Im Spannungsfeld zwischen Individuum und Gemeinschaft

Ein Team der PH Zürich hat in einem Forschungsprojekt den Umgang mit Heterogenität in drei Kindergärten untersucht. Dabei zeigte sich: Lehrpersonen müssen im schulischen Alltag komplexe Herausforderungen bewältigen.

Lehrpersonen in Kindergärten kennen die Situation: Die Kinder sitzen im Kreis, die meisten sind konzentriert und halten sich an die Regeln. Sie hören zu, wenden ihre Aufmerksamkeit dem Geschehen im Kreis zu und heben die Hand, wenn sie etwas sagen möchten. Nur ein Junge schaut verträumt zum Fenster hinaus und scheint mit den Gedanken irgendwo zu sein, nur nicht hier im Kindergarten.

Wie die Lehrpersonen mit dieser und ähnlichen Situationen umgehen, haben fünf Forschende der PH Zürich im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützten Projekts «Kinder, die auffallen» analysiert. Untersucht wurden der Alltag und Unterricht in drei Kindergärten in sozio-ökonomisch unterschiedlichen Regionen. In die Studie miteinbezogen wurden alle im Kindergarten pädagogisch tätigen Lehrpersonen: Klassenlehrpersonen, IF-Lehrpersonen (integrierte Förderung), DaZ-Lehrpersonen (Deutsch als Zweitsprache) sowie SHP (schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen).

Die Lehrperson als Dirigentin
«Lehrpersonen haben die Aufgabe, auf Lern- und Verhaltensschwierigkeiten der einzelnen Kinder angemessen zu reagieren und alle Kinder in den schulischen Alltag zu integrieren», erläutert Co-Projektleiterin Anja Sieber die Ausgangslage der Studie. Auf das eingangs beschriebene Beispiel bezogen sind die Lehrpersonen gefordert, die Konzentration des Jungen zu fördern. Gleichzeitig müssen sie immer auch die Gruppe als Ganzes im Auge behalten und eine Ordnung herstellen, die einen geregelten Unterricht ermöglicht. «Die Lehrerinnen und Lehrer müssen die normativen Erwartungen des Schulsystems erfüllen. Diese Aufgaben stellt insbesondere die Kindergarten-Lehrpersonen vor grosse Herausforderungen, da die Kinder beim Eintritt schulisch noch wenig sozialisiert sind», sagt Co-Projektleiterin Gisela Unterweger. Die Aufgabe der Lehrpersonen sei vergleichbar mit jener von Dirigentinnen, die mit noch ungeübten Orchestermitgliedern eine komplexe Partitur einüben, sagt Anja Sieber mit Blick auf die Erkenntnisse ihrer Studie. «Die Vielschichtigkeit der Herausforderungen war beeindruckend. Der Leistung der im Kindergarten tätigen Lehrpersonen ist eine hohe Wertschätzung entgegenzubringen und wir freuen uns, dass wir mit unserer Untersuchung einen Beitrag leisten können, dies aufzuzeigen.»

Wertvorstellungen beeinflussen Verhalten
Beim Vergleich der drei Kindergärten haben sich einige ausgeprägte Gemeinsamkeiten gezeigt. An allen Orten schufen die Lehrpersonen sehr ähnliche «Anforderungsordnungen», wie es die Forscherinnen nennen: die fachliche (z.B. Sprachkenntnisse oder mit der Schere schneiden können), die interaktive (z.B. in einer angemessenen Lautstärke sprechen oder selbständig arbeiten) sowie die Anforderung, sich selbst zu verorten (z.B. die Kleider in der Garderobe an den richtigen Haken hängen).

Gleichzeitig zeigten sich hier auch deutliche Unterschiede: «Es war interessant zu beobachten, wie genau in den drei Kindergärten die Anforderungen im Alltag an die Kinder herangetragen wurden», erläutert Gisela Unterweger. Diese verschiedenen Vorgehensweisen sind einerseits auf die unterschiedlichen Wertvorstellungen der Lehrpersonen zurückzuführen. Andererseits hätten die ungleichen Ausgangsbedingungen in den einzelnen Kindergärten ebenso einen Einfluss: Wenn in einem Kindergarten vier oder fünf Kinder regelmässig auffallen, etwa wegen eines «ungesunden» Znünis, dann beanstandet dies die Lehrperson eher nur beiläufig. Bringt hingegen ein einziges Kind immer wieder einen Schokoriegel mit, gerät dieses Kind viel stärker in den Fokus der Lehrperson.

Wichtig ist den Forschenden zu betonen, dass in solchen Situationen nicht nur das Handeln der Lehrpersonen, sondern immer auch institutionelle Vorgaben und die örtliche Situierung der Kindergärten den Umgang mit Heterogenität beeinflussen.

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