Bruno S. Frey gilt als einer der einflussreichsten deutschsprachigen Ökonomen. Der Glücksforscher bezeichnet Neugierde für die Umwelt und Begeisterung für die Sache als zentrale Merkmale von guten Forschenden. Die Förderung dieser Eigenschaften sei auch Aufgabe der Schule.
Akzente: Sie sind seit Jahren emeritiert, sind als Forscher aber immer noch aktiv. Was fasziniert Sie daran?
Frey: Etwas herauszufinden, was noch nicht existiert, und gegenteilige Positionen zu den üblichen Meinungen aufzubauen, hat mich immer gereizt. Schon in der Schule wollte ich mehr wissen, als unterrichtet wurde. Ich mag mich noch gut an mein erstes Geschichtsbuch über den römischen Kaiser Claudius erinnern. Dass man über eine vergangene Zeit so viel erfahren kann, hat mich fasziniert. Und mir war bewusst, dass jemand herausfinden musste, wie diese Personen gelebt haben. Bei mir waren die Begeisterung für das, was mich umgibt, und die Neugierde ausschlaggebend für meinen Werdegang. Die akademische Laufbahn hat sich dann ergeben, wobei ich auch viel Glück gehabt habe.
Hat die Schule etwas zu dieser Neugierde beigetragen?
Bei mir scheint das wohl genetisch zu sein (lacht). Auch meine Geschwister und mein Vater, der kein Akademiker war, hatten eine solche Neugierde. Doch ich wurde auch von guten Lehrern gefördert. Ganz stark beeinflusst wurde ich neben zwei Professoren durch einen Lehrer im Gymnasium, der mir durch die Literatur eine neue Welt eröffnen konnte. Eigentlich war er Französischlehrer, doch er hatte eine solche Begeisterung für die deutsche Gegenwartsliteratur, dass er mit uns fast nur über deutsche Literatur sprach und Autoren wie Heinrich Böll zu uns an die Schule einlud. Heute würde das natürlich nicht mehr gehen. Doch es wäre gut, wenn solche aussergewöhnlichen Lehrer, die etwas anders, aber mit Begeisterung unterrichten, an der Schule toleriert würden.
Was braucht es, um erfolgreicher Forscher zu werden?
Neben der Begeisterung für die Sache braucht es einen langen Atem, wenn sich nicht sofort Resultate zeigen. Und man muss fähig sein, Erkenntnisse auch in Publikationen zu übersetzen. Ich habe sehr intelligente Assistenten gehabt, die am Ende weniger erfolgreich waren als andere brave «Schaffer», weil sie ihre Überlegungen nicht auf den Punkt bringen konnten. Bei der Förderung von Nachwuchsforschenden musste ich immer auch darauf hindeuten, wie wichtig Disziplin ist.
In ihrer Ausbildung an der PH Zürich führen Studierende eigene Forschungsprojekte durch. Ziel ist, dass sie mit einer forschenden Haltung den eigenen Unterricht verbessern können. Was ist Ihre Meinung dazu?
Eine forschende Lehrperson ist doch das beste Vorbild, das es gibt. Wenn Schülerinnen und Schüler sehen, dass ihr Lehrer sich für vieles interessiert, nicht zu allem eine fixe Meinung hat und offen ist für Lösungen, ist das nur positiv. Bei solchen Arbeiten ist der Prozess wichtig, dass man sich in etwas vertieft, etwas selbständig erarbeitet und mit anderen Leuten agiert. In Zukunft wird eine solche offene, suchende Haltung in vielen Berufen wichtiger, weil stumpfe, repetitive Tätigkeiten durch intelligente Maschinen ersetzt werden.
In der Volksschule wird ein forschender Zugang zu Themen und Phänomenen gefördert. Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich Wissen auch selbständig in Projektarbeiten. Diese Entwicklung befürworten Sie als Forscher wahrscheinlich.
Auf jeden Fall. Die Schule soll die Neugierde für die Umwelt fördern, dass man sich fragt, wieso etwas ist, wie es ist. Meine Fragestellungen kommen fast immer aus dem Alltag. Ich lese etwas in der Zeitung oder sehe etwas beim Spaziergang durch die Altstadt und stelle mir Fragen dazu. Die Schule scheint diese Neugier auch tatsächlich zu wecken. Die jungen Leute, die ich treffe, sind auf jeden Fall alle sehr interessiert und motiviert. Ich erhalte immer wieder Interviewanfragen von Maturandinnen, die zum Thema Glück forschen, interessanterweise sind es immer Frauen. Und das Niveau dieser Arbeiten ist erstaunlich hoch.
Haben die Forschungs-Skills bei Jungen also zugenommen?
Technische Fähigkeiten wie Statistik- oder Englischfähigkeiten haben bei jungen Forschenden gewaltig zugenommen. Was in der akademischen Welt aber leider abgenommen hat, ist die Begeisterung für ein Thema, eine Fragestellung. Junge Forschende beginnen oft mit der Frage, wo es brauchbare Daten gibt. Überdies fördert der starke Publikationsdruck die Begeisterung für eine Sache gar nicht. Wenn man ständig veröffentlichen muss, tendiert man dazu, auch weniger interessante Fragen zu behandeln, nur weil sich dazu ein Paper schreiben lässt. Damit geht auch Kreativität verloren. Zu Beginn sollte man nicht zu stark auf den Output achten.
Doch Forschung sollte immer einen konkreten Output haben?
Letztlich schon. Man soll der Öffentlichkeit ja auch etwas kommunizieren können. Schliesslich steht Wissenschaft im Dienst der Gesellschaft.
In Zeiten von Fake News werden auch immer wieder wissenschaftsfeindliche Tendenzen in der Gesellschaft thematisiert. Wie sollen Forschende sich dazu verhalten?
Ich sehe hier eine grosse Verpflichtung der Wissenschaftler, komplexe Sachverhalte verständlicher zu kommunizieren. Sie müssen einer breiten Öffentlichkeit erklären können, worum es geht in ihrer Arbeit und warum ihre Forschungsfragen wichtig sind. Eigentlich kann man Laien alles erklären, zumindest in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Forschende sollten also wieder besser erklären können, was sie tun, und Ergebnisse präsentieren, die nicht völlig trivial sind. Ich habe dafür einen Grossmutter- Test. Forschungsresultate müssen mehr zeigen, als die Grossmutter auch schon wusste.
Aber Forscherinnen und Forscher müssen doch auch die unspektakuläre Aufgabe übernehmen und das, was man gemeinhin als gesunden Menschenverstand bezeichnet, wissenschaftlich überprüfen?
Richtig. Aber damit Forschung sinnvoll ist, muss dazu auch ein Gegensatz vorhanden sein. Anhand der Glücksforschung kann ich das gut erklären. Meine Grossmutter hätte wohl gedacht, dass es für das eigene Glück wichtig ist, materiell gut ausgestattet zu sein. Aber es gibt heute manche Leute, die sagen, dass Glück gar nichts mit materiellem Wohlbefinden zu tun hat. Wir konnten mit unserer Forschung belegen, dass die Grossmutter Recht hatte, dass Geld unser Glück also beeinflusst.
Sie erforschen seit Jahrzehnten, was Leute glücklich macht. Gehört forschen dazu?
Ja, forschen macht glücklich. Und zwar, weil man Neues erkunden und so vieles ausprobieren kann. Das ist befreiend. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen, aber auch empirisch belegen. Man weiss aus der Forschung, dass Leute in freien, selbstbestimmten Berufen in der Regel glücklicher sind, obwohl sie im Durchschnitt weniger verdienen, härter arbeiten und ein grösseres Risiko haben. Forschende sind zwar institutionell eingebunden, aber in der Regel wird ihnen nicht vorgeschrieben, was sie erforschen. Diese Autonomie in der Forschung trägt zum Glück bei.