Hier schreibt ein Praktiker mit fast einem halben Jahrhundert Erfahrung in der Berufsbildung, und kein Historiker. Kein Wunder also, dass ein Sachbuch und keine wissenschaftliche Publikation vorgelegt wird. Es beginnt mit einem Überblick zur Geschichte der Schweizer Berufsbildung. Darauf folgen 160 Seiten Vertiefung zu über 30 Aspekten wie der Berufsfachschulen, der Frauen in der Berufsbildung oder der Entwicklung in den einzelnen Branchen. Der letzte und separate Tel umfasst einen 470-seitigen Materialienband mit Quellen, die dem Buch zu Grunde liegen.
Emil Wettstein zeichnet die Entwicklungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts in knapper Form nach und macht dadurch das von jeher typische Spannungsverhältnis zwischen staatlichen und privaten Interessen in der Berufsbildung deutlich. So lassen sich konstante Entwicklungen wie die fortlaufende Anpassung der Lerninhalte an die Anforderungen des Arbeitsmarkts, die zunehmende Durchlässigkeit, die Professionalisierung der Berufsbildungsverantwortlichen, aber auch die Ausweitung der Bundeskompetenzen nachvollziehen. Sie werden als Erfolgsgaranten eines Systems erkennbar, das dem in der Verfassung geforderten Anspruch nach Gleichwertigkeit der beruflichen und allgemeinen Bildung bisher gerecht werden konnte.
Damit erschliesst sich ein historisch gewachsenes und entsprechend heterogenes System, für dessen Verständnis ein Blick in die Geschichte notwendig ist. Wer als Berufsfachschullehrperson nachvollziehen will, wie sich ihr Beruf entwickelt hat und warum sich die Branchen darin so stark unterscheiden, wer als Berufsberatungsperson verstehen will, warum ihre gesetzliche Grundlage im Berufsbildungsgesetz festgeschrieben ist, oder wer sich für die Entwicklung der Gesetzgebung, der höheren Berufsbildung oder der Fördermöglichkeiten interessiert, der wird nicht um diese zur Zeit einzige aktuelle Darstellung der Geschichte der Schweizer Berufsbildung herumkommen. Die über 600 ausgewerteten Dokumente tragen das weit verzweigte Geschehen in einer leicht zugänglichen Gesamtschau zusammen. Sie ermöglicht eine Einsicht, die auch Emil Wettstein bei der Arbeit hatte: dass man ohne den Blick in die Geschichte das Rad immer wieder neu erfinden wird.