«‹Ufzgi› müssen vielleicht neu gedacht werden»

Klaus Rummler und sein Team gehen in einem Forschungsprojekt der Frage nach, wie digitale Medien mit dem Hausaufgaben-Verhalten von Schülerinnen und Schülern zusammenhängen. Nun liegen die ersten Ergebnisse vor.

Klaus Rummler, Leiter Forschungsbereich Medienpädagogik an der PHZH.

Akzente: Was untersuchen Sie in Ihrem Forschungsprojekt genau?
Klaus Rummler: Mit unserer Arbeit möchten wir Licht ins Dunkel bringen, wie Schülerinnen und Schüler auf der Sekundarstufe 1 Medien rund um die Bearbeitung ihrer Hausaufgaben nutzen. Konkret geht es uns darum, welche Medien sie wie verwenden, was auf diesen Kanälen läuft und wer zu welchem Zweck in welchen Netzwerken zusammenarbeitet.

Hat die Vielfalt der Medien, die heutigen Jugendlichen zur Verfügung stehen, ihr Verhalten bezüglich der Erledigung der Hausaufgaben verändert?
Unbedingt. Jugendliche nutzen zielorientiert diejenigen Medien, die ihnen zur Verfügung stehen und setzen sie für ihre Zwecke ein. Der Bereich Hausaufgaben nimmt da keine besondere Stellung ein.

Werden Dienste wie WhatsApp auch dazu verwendet, sich gegenseitig die Lösungen von Hausaufgaben zuzuschicken?
Der Austausch von fertig gelösten Hausaufgaben spielt nach unseren ersten Erkenntnissen kaum eine Rolle, obwohl das durch die neuen Medien problemlos möglich wäre. Stattdessen werden über WhatsApp – die sich als die am häufigsten genutzte App herausgestellt hat – eher Verständnisfragen ausgetauscht oder Arbeitsblätter gepostet, die jemand aus der Gruppe in der Schule vergessen hat.

Dann gibt es folglich auch keine WhatsApp-Gruppen, die sich aus Fleissigen und Trittbrettfahrenden beziehungsweise aus Produzierenden und Konsumierenden zusammensetzen?
Ja. So scheint es. Caroline Grabensteiner aus unserem Team widmet sich in ihrer Doktorarbeit gezielt den sozialen Aspekten der Hausaufgabenerledigung und sie hat bisher keine Hinweise auf solche Auswahlkriterien gefunden. Stattdessen scheint es so, dass bei der Gruppenzusammensetzung soziale Selektionskriterien gegenüber rationalen überwiegen. Oder anders gesagt: Wem man im realen Leben zugeneigt ist, mit dem teilt man auch den virtuellen Raum.

Hausaufgaben werden zuhause und damit ausserhalb der Schule erledigt. Wie sind Sie mit Ihrem Team überhaupt an diese Daten gelangt?
Das Kernstück unseres Projekts ist ein Medientagebuch, das 250 Sekundarschülerinnen und -schüler in verschiedenen Deutschschweizer Kantonen während zwei Wochen ausfüllten. Ihre Antworten haben wir in über 2 Millionen Daten codiert, die wir momentan auswerten und später durch Interviews und schriftliche Nachbefragungen anreichern. Wir haben bewusst sehr verschiedene Klassen und Kantone ausgewählt, um ein möglichst vielfältiges Abbild der Realität zu erhalten.

Spielte bei der Auswahl auch der Digitalisierungsgrad der jeweiligen Schule eine Rolle?
Dieser Faktor ist aus der Literatur bekannt und hat sich auch in unserer Arbeit als einflussreich erwiesen. Je fortgeschrittener die Digitalisierung in einer Schule oder Klasse ist, desto vielfältiger ist auch die Mediennutzung der Schülerinnen und Schüler bei den Hausaufgaben. So konnten wir beispielsweise beobachten, dass in Laptopklassen mit gemeinsamen Plattformen auch bei den «Ufzgi» intensiver und vielfältiger zusammengearbeitet wird. Aber auch wo vorwiegend Druckwerk vorherrscht, nutzen die Schülerinnen und Schüler ergänzende Medien wie WhatsApp, YouTube oder Wikipedia für ihre Hausaufgaben.

Wenn die Mediennutzung beim Erledigen der Hausaufgaben so allgegenwärtig ist, muss dann nicht auch die Art der Hausaufgaben zukünftig eine andere sein?
Vielleicht müssen «Ufzgi» neu gedacht werden angesichts der zunehmenden Digitalisierung. So könnte es etwa sinnvoll sein, offene Hausaufgaben zu stellen, die sich nur kooperativ lösen lassen beziehungsweise keine eindeutigen Ergebnisse haben. Die Organisation der medialen Zusammenarbeit wäre dann zugleich Teil der Aufgabe. Oder genau gegenteilig: Die Infrastruktur der Schule und Kompetenzen der Lehrpersonen vorausgesetzt, liessen sich Hausaufgaben auch vermehrt individuell zuschneiden. Dazu braucht es aber weitere Forschung an der Schnittstelle zwischen Unterricht und Hausaufgaben.

Wird euer Forschungsprojekt hierauf keine konkreten Antworten liefern?
Da wir einen noch weitgehend unerforschten Bereich bearbeiten, haben wir den Fokus in unserem Projekt bewusst sehr weit geöffnet. Dadurch können wir eine grosse Menge an Einflussfaktoren miteinbeziehen und methodisch aus dem Vollen schöpfen. Dieses Vorgehen ermöglicht es, realitätsnahe Einblicke in diese unbekannte Welt zu gewinnen und Hinweise auf interessante, neuartige Zusammenhänge aufzudecken. In der gegenwärtigen Phase der Datenanalyse stossen wir fast täglich auf solche Überraschungen und wir freuen uns darauf, diese Erkenntnisse der Fachwelt zugänglich zu machen und dort für die forscherische Bearbeitung von konkreten Anwendungsfragen bereitzustellen. Solche Anschlussforschungen planen natürlich auch wir in unserem Team.

Das Forschungsprojekt «Hausaufgaben und Medienbildung» wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. Die Leitung liegt bei Klaus Rummler, beteiligt sind zudem Colette Schneider Stingelin und Caroline Grabensteiner. Das Projekt läuft von 2018–2021.