Sprachen sind zum Teil verwandt. Wer Ähnlichkeiten zwischen den Strukturen oder auf Wortebene erkennt, hat oft einen Vorteil beim Erlernen einer neuen Fremdsprache. Wie dieser Effekt in der Schule besser genutzt werden kann, hat Alissia Sahli in ihrer Bachelorarbeit untersucht. Zudem hat sie sich damit befasst, wie Lehrpersonen bei den Kindern eine positive Haltung gegenüber Sprachen fördern können. Mit der Globalisierung, der multikulturellen Gesellschaft und der Digitalisierung wird die Mehrsprachigkeit immer wichtiger. Besonders Kinder mit einer anderen Muttersprache verfügen bereits über Vorerfahrungen, wenn sie in der dritten Klasse mit Englisch und in der fünften mit Französisch beginnen. Bei ihrer Literaturrecherche ist die Autorin auf den sogenannten ELBE-Ansatz gestossen, dessen Name sich aus den Anfangsbuchstaben von Begriffen in drei Sprachen zusammensetzt: Eveil aux langues, Language awareness, Begegnung mit Sprachen. Er bezeichnet eine Grundhaltung, mit der die Kinder zum Entdecken und Wertschätzen sprachlicher Vielfalt gebracht werden sollen.
In einer fünften Klasse in Winterthur hat Alissia Sahli selber drei Unterrichtssequenzen im Sinne des ELBE-Ansatzes durchgeführt. Einerseits verglich sie mit den Schülerinnen und Schülern französische, englische und deutsche Begriffe sowie Satzstrukturen und liess sie Gemeinsamkeiten suchen. Sie erkannten zum Beispiel, dass sich das französische «le forêt» und das englische «the forest» gleichen, während das deutsche «der Wald» nicht verwandt ist. Bei der Brücke dagegen ist es umgekehrt: «The bridge» gleicht dem deutschen Wort, jedoch nicht dem französischen «le pont». Weiter erstellten die Kinder ein persönliches Sprachenporträt: Sie malten die Umrisse eines Kindes mit verschiedenen Farben aus, von denen jede für eine Sprache steht. Ein Junge zum Beispiel kolorierte Kopf und Oberkörper je hälftig Blau für Schweizerdeutsch und Rot für seine Muttersprache Albanisch. In den Beinen kommen Schwarz für Hochdeutsch, Braun für Englisch, Dunkelblau für Französisch vor und in der Fussspitze sogar ein kleiner Fleck Gold für Arabisch, das er in der Moschee hört. Die Visualisierungen dienten als Grundlage für ein Gruppengespräch über die sprachliche Identität. Im Anschluss an die Lektionen führte die Studentin der Primarstufe zwei Interviews mit einem Mädchen und einem Knaben. Dabei zeigte sich, dass die beiden grundsätzlich Freude haben an den Fremdsprachen und ihnen teilweise auch im Alltag begegnen. Die Vorkenntnisse im Englisch finden beide hilfreich beim Lernen von französischen Wörtern. Nur die Tests mögen sie nicht.
Durch die Bachelorarbeit hat sich für Alissia Sahli bestätigt, dass die Integration von Vorwissen im Sprachunterricht wichtig ist. Die 23-Jährige, die seit dem Sommer in Winterthur eine erste Klasse unterrichtet, hat für sich ein Raster für guten Fremdsprachenunterricht erstellt. Diese Kriterien wird sie sich nochmals vor Augen halten, wenn sie mit ihren Drittklässlern im Sommer 2020 das Englisch in Angriff nehmen wird.