«Die Krise hat uns alle sehr gefordert»

Heinz Rhyn trägt als Rektor bei der Bewältigung der Corona-Krise die Gesamtverantwortung für die PH Zürich. Im Interview gibt er Einblick in seinen persönlichen Umgang mit der Situation und er sagt, wie Corona die Schule und das gesamte Bildungssystem beeinflussen könnte.

Heinz Rhyn, Rektor der PH Zürich.

Akzente: Heinz Rhyn, wir führen dieses Gespräch Ende Juni. Was ist Stand heute Ihre Einschätzung, wie die PH Zürich die Corona-Krise gemeistert hat?
Heinz Rhyn: Wir haben diese Krise bis jetzt gut überstanden und gemanagt. Wir waren in den ersten Wochen sehr schnell und konsequent und gleichzeitig auch vorsichtig in unseren Entscheidungen. Corona war in der Hochschulleitung bereits Mitte Januar ein Thema. Dadurch konnten wir rechtzeitig die Krisenorganisation aufgleisen und einen strategischen und operativen Krisenstab einsetzen. Ein früh getroffener Entscheid war, dass wir uns konsequent an die Empfehlungen des Bundesrates und der Regierung des Kantons Zürich halten. Dieses Vorgehen hat sich bewährt. Wir haben im Krisenstab dann schon sehr bald beschlossen, dass wir den Präsenzunterricht an der PH Zürich bis Ende Semester, also bis Ende Juni, einstellen und die Aus- und Weiterbildung im Distanzbetrieb fortführen.

Wie bewerten Sie rückblickend diese Umstellung?
Die kurzfristigen Umstellungen waren für alle Beteiligten mit grossen Herausforderungen verbunden. Die Bereitschaft war jedoch auf allen Seiten, sowohl bei den Studierenden als auch bei den Dozierenden und beim administrativ-technischen Personal sehr hoch und wir konnten diese Phase erfolgreich meistern. Die Administration und der Fernunterricht funktionierten insgesamt sehr gut. Ein grosser Vorteil war, dass unsere Infrastruktur – sowohl die Hard- als auch die Software – von Anfang an umfassend zur Verfügung stand und zuverlässig funktionierte. Wir haben dazu die Informatik kurzfristig stark aufgerüstet.

Wie gehen Sie persönlich mit der Situation und der grossen Verantwortung um, die Sie als Rektor tragen?
Die Krise hat uns alle sehr gefordert, sowohl mich persönlich als auch meine Kolleginnen und Kollegen in den Krisenstäben. Genauso haben die Führungspersonen und Mitarbeitenden in unseren verschiedenen Organisationseinheiten enorme Belastungen erlebt. Wir arbeiteten in der ersten Phase oft sieben Tage in der Woche. Und es ist auch jetzt noch sehr streng, denn die Krise ist leider noch nicht ausgestanden. Eine meiner wichtigsten Aufgaben als Rektor ist es, kurzfristig zielführende Entscheidungen herbeizuführen und den Mitarbeitenden Orientierung und Sicherheit zu geben. Aufgrund der sich laufend ändernden Situation ist das eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und ich bin sehr froh um die grosse Unterstützung, die ich hier von meinen Kolleginnen und Kollegen erhalte. Da wir einen guten Umgang mit der Gesamtsituation gefunden haben, ist die Belastung aber zu bewältigen. Jeder Zwischenerfolg gibt wieder neue Energie.

Waren Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn jemals mit einer vergleichbaren Situation konfrontiert?
Nein, in diesem Ausmass habe ich das noch nie erlebt. Ich habe jedoch im Rahmen früherer Anstellungen Krisenübungen durchgeführt. Von diesen Erfahrungen kann ich bis zu einem gewissen Grad profitieren, auch wenn in einem konkreten Fall einiges anders läuft als im fiktiv durchgespielten Beispiel. Das Besondere an der aktuellen Situation ist die lange Dauer der Krise und damit verbunden die fehlende Planungssicherheit. In der Regel sind Krisen kurzfristig auftretende und zeitlich befristete Ereignisse, beispielsweise bei einem Brand. Corona hingegen beschäftigt uns inzwischen seit Monaten.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Niemand weiss, wie sich die Situation entwickeln wird. Wie gehen Sie mit dieser Ausgangslage um?
Wir rechnen damit, dass wir unsere Lehre noch für eine längere Zeit nicht im Regelbetrieb durchführen können, und haben entsprechende Konzepte entwickelt, um den Studienbetrieb weiter im Distanzmodus oder in einem hybriden Modell mit einer Mischform von Distanz- und Präsenzbetrieb bestreiten zu können. Mitarbeitende, die beispielsweise im administrativen Bereich tätig sind, arbeiten wenn möglich weiter häufig im Home-Office. Wir möchten hier als Hochschule auch einen Beitrag dazu leisten, den öffentlichen Verkehr nicht zu stark zu belasten.

Wie kann die PH Zürich gewährleisten, dass sie den Studierenden auch im Fernunterricht die für die Berufstätigkeit erforderlichen Kompetenzen vermitteln kann?
Die Lehre an der PH Zürich können wir zu einem grossen Teil auf einem hohen Niveau im Distanzmodus durchführen. Diese Erfahrungen haben wir jetzt sammeln können, auch wenn dies nicht in allen Fächern gleich gut möglich ist. Dies gilt jedoch nicht für die berufspraktische Ausbildung. Als die Schulen geschlossen wurden, fehlte uns von einem Tag auf den anderen unser wichtigster Partner. Nachdem die Schulen wieder geöffnet waren, setzten wir alles daran, eine berufspraktische Ausbildung zu organisieren, welche die Schulen nicht belastet, sondern unterstützt. Insofern konnten wir das Verpasste in diesem Bereich nachholen. Ich bin davon überzeugt, dass die Studierenden, die ihre Ausbildung vor den Sommerferien abgeschlossen haben, bereit sind für die Praxis.

Wir haben bisher ausschliesslich über die Aus- und Weiterbildung gesprochen. Welche Implikationen hatte die Krise auf die Forschung, den dritten grossen Leistungsbereich an der PH Zürich?
Die Forschung war im Bereich der Projekte und der Nachwuchsförderung bei den Promotionen und Habilitationen betroffen. Die Erhebung von Daten in Form von Befragungen etwa von Lehrpersonen konnte nicht durchgeführt werden. Insofern gab und gibt es bei diesen Forschungsprojekten Verzögerungen. Der Schweizerische Nationalfonds hat beispielsweise sämtliche durch ihn geförderten Projekte um ein halbes Jahr verlängert. Gleiches gilt für die vom Bund unterstützten hochschulübergreifenden Projekte.

Kommen wir zurück auf die Schule: Welchen Einfluss wird die Corona-Krise Ihrer Einschätzung nach auf das Schul- und Bildungssystem haben?
Die Lehrpersonen haben während des Fernlernens ein enormes Engagement gezeigt und die Eltern haben erkannt, wie viel die Schule leistet. Zudem hat uns die Krise vor Augen geführt, was uns fehlt, wenn wir es nicht haben. Die Kinder freuten sich sehr, als die Schulen wieder öffneten. All dies trägt dazu bei, dass die Wertschätzung für den Lehrberuf und die Schule nochmals zugenommen hat. Davon werden wir längere Zeit profitieren. Ausserdem haben an der PH Zürich die Anmeldungen zum Studium bei den Studiengängen für die Volksschule in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr nochmals deutlich zugenommen. Auch dies ist ein Zeichen für das hohe Ansehen des Lehrberufs. Anmeldeschluss war Anfang Mai, also mitten in der Krise. Insofern hatte die aktuelle Situation hier allenfalls auch einen Einfluss auf die Studienwahl der Maturandinnen und Maturanden.

Wie kann sich die Schule die steigende Wertschätzung langfristig zunutze machen?
Der Bund und die Kantone mussten in den vergangenen Monaten aufgrund der Corona-Krise hohe finanzielle Investitionen tätigen. Dieses Geld wird man in den kommenden Jahren einsparen müssen. Bei der Frage, wer wie viel sparen muss, kann es dem Bildungssystem als Ganzes möglicherweise helfen, dass in der aktuellen Situation die Bedeutung der Schule erkannt wurde.