginn das Vorwissen und das Geschichtsbewusstsein der Jugendlichen und liess sie eine Zeichnung anfertigen. Wie sich dabei zeigte, war den meisten bekannt, dass es sich um eine Sage handelt. Unsicherheit äusserten aber einige bezüglich der Zuverlässigkeit der Quellen. Nicht allen schien zudem klar zu sein, dass Geschichte den individuellen sowie zeitabhängigen Deutungen unterliegt. In diesem Punkt ortet der Autor ein wichtiges Lernfeld. Im Weiteren setzte sich die Klasse damit auseinander, dass Geschichte aus zahlreichen Informationsschnipseln rekonstruiert werden muss. Zudem las sie einen Quellentext zum Apfelschuss aus dem Weissen Buch von Sarnen, lernte Erzählungen mit ähnlichem Inhalt kennen, sah einen Film und beschäftigte sich mit einer zeitgenössischen politischen Rede.
Am Schluss stand eine Lernertragsreflexion, bei der sich die Schülerinnen und Schüler überlegten, welche der zu Beginn gestellten Fragen sie nochmals gleich und welche anders beantworten würden. Dabei wurde bei allen ein Wissenszuwachs sichtbar. Bei einigen hatte darüber hinaus ein Prozess des vertieften Verstehens und Durchdenkens eingesetzt. Ihnen war zum Beispiel bewusst geworden, dass sich die Erzählung im Laufe der Zeit verändert hat oder welche Bedeutung dem Armbrustschützen einst und heute zukommt. Diese Entwicklung entspricht der zeitgemässen Geschichtsdidaktik: Statt reinen Auswendiglernens von Fakten sollen die Jugendlichen die Vergangenheit kennenlernen, um die Gegenwart besser zu verstehen und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Sehr aufschlussreich fand Christopher Weikert den Ansatz der Vorwissenserhebung sowie den Abgleich mit dem Lernzuwachs. Der 37-Jährige arbeitet weiterhin an der Oberstufe im schaffhausischen Hallau und kann sich gut vorstellen, die Unterrichtsequenz später wieder aufzunehmen.