Anna-Tina Hess: Mein erstes Mal war noch vor der PH. 2016 an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Dort hatte ich als Radioprofi den Auftrag, Studierenden beizubringen, wie man einen Radiobeitrag macht.
Blau-grauer Linoleumboden, weisse Wände, beige Tische, grelles Neonlicht, das Summen des Beamers und dann ganz plötzlich und unerwartet das
Pochen meines Blutes in den Ohren. Lampenfieber!
Mit jedem Studenten, der das Zimmer betrat, wurde es heftiger. Es sollten bald die wahrscheinlich schlimmsten zehn Minuten meines Lebens beginnen. Ich kürze sie hier folgendermassen ab: Trockener Mund, schweissnasse Hände, feuerroter Kopf, zitternde Stimme. Die nervöse Irrfahrt hatte erst ein Ende, als ich kapitulierte: «Es tut mir leid, aber ich bin furchtbar nervös. Ich mache das hier zum ersten Mal», erklärte ich der Klasse. Die Studierenden lächelten versöhnlich und vielleicht ebenso erleichtert wie ich. Ab da ging es besser. Gut wäre anders gewesen.
Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte? Weil ich über mein erstes Mal an der PH wohl nicht hätte schreiben können, ohne dass Sie sich langweilen. Denn mein erstes Mal vor einer Horde Teenagern verlief unspektakulär gut. Keine Nervosität, keine zitternde Stimme, kein trockener Mund. Über mein drittes oder fünftes Mal hätte ich dann doch das eine oder andere zu berichten. Von Französisch, das keiner versteht, von Über- und Unterforderung, von fehlenden Schlüssen und schief laufenden Übergängen. Ich bin froh, brachte ich mein erstes Mal vor Studierenden hinter mich.
Georg Gindely: Eigentlich hatte ich mir genau das gewünscht: vor einer Klasse zu stehen und ihr etwas beizubringen. Ich hatte es mir nur ganz anders vorgestellt. Schliesslich bin ich Experte für gute Reden. Ich sei unterhaltsam, witzig und berührend, sagen alle. Bis auf die Schülerinnen und Schüler der 3. Sek, vor denen ich jetzt zum ersten Mal stehe und versuche, den Unterschied zwischen Present perfect und Past simple zu erklären. Die finden das, was ich sage, stinklangweilig. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Ich finde es auch stinklangweilig, wie ich das Thema rüberbringe.
Da merke ich: Es ist nicht nur das Vorbereiten und Halten der Lektionen, das ich lernen muss, sondern auch das Scheitern. Während einer Deutschstunde eine Woche später sehe ich, wie meine Mentorin die Hände vors Gesicht schlägt, als ein Schüler auf meine Frage, wer Anne Frank war, mit «Die Frau von Hitler?» antwortet.
In solchen Momenten sehne ich mich zurück nach den Zeiten, als ich während der Redaktionssitzung auf meine Schuhe gucken und anschliessend im Internet surfen konnte, weil ich keinen Auftrag gefasst hatte. Aber war das nicht genau mit ein Grund, die Quereinstiegausbildung zu beginnen? Ich wollte mehr Lebendigkeit in meinem Berufsalltag. Das habe ich nun davon.
Ich habe wirklich etwas davon. Es gibt immer häufiger kleine Lichtblicke. Plötzlich funktionieren einzelne Lektionen, und die Schülerinnen und Schüler sind engagiert dabei. Ich scheitere immer noch oft. Aber ich scheitere besser. Und fühle mich so lebendig wie lange nicht mehr.