Grosse Freiheiten und eigenständiges Lernen bestimmen in Volketswil den Schulalltag. Berufseinsteigerin Zuzana Langenegger gibt Einblick in einen Unterrichtsmorgen und erklärt, weshalb sie heute von Arbeiten profitiert, die sie im Studium noch als nervig empfand.
«Luca … schreibt man das ganz normal?», fragt Lea. Im Schulzimmer herrscht emsiges Treiben. Lea steht mit einigen Kindern um zwei Schultische herum und trägt Name, Alter, Muttersprache und Geburtsort ihrer Kameradinnen und Kameraden in einer Tabelle ein. In einer anderen Ecke des Schulzimmers veranstalten vier Kinder ein Rollenspiel. Etwas weiter lauschen zwei Schüler aufmerksam einem Hörspiel. Und neben dem Klavier basteln vier Mädchen aus Pfeifenputzern farbige Figuren.
Voneinander lernen
Im Schulhaus «In der Höh» in Volketswil ist der Donnerstagmorgen immer speziell: Drei Unterstufenklassen werden gemeinsam unterrichtet und arbeiten in gemischten Zweierteams an verschiedenen Posten. Primarlehrerin Zuzana Langenegger ist für das Programm des heutigen Morgens verantwortlich und leitet gut fünfzig Kinder gemeinsam mit zwei weiteren Lehrerinnen an. Sie hat im Sommer 2017 ihre Ausbildung an der PH Zürich abgeschlossen und unterrichtet seither in Volketswil. Unterrichtsformen mit durchmischten Jahrgängen faszinieren Langenegger. Sie arbeitet jeden Tag mit unterschiedlich alten Kindern, denn selbst ihre reguläre Klasse vereint Zweit- und Drittklässler. «Gerade für eine junge Lehrerin wie mich sind gemischte Klassen natürlich eine grosse Herausforderung», gibt sie zu. «Aber sie machen den Unterricht abwechslungsreicher und führen zu einer spannenden Dynamik. So kann in einem Zweierteam der Zweitklässler beispielsweise das Vorlesen üben und der Erstklässler das Textverständnis.»
Freiheiten und Leitplanken
Die Lektion ist zu Ende. Die Kinder schliessen ihre Arbeiten ab und machen sich auf den Weg in den Kulturraum. Sie sprechen, diskutieren und rufen wild durcheinander. Trotz all der Lebhaftigkeit und vermeintlichen Unordnung scheinen die Leitplanken bekannt zu sein und respektiert zu werden. Im Kulturraum angekommen, setzen sich die Schülerinnen und Schüler in einem grossen Kreis auf den Boden. Eine Lehrerin beginnt, rhythmisch zu klatschen. Die Kinder steigen ein. Die Gespräche verebben wie von selbst. «Das klappt nicht immer so gut», erzählt Langenegger mit einem Schmunzeln. «In solchen Situationen zeigt sich, dass unsere Schülerinnen und Schüler schon ab der ersten Klasse sehr selbstständig arbeiten und sich selbst organisieren müssen. Wir Lehrerinnen und Lehrer sind nur dafür da, sie auf dem Weg zu begleiten und ihnen bei Problemen zu helfen. Dies bringt relativ grosse Freiheiten mit sich, mit denen umzugehen sie lernen müssen. Aber Regeln und Grenzen gibt es selbstverständlich auch bei uns.» Nach einem gemeinsamen Lied lässt sie die Kinder den bisherigen Schultag Revue passieren. «Gab es heute eine Aufgabe, die ihr besonders schwierig fandet?», fragt sie. «Was hat euch besonders viel Spass gemacht?» Die Schülerinnen und Schüler diskutieren mit ihrem Sitznachbarn, bevor sich Einzelne im Plenum äussern.
Träume und Startschwierigkeiten
«Schon im Kindergartenalter war es mein Traum, Lehrerin zu werden», erzählt Langenegger. «Ausserdem bin ich hier in Volketswil in ein grossartiges Team eingebunden. Meine Kolleginnen und Kollegen sind meine Familie. Im Moment bin ich sogar damit beschäftigt, für den Frühling ein Team-Wochenende in meiner Heimatstadt Prag
zu organisieren.» Die Unterstützung durch die anderen Lehrerinnen und Lehrer sei gerade in den ersten Monaten wichtig gewesen, als sie frisch vom Studium kam. Das erste Jahr sei hart gewesen. Das hing einerseits damit zusammen, dass sie direkt eine gemischte Klasse aus Erst- und Zweitklässlern übernehmen musste. Andererseits habe es überraschend viel Energie gekostet, sich im Schulhaus zurechtzufinden. «Am Anfang wusste ich nichts – nicht einmal, wo ich die Tuben mit Flüssigkleber finde.»
Vorbereitung ist alles
Die grösste Schwierigkeit aber sei, dass man viel weniger Zeit habe, um sich auf eine Lektion vorzubereiten als während des Studiums. Umso wichtiger sei es, dass sie die Zeit im Studium gut genutzt habe. «So kann ich fertige Unterlagen von meinen damaligen Praktika einfach aus der Schublade herausziehen und direkt einsetzen.» Überhaupt habe die PH Zürich sie gut und vorausschauend auf ihren Beruf vorbereitet. «Damals haben wir den Sinn dahinter nicht erkannt, wenn wir wieder einmal einen Tag bis ins letzte Detail und auf fünf Minuten genau vorbereiten mussten. Dank diesen Fleissübungen weiss ich heute aber, was es braucht, um einen Schultag erfolgreich zu gestalten.»
Feuer und Flamme
Nach der Pause treffen sich alle Kinder zum Abschluss des Vormittags. An einer Stellwand sind Bilder vom kleinen Drachen Kokosnuss aufgehängt. Langenegger fragt: «Wer kann mir anhand der Bilder erzählen, was der kleine Drache bisher erlebt hat?» Die Schülerinnen und Schüler diskutieren engagiert. Nach einer Weile lässt sie ein langgezogenes «Schschsch …» verstummen. In der Gruppe werden die Bilder nun geordnet und die Geschichte nacherzählt. Bevor Langenegger das letzte Kapitel vorliest, fragt sie, ob sich jemand neben seinem jetzigen Sitznachbarn nicht konzentrieren könne. Einige Kinder wechseln den Platz. Damit ist die Bühne frei für Kokosnuss und den scheinbar viel zu ängstlichen Piraten Pieter Backbord.
Ein schöner Morgen sei es gewesen, sagt Zuzana Langenegger, nachdem sich die letzten Schülerinnen und Schüler auf den Heimweg gemacht haben. «Das schönste an meinem Beruf ist die Begeisterungsfähigkeit der Kinder», sagt sie unvermittelt. «Es braucht nicht viel, dass sie Feuer und Flamme sind. Und sie stecken sich damit sofort gegenseitig an. Diese glänzenden Kinderaugen zu sehen, macht alle Mühen und Anstrengungen vergessen.»