«Ein Experiment ist dann gut, wenn es die Neugier anregt»

Armin Duff entwickelt mit seinem Team die Angebote im Technorama. Der Physiker findet es nicht schlimm, wenn Kinder in der Ausstellung herumrennen. Schliesslich müssten sie erst auswählen, was sie interessiert. «Das kann ich auch», sollen Besucherinnen und Besucher nach dem Besuch der Ausstellung denken.

«Bei uns gilt: Anfassen erlaubt! Da geht auch einmal etwas kaputt.» Armin Duff im Technorama in Winterthur. Foto: Nelly Rodriguez

Wenn ich an meinen ersten Besuch im Technorama denke, sehe ich Haare, die zu Berg stehen. Können Sie sich an Ihren ersten Besuch erinnern?
Armin Duff : Ich habe das Technorama erst während des Studiums kennengelernt bei einem Besuch mit meinem Neffen. Meine erste Erinnerung ist, wie ich ein Velorad in die falsche Richtung schwinge. Als ich das Rad in die dafür vorgesehene Verankerung stellte, sprang es heraus und rollte durch die ganze Ausstellung. Inzwischen weiss ich, dass solche Dinge zum Alltag im Technorama gehören. Bei uns gilt: Anfassen ist erlaubt! Da geht auch einmal etwas kaputt und muss repariert werden.

Bei unserem kurzen Rundgang in der Ausstellung haben wir vergnügte, staunende Kinder und Jugendliche gesehen. Was ist das Erfolgsrezept des Technoramas?
Im Technorama kann man Naturphänomene mit eigenen Augen, Ohren und Händen direkt erfahren, und zwar auf eine sehr spielerische Art und Weise. Wir bieten von wissenschaftlichen bis zu künstlerischen Ansätzen eine grosse Vielfalt an Möglichkeiten, um Naturphänomenen zu begegnen. Unsere Exponate sind auch immer so gebaut, dass sie von mehreren Seiten zugänglich sind und man zu zweit interagieren kann. Der Dialog ist uns wichtig, weil beim Sprechen über Naturphänomene wichtige Lernschritte geschehen. Für das, was ich gerade gesehen habe, muss ich Worte finden und wenn ich ein Wort noch nicht kenne, muss ich mit der anderen Person abmachen, was ich meine.

Die Faszination für die Phänomene ist das eine. Wie gelingt der Schritt zum genauen Beobachten und Verstehen?
Es gibt viele Stufen von Lernen. Wenn man die erste Stufe des Beobachtens und unmittelbaren Erlebens überspringt, verpasst man die Chance, ein grundlegendes Verständnis von Naturphänomenen zu schaffen. Die Faszination überhaupt zu wecken, ist also ein sehr wichtiger Schritt. Zum Teil wird es von aussen als negativ betrachtet, dass Kinder in unserer Ausstellung herumrennen. Doch bei über 500 Exponaten muss man erst herausfinden, was einen interessiert. Man springt vom einen zum anderen, landet dann dort, wo es einen packt, und fragt: «Was passiert da? Was ist das?»

In der Pubertät nimmt das Interesse für Natur und Technik tendenziell ab. Wie erleben Sie das im Technorama?
Vorhin haben wir eine Klasse im Vortex-Tunnel gesehen, der durch das Drehen des Raumes den Gleichgewichtssinn herausfordert. Die Jugendlichen haben sich voll darauf eingelassen. Auch bei ihnen gibt es ein Bedürfnis, echte Erfahrungen zu machen und Phänomene unmittelbar zu erleben. Wir leben in einer Zeit der Attention Economy, in der um Aufmerksamkeit gekämpft wird. Wir befinden uns auch in diesem Kampf und sind dabei aber sehr analog unterwegs. Wir machen keine Computersimulationen von Phänomenen, arbeiten nicht mit Virtual Reality, in der Ausstellung gibt es auch bewusst kein Wifi. Es soll aber natürlich möglich sein, die Eindrücke mit anderen zu teilen. Deshalb darf man bei uns auch fotografieren. Denn es ist ja schön, wenn die Jugendlichen ein Foto aus der Ausstellung auf Instagram stellen und zeigen: «Hey, das ist Wissenschaft.»

Achten Sie speziell darauf, dass die Angebote Mädchen ansprechen?
Das ist bei uns ein Thema. Aber die Frage, wie man Mädchen begeistern kann, ist falsch gestellt. Die Grundannahme hinter dieser Frage ist ja, dass Mädchen etwas Bestimmtes gerne machen und anderes nicht. Vielmehr gibt es ein Spektrum von Vorlieben, wobei Gender einen Einfluss haben kann, genauso wie das Alter oder der familiäre Hintergrund. Diese verschiedenen Vorlieben versuchen wir mit einer Vielfalt von Angeboten abzudecken. Beim Thema Gendergerechtigkeit sind auch Rollenbilder wichtig, also die Frage, wer eigentlich Wissenschaft macht. Unter unseren Angestellten, die in der Ausstellung mit Besucherinnen und Besuchern gemeinsam experimentieren, haben wir Menschen mit verschiedensten Hintergründen aus unterschiedlichsten Altersklassen, darunter viele Frauen.

Sollte Natur- und Technik-Unterricht in der Schule ähnlich wie im Technorama funktionieren?
Der Ansatz der Handlungsorientierung, des Beobachtens und Experimentierens sollte auch in der Schule wichtig sein. Da ist im Schulunterricht ein grosser Wandel im Gange, den wir sehr begrüssen. Der Lehrplan 21 war für uns eine Bestätigung für das, was wir machen. Wir bieten hier allerdings Erlebnisse, die die Schule nicht bieten kann. Das heisst aber nicht, dass die Schule nicht ähnliche Erfahrungen mit einfachen Mitteln ermöglichen kann. In unseren Weiterbildungen für Lehrpersonen zeigen wir, wie man mit ganz einfachen Mitteln aus dem Baumarkt Experimente durchführen kann.

Im Natur- und Technik-Unterricht in der Schule spielt das Experimentieren eine zentrale Rolle. Was ist für Sie ein gutes Experiment?
Ein Experiment ist gut, wenn es mich anspricht und meine Neugierde anregt. Damit das so ist, braucht es eine Passgenauigkeit zu meinen Interessen, aber auch eine Offenheit für den Ausgang. Es darf nicht schon klar sein, was herauskommen muss. Zudem beantwortet ein gutes Experiment Fragen und stellt gleich wieder neue.

Wie entwickeln Sie mit Ihrem Team neue Ausstellungsobjekte und ‑inhalte?
Die Ideen kommen von allen möglichen Orten. Irgendwo schnappt man etwas auf, beim Lesen eines Berichtes, im Austausch mit Kollegen und in meinem Fall oft auch beim Spielen mit meinen beiden Söhnen. Die Schwierigkeit liegt darin, das beobachtete Phänomen in ein Exponat zu verwandeln, das einen Zugang für alle bietet. Das ist ein langer, mehrstufiger Prozess. Wir beginnen mit einem Prototyp, den Besucher testen. Dabei sind wir immer wieder überrascht, dass die Leute etwas ganz anderes machen, als wir erwartet haben. Nach Anpassungen und erneuten Tests wird dann ein Exponat gebaut, das in unserer Ausstellung auch langfristig überleben kann. Für eine neue Ausstellung gehen wir von 250 Ideen aus und setzen 40 davon um. Dabei achten wir darauf, möglichst viele Themen abzudecken. Aber weil Faszination und Emotionen so wichtig sind, setzen wir am Ende nur um, was uns selbst gefällt.

Der Grundstein für das Technorama wurde in einer Zeit der Technikbegeisterung gelegt. Heute gibt es in der Ausstellung neben physikalischen Exponaten Labore für Biologie- und Chemie-Experimente. Ein grosser Aussenbereich ist geplant, in dem man Naturphänomene erleben kann. Nehmen Sie bewusst gesellschaftliche Entwicklungen auf?
Die Frage der Relevanz, wie wir Verbindungen zu gesellschaftlichen Themen schaffen können, ist für uns wichtig. Die direkte Erfahrbarkeit limitiert uns aber tatsächlich darin, einige Themen aufzunehmen. Es ist zum Beispiel eine grosse Herausforderung, das Thema Digitalisierung greifbar zu machen. Oft wird in Ausstellungen dazu mit vielen Bildschirmen gearbeitet. Doch vor einem Bildschirm muss ich einfach glauben, dass dahinter etwas Bestimmtes passiert. Ich kann es nicht sehen. Wir versuchen, das Thema Digitalisierung in unserer Erfinderwerkstatt mit digitalen Komponenten greifbar zu machen. Hier wird selbst gebaut, um etwas zu verstehen. Wenn ich meine eigene Maschine erfinde, die über einen Sensor und Prozessor auf die Umwelt reagiert, wird Digitalisierung konkret und erfahrbar.

Mit welchem Gefühl soll man das Technorama verlassen?
Man soll hinausgehen mit dem Gefühl «Ach, das kann ich auch.» Es geht um eine Befähigung unserer Besucher. Frank Oppenheimer, der Gründer des Exploratorium in San Francisco, das für uns ein starkes Vorbild ist, erzählte einmal von seinem schönsten Erlebnis mit einer Besucherin. Die Frau kam einige Zeit nach einem Besuch in der Ausstellung wieder zurück und erzählte, dass sie nun selbst eine Glühbirne ausgewechselt habe. Diese Idee, dass man selbst kann und darf, ist auch für uns das Wichtigste. Und natürlich, dass der Besuch Freude gemacht hat.

Ãœber Armin Duff
Armin Duff ist 1978 geboren und wuchs auf einem Bauernhof in Sumvitg auf. Nach dem Gymnasium an der Klosterschule Disentis studierte er an der ETH Zürich Physik, machte das Lehrdiplom für Maturitätsschulen, begann dann aber an der ETH Zürich ein Doktorat in Neuroinformatik. Dieses
schloss er mit einer externen ETH-Doktorarbeit an der Universitat Pompeu Fabra in Barcelona ab. Hier forschte und unterrichtete Duff als Assistenzprofessor für Kognitive Systeme und Interaktive Medien.
Mit 37 Jahren wechselte er ans Swiss Science Center Technorama in Winterthur. Seit eineinhalb Jahren ist er dort Leiter Ausstellung und Didaktik und mit seinem Team für die Inhalte zuständig. Dazu gehören die Ausstellungsobjekte, Shows, Workshops sowie Fortbildungen für Lehrpersonen.
Das Tüfteln geht bei Duff nach der Arbeit weiter. Mit seinen zwei Söhnen experimentiert er genauso gerne wie im Büro.