Die Kompetenz, ‹wo den einten Mühe macht›

Seit der Gründung prüft die PH Zürich die Deutschkompetenzen ihrer Studierenden. Dozentin Doris Grütz ist seit 2007 für die Prüfung verantwortlich. Im Interview gibt sie Auskunft, weshalb dieser Test wichtig ist und wo die Stolpersteine liegen.

Doris Grütz, Dozentin im Bereich Deutschdidaktik und Leiterin der Deutschkompetenzprüfung.

Akzente: Die PH Zürich fordert Mittelschulreife als Zulassungsbedingung. Ist es denn nötig, die Deutschkompetenzen ihrer Studierenden noch einmal zu prüfen?
Doris Grütz: Mittelschulen qualifizieren ihre Schülerinnen und Schüler in vielen Kompetenzbereichen. Deutsch ist dabei zwar ein wichtiger Bereich, aber eben nur einer von vielen. Ein Mittelschulabschluss ist auch mit deutlichen sprachlichen Defiziten möglich, denn in höheren Stufen geht es mehr um Inhalte, kaum um sprachformale Korrektheit. Schliesslich erfordern nicht alle Studiengänge und Berufe hohe Deutschkompetenzen.
Beim Lehrberuf ist das anders.

Fachliche Kompetenzen sind von Lehrpersonen in allen Schulfächern gefordert. Diese werden jedoch nicht in separaten Tests zu Studienbeginn gemessen. Weshalb in Deutsch?
Standarddeutsch ist in allen Fächern Unterrichtssprache und Lehrpersonen sind enorm wichtige sprachliche Vorbilder für die Schülerinnen und Schüler. Sprechen und Schreiben sind allgegenwärtig im Schulalltag und so sind Mängel in den Sprachkompetenzen der Lehrpersonen öffentlich und offensichtlich. Lehrerinnen und Lehrer korrespondieren auch mit Eltern und Behörden. Welchen Eindruck macht es, wenn die Tochter einen Elternbrief mit gravierenden sprachlichen Fehlern nachhause bringt?

Mein Vertrauen in die Lehrperson würde wohl deutlich sinken.
Die Sorgen der Eltern würden sich dabei vermutlich nicht nur auf den Deutschunterricht beschränken. Sprachliche Sicherheit und Korrektheit zählen zu den absoluten Grunderwartungen an Lehrpersonen. Deshalb würden sie die Kompetenzen der Lehrperson wohl weit umfassender in Zweifel ziehen – auch in Bereichen, die über Sprachkompetenzen hinausgehen. Diese Grunderwartung machen wir unseren Studierenden bewusst und qualifizieren sie, diese in ihrem Beruf zu erfüllen.

Welche Rolle spielt die Deutschkompetenzprüfung dabei?
Die Prüfung dient dazu, die Sprachbewusstheit der Studierenden zu fördern und ernstzunehmende Fälle von unzureichender Deutschkompetenz zu identifizieren. Denen, die die Prüfungen nicht bestehen, bieten wir Kurse an, um individuelle Lücken zu schliessen. Die zweite Prüfung bestehen die meisten danach problemlos. Wer auch bei diesem Versuch scheitert, muss sein Studium ein Jahr aussetzen und die Lücken selbständig aufarbeiten. Doch das sind nur wenige.

Wie viele fallen durch die erste Prüfung?
Im langjährigen Mittel sind es etwa 15 Prozent.

Das sind erstaunlich viele. Ist denn die Prüfung so schwierig?
Nein. Wir überprüfen lediglich die korrekte und angemessene Verwendung der Schriftsprache, keinerlei Spezialwissen. Die Prüfung führen wir seit 15 Jahren durch und entwickeln sie laufend weiter. Sie ist mittlerweile ausgereift und präzise auf die Anforderungen des Lehrberufs ausgerichtet. Durch die beiden in den Beurteilungskriterien aufeinander bezogenen Prüfungsteile – gezieltes Prüfen von Grammatik und Lexik einerseits, Verfassen von zwei kurzen Texten andererseits – erhalten wir aussagekräftige Ergebnisse. Deshalb kann ich mit Sicherheit sagen: Wer nicht besteht, verfügt über ernsthafte Defizite, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Problemen im Berufsleben führen.

Wie reagieren Studierende, die die Prüfung nicht bestanden haben?
Zunächst sicherlich wenig erfreut, was auch verständlich ist. Sie fühlen sich ungerecht qualifiziert und monieren den Mehraufwand, den sie aufgedrückt bekommen. Doch in den Aufbaukursen vollzieht sich bei fast allen eine Wandlung, die ich seit Jahren immer sehr gerne miterlebe. Die Teilnehmenden arbeiten hart und ernsthaft an ihren Deutschkompetenzen und machen in kurzer Zeit riesige Fortschritte, über die sie sich selbst sehr freuen. Da staune ich immer wieder, wie kurz und zufriedenstellend der Weg zu einem guten Sprachbewusstsein für viele ist.

Welches sind denn die typischen Fehlerquellen?
Dazu gehören falsche Fallanpassungen wie in «Ich gebe den Schülerinnen und Schüler_ eine Aufgabe» oder mit «wo» eingeleitete Relativ-Nebensätze: «Der Junge, wo in die 3. Sek A geht». Beides sagt man im Dialekt, nicht aber im Standarddeutschen. Auch die Bildung des Präteritums, welches im Schweizerdeutschen nicht existiert, macht Probleme. Ein Beispiel: «Sie rettete einen Vogel und lag ihn auf den Boden. Später fliegte er in den Himmel.» Formen wie «sie rufte», «er entscheidete» sind häufiger zu lesen. Auch Helvetismen, wie «die einten», finden sich immer wieder.

Dann ist das Dialektsprechen das primäre Handicap?
Nicht unbedingt. Verwechslung der Wortarten wie «dass/das», «indem» und «in dem», Rechtschreibung und Interpunktion sind verbreitet. Doch die starke Präsenz des Dialekts im Alltag kann für sprachlich Schwächere eine Hypothek sein. Standardsprache und Mundart weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Trotz fehlerhaften Sprechens der Standardsprache wird man verstanden. Das hindert viele daran, sich bewusst mit den sprachlichen Unterschieden auseinanderzusetzen. Im Schriftlichen kommt es dann zu Problemen.

Viele Studentinnen und Studenten sind nicht mit Deutsch als Erstsprache aufgewachsen. Fallen sie häufiger durch?
Nein. Sie bringen aus ihren Herkunftssprachen vielleicht andere Quellen für Fehler mit, kompensieren diese aber mit einem höheren Sprachbewusstsein. Sie haben Dialekt und Standarddeutsch als zwei Varietäten einer Sprache erlernt und können deshalb zwischen beiden differenzieren. Für jene, die erst seit kurzer Zeit in der Schweiz leben, ist die Herausforderung aber sicherlich grösser und die Durchfallquote höher. Fehler liegen bei dieser Gruppe vor allem in der Morphosyntax, d.h. bei den Endungen. Unkorrekte Rechtschreibung tritt seltener auf. Solche Fehler sind eher den nicht sprachbewussten Muttersprachigen «vorbehalten».

Ab Beginn des Studiums im Herbst bis Ende Jahr treten jeweils rund 900 Erstsemestrige zur Prüfung an. Kann die PH Zürich so viele seriös prüfen?
Wir setzen schon seit 2008 auf computerbasierte Prüfungen, was den standardisierten Grammatikteil einfach überprüfbar macht. Die beiden Textaufgaben werden maschinengeschrieben. Das erleichtert die Korrektur ebenfalls. Dieses Jahr ist es aber sicherlich besonders herausfordernd für das ganze Team.

Führen alle Pädagogischen Hochschulen die Deutschkompetenzprüfung durch?
Nein. Wir starteten mit der Gründung unserer Hochschule im Jahr 2002 als Erste. Im Lauf der Jahre sind weitere PHs dazugekommen, aber einige wenige kommen immer noch ohne aus. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Pädagogischen Hochschulen der deutschsprachigen Schweiz dereinst eine gemeinsame Deutschkompetenzprüfung entwickeln und durchführen. Es würde mich freuen, wenn wir unser Wissen und unsere langjährigen Erfahrungen zusammenführen und an einer gemeinsamen Lösung arbeiten könnten.