Auf Beginn des neuen Schuljahrs hat die PH Zürich einen neuen einjährigen Studiengang für angehende Berufsschullehrpersonen entwickelt. Konzipiert wurde er für Einsteigerinnen und Einsteiger mit unterschiedlichen Berufen. Das Programm orientiert sich an den Bedürfnissen der Studierenden, damit sie Beruf und Familie koordinieren können.
- Alle Bilder: Niklaus Spoerri
Es ist Donnerstag, später Nachmittag. 35 Studierende haben sich in einem der Räume an der PH Zürich versammelt. Sie betrachten eine Videofilmsequenz und sehen eine Lehrerin, die mit ihrer Klasse das Thema Börse und Aktien behandelt. Die Aufgabe für die Studierenden besteht darin, den Ablauf der Sequenz zu notieren und sich auf «das Wesentliche zu konzentrieren». Anschliessend fassen sie im Plenum kurz zusammen, was sie gesehen haben und reflektieren Schlüsselwörter, etwa Gewinn, Verlust und Risiko. In dieser zweiten Lektion ist zentral, mit Lerninhalten umzugehen und geeignete Strategien für das Lernen zu entwickeln.
Der neue Studiengang umfasst die drei Module «Didaktik der beruflichen Bildung», «Grundlagen des Lehrens und Lernens» und «Interaktionsprozesse». Zum Studium berechtigen eine abgeschlossene Berufslehre auf höchster Stufe oder ein Studienabschluss auf Stufe Bachelor. Die beiden Dozierenden Daniela Plüss und Dario Venutti leiten den Unterricht als Team. «Die Heterogenität der Klasse ist die grosse Herausforderung», sagen beide und sehen dies zugleich als Chance. Die Zusammensetzung inspiriere auch zu unterschiedlichen Perspektiven auf die Anforderungen im Lehrberuf. Das hätten sie berücksichtigen müssen, als sie das Unterrichtsprogramm neu gestaltet haben. «Es war ein intensiver und kreativer Prozess, wie wir das Modul sinnvoll aufbauen. Wir mussten einen gemeinsamen Nenner für alle Bedürfnisse definieren.» Das «überraschend grosse Interesse» zeigt, dass für den Studiengang ein Bedarf vorhanden ist.
Diskussion über Merkmale guten Unterrichts
Der Studiengang orientiert sich nicht am traditionellen Semesterrhythmus, sondern am Ferienplan der Berufsfachschulen in Zürich. Für die Studierenden ist dies besonders attraktiv. Susanne Diener ist Pflegefachfrau FH und arbeitet seit 15 Jahren am Kantonsspital in Winterthur. Für sie gab es immer zwei Berufsziele: Pflege und Lehre. Erst habe sie das erste Ziel verwirklicht. Dann wurde die Familie wichtig. Nun sei der Zeitpunkt gekommen, ihren zweiten Traumberuf zu erlernen. Der normale Ausbildungsweg wäre zu aufwendig gewesen. «Mit diesem Studiengang kann ich Erstberuf und Familie sehr gut koordinieren.» Ihr Fernziel lässt sie offen. Ob sie ein weiteres Studienjahr anschliesst, werde sie entscheiden, wenn sie Berufserfahrung als Lehrerin gesammelt habe.
Ein anderes Beispiel ist André Jaunin. Er ist Elektroingenieur FH und arbeitet seit 12 Jahren bei der gleichen Firma. Als Bereichsleiter unterrichtet er seit kurzer Zeit betriebsintern die KV-Lernenden in technischer Produktekunde. Diese Lektionen hat er selber entwickelt und gestaltet sie unabhängig von der Berufsfachschule. «Ich habe gemerkt, dass mir dieser Unterricht grossen Spass bereitet», sagt Jaunin. Deshalb sei das Bedürfnis aufgekommen, als Zweitberuf an einer Berufsfachschule zu unterrichten. Er hat sich nach einem Quereinstieg erkundigt und ist auf diesen Studiengang gestossen, den er «sehr sinnvoll» findet.
Anhand der Videosequenz und mithilfe eines spezifischen Modells überlegen die Studierenden in einem zweiten Schritt der heutigen Lektion Qualitätsmerkmale für guten Unterricht. Einzelne Merkmale werden später im Plenum diskutiert: Klassenführung, Realitätsbezug, Methodenvielfalt. Zusammen mit den Dozierenden fassen die Studierenden schliesslich ihre Eindrücke zur Unterrichtsqualität der Lehrerin im Film zusammen. Einigen war das Lernziel nicht klar genug formuliert, andere hätten das Thema nicht im Frontalunterricht, sondern an einem aktuellen Fall «durchgespielt», eine Studentin fand das Thema klar und verständlich strukturiert.
Die Mehrheit der Studierenden verfügt noch über keine Unterrichtserfahrung. Diese müssen sie in einem Praktikum während des Studiums nachholen. Einige wenige haben bereits eine Lehranstellung und müssen daher kein Praktikum machen. Am Ende des Studienganges absolvieren alle Teilnehmenden eine Diplomprüfung. Das Lehrdiplom berechtigt für den berufskundlichen Unterricht im Nebenberuf mit einem Pensum bis zu 50 Prozent. Wer die Diplomprüfung besteht, kann das Studium fortsetzen und ein hauptberufliches Diplom erwerben. Für einige bietet der Studiengang allenfalls auch die Möglichkeit, herauszufinden, ob sie diesen Beruf tatsächlich ergreifen möchten.
Pädagogischer Takt
Als Aufgabe für die kommende Woche müssen die Studierenden einen Text aus einem Fachbuch zum Thema Lernen lesen. Dabei sollen sie ihre Lesestrategie reflektieren und notieren. In den nächsten Lektionen betrachten die Studierenden wiederum eine Filmsequenz, diesmal zum Thema Chemieunterricht an Berufsschulen. Im Film wird die Lehrperson mit Arbeitsblättern unterrichten. Als Vorbereitung müssen sich die Studierenden selber Wissen zum Thema «sinnvoller Einsatz von Arbeitsblättern» aneignen und Aspekte zu dieser Gestaltung des Unterrichts notieren. Die Niederschrift erfolgt in Form eines Protokolls. Dieses führen sie permanent während des ganzen Jahres und reflektieren darin auch den Unterricht, das Selbststudium oder Lernfortschritte. Das Protokoll ist am Schluss Teil der Diplomprüfung.
Die Studierenden haben sich drei Stunden aktiv am Unterricht beteiligt. Einige bleiben am Ende noch sitzen und arbeiten an den Hausaufgaben. «Das sogenannte Classroom Management ist anders als bei jüngeren Studierenden», finden die Dozierenden im Rückblick auf den Nachmittag. Vor jeder Lektion treffen sie sich zum intensiven Austausch. Sie besprechen das kommende Unterrichtsprogramm, auch um mögliche Anpassungen vorzunehmen. Bis jetzt laufe alles «optimal», sagen Daniela Plüss und Dario Venutti zufrieden.