Die Welt der Bücher spielerisch kennenlernen

Die Bibliothek der Schule Wettswil ist gleichzeitig auch die Gemeindebibliothek. Hier treffen sich Jung und Alt. Für die Kinder organisiert die Schule auch Bibliothekslektionen. Ein Augenschein vor Ort.

«In welchen Büchern hat es meistens ein Inhaltsverzeichnis?», fragt die Bibliotheksmitarbeiterin Karin Auf der Maur. Rund zwanzig Kinder der dritten Klasse schauen sie mit grossen Augen an. Lorenzo streckt auf. «Sachbücher», sagt er und liegt goldrichtig mit seiner Antwort. Er hat eine schwere Tasche mit Büchern dabei, die er ausgeliehen hat. Er scheint alles andere als ein Lesemuffel zu sein.

Fotos: Dieter Seeger

Es ist 10 Uhr und in der Bibliothek der Schule Wettswil herrscht Hochbetrieb. Die Kinder erhalten eine sogenannte «Bibliothekslektion». Sie lernen, was ein Klappentext ist, weshalb jedes Buch eine ISBN-Nummer hat und wieso diese immer mit 978 beginnt, wie man die Zeichnungen in einem Buch nennt, was ein Cover oder eine Signatur ist. Die Kinder zeigen sich neugierig und wissbegierig. Um das Erlernte zu vertiefen, spielen sie im Anschluss ein Bücher-Bingo. Dazu werden Stifte und Blätter verteilt, und jedes Kind darf sich irgendein Buch aussuchen. Karin Auf der Maur stellt eine Frage und wirft gleichzeitig einen grossen Schaumstoff -Würfel. Wer die Frage beantworten kann und die entsprechende Zahl in seinem Raster-Heft hat, kann ein Kreuz machen. Die Fragen sind nicht immer ganz einfach, und es geht ziemlich schnell. Wer hat ein Buch in der Hand, dessen ISBN mit der Zahl Sieben aufhört? Wessen Buch ist von einem Mann geschrieben? Wer hält ein Buch in der Hand, das vor 2016 erschienen ist? Wer hat ein Buch, das ein Foto des Autors oder der Autorin enthält? Handelt es sich beim Buch um eine Übersetzung oder um einen Originaltext? Plötzlich rufen Noel und Gregoire gleichzeitig «Bingo». Der Aufruhr ist gross, die Klassenlehrerin Sarah Basso mahnt die Schülerinnen und Schüler zu etwas mehr Ruhe. «Das hat Spass gemacht», sagt Noel. Julia schmollt etwas. «Mir ging das zu schnell», sagt sie auf Nachfrage. Die Kinder werden nun in die Pause entlassen. Sie spielen Versteckis zwischen den Bücherregalen, klettern auf den Turm oder malen in ihre Hefte.

Lust und Freude wecken
Die Bibliothek der Schule Wettswil ist gleichzeitig auch die Gemeindebibliothek. Die Bibliotheksleiterin Fabienne Maurer ist zufrieden mit diesem Konzept. «So hat auch die Bevölkerung Zugang zur Bibliothek und es gibt genügend Ressourcen, um sich um einen aktuellen und umfassenden Bestand zu kümmern», sagt sie. Gerade für kleine Gemeinden sei dies eine gute Lösung. Der Bestand der Bibliothek umfasst rund 14’500 Medien und wird laut Maurer «sehr gut genutzt». Zudem habe die Bibliothek viermal pro Woche zur Mittagszeit geöff net für die Kinder, die sich am Mittagstisch befi nden würden. Maurer zeigt auf das Gebäude gegenüber. Rund 150 Menüs würden dort täglich gekocht. «Da wir mit der Tagesstruktur arbeiten, kommen viele Kinder auch über Mittag in die Bibliothek, um zu lesen oder ein Spiel zu spielen.» Seit Sommer 2017 befindet sich die Bibliothek in diesem Schulhaus. Viele Familien mit Kindern kämen hierhin, auch zahlreiche Pensionierte finden den Weg in die Bibliothek, sagt Maurer. Bei einem Gang durch die helle Bibliothek fällt auf, wie strukturiert und geordnet die Medien aufgeteilt sind. Es gibt ganze Abteilungen wie «Haus & Freizeit» oder «Krimi & Thriller». Den Büchern in der Rubrik «Tier & Natur» sieht man die starke Nutzung teilweise an. «Ja, die werden gerne ausgeliehen», sagt Maurer. Ebenfalls sehr beliebt seien die Comic-Romane. Es ist bekannt, dass interaktive Elemente wie Rätsel, Pop-ups, Spiel- und Bastelangebote die Lesemotivation bei Kindern steigern. Buben würden zudem gerne auch Detektiv- und Abenteuergeschichten lesen oder Sachbücher über Entdecker und Erfinder.

In der Bibliothek finden gemäss Maurer auch zahlreiche Leseprojekte und Tauschbörsen statt. Pro Schuljahr fände für jede Schulklasse dreimal eine Doppellektion in «Medien-, Informations- und Recherchekompetenz» statt.

Und einmal jährlich organisiere man eine Animation, wo die Schule neue Medien und Bücher vorstellt. «Wir wollen damit bei den Schülerinnen und Schülern die Lust und Freude auf Bücher wecken», so Maurer.

Voll bei der Sache
Als die Pause vorbei ist, geht es darum, alles über die Entstehung eines Buches zu lernen. Ein Plakat mit dem Titel «Von der Idee zum Buch» zeigt mit Bildern die einzelnen Phasen auf. «Was würdet ihr als Erstes machen, wenn ihr ein Buch schreiben wollt?», fragt Karin Auf der Maur. Sufjan sagt: «Ich würde zuerst einen Titel machen.» Yassire widerspricht: «Ich würde zuerst die Bilder malen.» Aber Marlon kennt wohl die richtige Antwort: «Ich würde mir zuerst eine Idee überlegen.» Genau. Und wenn man sie gefunden hat, die Idee? «Schreiben!», ruft Lorenzo. Die Kinder sind voll bei der Sache, überlegen, machen mit. «Was passiert, wenn das Buch geschrieben ist?», fragt Auf der Maur. «Dann kommt die Migros und kauft es ein», sagt Gino. Alle lachen. Karin Auf der Maur erklärt, was ein Verlag ist und wie die Arbeit in einem Verlag aussieht. Korrigieren, redigieren, layouten. Dann werde das Buch gedruckt und gebunden. «Früher wurden die Bücher mit einer Schnur gebunden, und manchmal fi elen die Seiten aus. Heute werden die Seiten zusammengeklebt, das ist wohl effi zienter bei der Herstellung», erklärt Karin Auf der Maur. Um das Wissen zu festigen, sollen die Kinder die einzelnen Schritte nochmals gemeinsam mit Bildern aufzeigen. Julia ist immer noch voll bei der Sache. Ob ihr diese Aufgabe gefällt? «Ja, wenn ich das nächste Mal ‹Pippi Langstrumpf› lese, weiss ich, wie das Buch entstanden ist.»

Serie «Unsere Bibliothek»
In der Serie «Unsere Bibliothek» besuchen wir in diesem Jahr verschiedene Bibliotheken im Kanton Zürich.