Schulischer Abkürzungswahn

Anna-Tina Hess und Georg Gindely
Illustrationen: Elisabeth Moch

Anna-Tina Hess: Fanta Vier haben ein ganzes Lied darüber gesungen. Seit ich an der PHZH bin, kann ich das auch. Ein Lied über Abkürzungen singen: SuS, VLP und RKE. WHA, TTG und ISR. IFS, ASS und SHP.

Dabei mag ich keine Abkürzungen. Ich mag LOL genauso wenig wie ROFL, ASAP, BRGDS oder TBT. Denn entweder weiss man über deren Bedeutung Bescheid oder man fühlt sich doof, alt oder ausgeschlossen oder alles gleichzeitig. Man muss dann googeln und das dauert länger, als es dauert, jede Abkürzung auszusprechen. Als ich noch beim Radio arbeitete, hielten wir es mit Abkürzungen so: Bekannte Abkürzungen durften verwendet werden: SBB, UBS oder CS waren solche. VPOD mussten wir jedoch ausformulieren. Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste. Ist doch schön, Worte auszusprechen. SHP klingt im Gegensatz zu Schulischer Heilpädagoge wie Perlen vor die Säue geworfen. Ver-laufs-pla-nung ist im Gegensatz zu VLP wie eine wohltuende Zungenmassage. Hinzu kommt, dass jeder und jede das Wort auf Anhieb versteht.

Wenn mich meine Freunde ausserhalb der PHZH fragen, was ich für Fächer habe, sage ich ja auch nicht RKE und TTG und lasse sie googeln. Ich nehme mir die Zeit und sage genussvoll: «Religionen, Kulturen und Ethik und Technisches und Textiles Gestalten». Denn für Uneingeweihte kürzen Abkürzungen gar nichts ab. Im Gegenteil. Oder verstehen Sie den kürzesten Witz auf Französisch: «J.P.T.»? Eben. Sie dürfen ihn googeln, zum Erklären fehlt hier leider der Platz.

Georg Gindely: Journalismus und Lehrberuf haben vieles gemeinsam: Man muss sich schnell in komplexe Themen einarbeiten und sie verständlich rüberbringen. Davon war ich überzeugt, als ich mich für die Ausbildung zum Seklehrer anmeldete. Doch verständlich war mir zu Beginn des Studiums nur wenig. DDH besuchen, VLP schreiben, EFG mitnehmen!, stand da zum Beispiel. Und, was noch schwieriger war: Es stand nicht nur da, nein, man sprach auch so mit uns – an der Hochschule und im Lehrerzimmer.

Natürlich hat jeder Beruf seine eigene Sprache. Unter Cicero versteht wohl nur ein Journalist einen kurzen einspaltigen Artikel. Doch Cicero ist immerhin ein hübscher Begriff. Die Schönheit hinter den meisten schulischen Abkürzungen hingegen will sich mir nicht erschliessen, geschweige denn ihre Logik. Das oben genannte EFG zum Beispiel steht für unser Lehrmittel «Einfach gut unterrichten». Warum nicht EGU? Oder einfach «Einfach gut unterrichten»?

Weshalb dieser Abkürzungswahn? Wahrscheinlich, weil man als Lehrperson glaubt, keine Zeit für lange Worte zu haben. Wie viel man zu tun hat, habe ich im ersten Praktikum selbst erfahren. Dennoch: Lange Worte sind schön. Und die Bezeichnungen, die man in der Schule verwendet, wurden meist gewählt, weil sie Dinge präzis benennen. Wird nur die Abkürzung benutzt, geht diese Absicht verloren. Oder denken Sie, dass sich ein Schüler oder eine Schülerin von der Abkürzung SuS angesprochen fühlt? Da gäbe es – wenn schon, denn schon – fantasievollere Varianten. Zum Beispiel Schüschüs, Sugus oder Klein-Caesaren.

Anna-Tina Hess und Georg Gindely studieren seit Herbst 2018 im Quereinstieg an der PH Zürich. Zuvor waren beide als Journalisten tätig. Sie schreiben an dieser Stelle über ihre ersten Erfahrungen als Lehrpersonen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert