Ein strukturierter Tagesablauf und viel Freiraum sind keine Gegensätze. Berufseinsteigerin Katharina Studach gibt Einblick in den Kindergartenalltag am Suteracher in Altstetten. Sie sagt, was sie aus dem Studium für ihren neuen Beruf mitgenommen hat und was nur in der Praxis erlernbar ist.
«Schauen Sie mal, Frau Studach», ruft eines der Kindergartenkinder und schlägt ein Rad. Am Nebentisch malt ein anderes Kind eine Sonne und einen Regenbogen auf ein Blatt Papier, während einer der Buben anfängt, mit Holzklötzen einen Turm zu bauen. Im Kindergarten «Am Suteracher» herrscht Hochbetrieb an diesem Montagmorgen: Es wird gemalt, gebastelt, rumgehüpft und gesungen. Es ist kurz nach acht Uhr und die Kinder starten den Tag mit einer Tätigkeit, die sie selbst wählen.
Ruhig und bestimmt
Die Lehrerin, Katharina Studach, beantwortet geduldig Fragen, hört zu, lobt die Kinder. Sie hat eine ruhige, aber bestimmte Stimme und geht liebevoll auf jedes Kind ein. Katharina Studach hat den Studiengang Kindergarten- und Unterstufe an der PH Zürich absolviert und arbeitet im zweiten Jahr als Kindergartenlehrerin in Altstetten. Sie erinnert sich an ihre Anfänge: «Man wird ins kalte Wasser geworfen.» Und dies, obwohl sie an der PH Zürich bestens vorbereitet worden sei, didaktisch wie methodisch. «Aber die Praxis ist anders, und es geschehen Dinge, die man mit keiner Theorie abfedern kann.» Deshalb seien die Praktikumserfahrungen, die man während der Ausbildung absolviert, von unschätzbarem Wert. Sie habe das Glück gehabt, während eines Praktikums eine schwierige Klassensituation mitzuerleben, die sie vorbereitet habe auf zukünftige Herausforderungen.
Nach einer halben Stunde setzen sich die Kinder in einen Kreis. Die Lehrerin schaut mit der Klasse den Wochenplan an. «Morgen ist Besuchstag», kündigt sie an. Und eine Spitalführung im Triemli steht ebenfalls diese Woche auf dem Plan. Ausserdem gebe es eine Programmänderung an diesem Montag: Statt Mathematik werde in Partnerarbeit ein Fingergips erstellt. Die Klasse freut sich. Bevor es losgeht, stehen die Schülerinnen und Schüler auf, geben sich die Hand und singen ein Lied. «Alles, was ich habe, das hast du ebenso, deshalb tanzen wir so froh … ». Katharina Studach begleitet den Gesang mit einer farbigen Gitarre. Es herrscht eine warme und offenherzige Atmosphäre.
Hilfe zur Selbstständigkeit
Anschliessend erklärt die Lehrerin, wie der Fingergips funktioniert. Die Klasse hört aufmerksam zu, dann wird sie in Zweiergruppen eingeteilt. Die Kinder basteln selbständig an der Aufgabe, wickeln sich den Gips mit grosser Aufmerksamkeit gegenseitig um die Finger und streichen die Stellen vorsichtig glatt. Der Gips muss vier Minuten lang trocknen. «Aber was machen wir denn bloss vier Minuten lang?», fragt ein Bub entsetzt. Trotz Wartezeit haben die beiden Kinder off ensichtlich Spass an der Arbeit und sind voll bei der Sache.
Danach werden die Werke aus Gips aufgestellt und die Utensilien weggeräumt. Katharina Studach wischt über die Tische und entfernt Gipsflecken. Es ist Zeit für den Znüni. Die Rucksäcke werden gemäss einem bestimmten Ritual verteilt. Nach der Pause im Kreis toben die Kinder sich draussen an der frischen Luft aus.
Strukturierter Tagesablauf
«Für mich war es auch körperlich eine Umgewöhnung», sagt Katharina Studach. In der Schule sitze man oft, und der Alltag im Kindergarten bringe viel Bewegung mit sich, das sei ihr erst beim Berufseinstieg bewusst geworden. Laufen, bücken, Sachen herumtragen. Zu Beginn des ersten Jahres sei sie immer sehr früh ins Bett gegangen. Sie ist verantwortlich für 18 Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren. Der Tagesablauf ist strukturiert, so dass sich die Kinder orientieren können, ohne sich zu verlieren; gleichzeitig gibt es viel Freiraum, damit sie sich entfalten können. Im Rückblick auf die erste Zeit als Berufseinsteigerin erachtet Katharina Studach eine koordinierte Übernahme der Räumlichkeiten als wichtig. Beispielsweise helfe eine Inventarliste, einen ersten Überblick über die Ausstattung des Kindergartens zu erhalten.
Katharina Studach hatte ursprünglich ein Psychologiestudium begonnen, dann aber gemerkt, dass sie mit Kindern arbeiten wolle. «Ich lerne sehr viel von den Kindern.» Und das Schönste an ihrem Beruf sei die Liebe, die ihr tagtäglich entgegengebracht werde. Ihr sei bewusst, wie prägend die ersten Lebensjahre eines Menschen seien und dass diese den Grundstein für die gesamte Biografie legen würden. Für viele Kinder, die zum Beispiel in den Hort gehen, sei sie eine Hauptbezugsperson. «Mit gewissen Kindern verbringe ich mehr Zeit, als es die eigenen Eltern tun.» Nach der Pause kommt die Klasse wieder herein. Jacke aufhängen, Schuhe ausziehen, Hausschuhe anziehen, Hände waschen. Alles hat seinen Platz und seine Ordnung. Die Kindergärtler schauen sich neugierig die Fingergipse an. Jetzt wird ausgelost, wer auf den Purzelbaum in die Turnecke darf. Die anderen Kinder verteilen sich auf die restlichen Spielorte wie die Spitalecke, das Labor und die Apotheke. Einige spielen mit kleinen Autos oder Bauklötzen, andere beschäftigen sich mit Puzzles. Katharina Studach faltet mit zwei Buben verschiedene Figuren. «Um das Feinmotorische zu fördern», sagt sie. Immer wieder möchte eines der Kinder ihr etwas zeigen, zum Beispiel eine Zeichnung oder ein Bauwerk aus Holzklötzen oder eine kleine grosse Sportleistung.
Vor dem Mittag läutet eines der Kinder, der «Klingelchef» des Tages, und die Gruppe versammelt sich im Schlusskreis. Rasch werden die Spielsachen weggeräumt. Die Lehrerin erinnert nochmals an den morgigen Besuchstag. «Wenn man die Kinder immer wieder an bevorstehende Anlässe erinnert und sie es zuhause ausrichten, vergessen es die Eltern weniger häufig», sagt Katharina Studach. Sie begleitet mit der Gitarre das Abschlusslied. Damit anschliessend nicht alle Kinder gleichzeitig in die Garderobe stürzen und dort ein Chaos entsteht, sagt die Lehrerin: «Wer heute ein rotes Kleidungsstück trägt, darf sich zuerst umziehen.»