Die Schule ist ein seltsames System. Allen Beteiligten ist klar, dass die Schule digital mithalten muss. Ebenso leuchtet ein, dass die Zeiten des eindimensionalen Unterrichtens passé sind. Meiner Erfahrung nach werden die Hausaufgaben allerdings von vielen Eltern und Lehrpersonen als für den Lernerfolg zwingend angesehen.
Da helfen bei der Argumentation weder Studien, die zeigen, dass Hausaufgaben die Guten nicht besser machen, aber die Schwachen schwächer, noch der Hinweis darauf, dass ausschliesslich unter grossem Zeitaufwand geplante sowie vor- statt nachbereitende Hausaufgaben erfolgversprechend sind. Ebenso wird häufig verkannt, dass sich andere Methoden besser eignen, um mit den Schülerinnen und Schülern zu üben, wie man Verantwortung übernimmt und Dinge selbständig erledigt. Offensichtlich geht es beim Thema Hausaufgaben also nicht um didaktische oder pädagogische Argumente, sondern vielmehr um tiefsitzende Misserfolgsängste. Misserfolgsängste der Eltern in Bezug auf ihre Kinder. Diese Ängste übertragen sich auf die Schule und rufen bei Lehrpersonen Bedenken hervor, sie könnten bei schlechten Leistungen der Schülerinnen und Schüler angreifbar werden. Hausaufgaben sind deshalb meiner Ansicht nach vor allem ein methodisches Rechtfertigungs- und Beruhigungsmittel.
Bezüglich Hausaufgaben habe ich von tadellos (gelegentlich von den Eltern) gelösten bis gänzlich unberührten Aufgaben schon alles gesehen. Gross angelegte Untersuchungen weisen Hausaufgaben zudem bescheidene Effekte aus. Aufgrund dieser Umstände erteile ich Hausaufgaben eher zurückhaltend und versuche, folgende Grundsätze zu beachten: Kurzes, oft wiederholtes Üben ist nachhaltiger als stundenlanges Büffeln. So entlaste ich meine Klasse im Englischunterricht weitgehend von Hausaufgaben, erwarte aber ein regelmässiges Üben der Lernwörter. Andererseits sollen Hausaufgaben nicht nur aus repetitiven Übungsaufgaben bestehen, sondern kognitiv anregend sein, ohne zu überfordern. Als Vorarbeit einer Lektion in Medien und Informatik beauftrage ich die Kinder beispielsweise, ihr eigenes Mediennutzungsverhalten über mehrere Tage zu protokollieren. Motivation und Lernertrag fallen dabei bestimmt höher aus, als wenn lediglich Aufgaben fertig zu lösen sind.
Als ich 1985 als Sekundarlehrer startete, gehörten die letzten fünf Minuten der damals 50-minütigen Lektion den Hausaufgaben. Alle Schülerinnen und Schüler notierten sich dieselben Aufgaben, meist auf den folgenden Tag, ins «Ufzgiheft».Vieles hat sich seither geändert in meinem Lehrerleben, auch das Erteilen der Hausaufgaben. Heute gebe ich sie auf, wenn es thematisch passt, etwa zu Beginn oder mitten in der Lektion. In einer der beiden Klassen, die ich unterrichte, einer Sek A/B, sind die Aufträge verschieden, und die B-Klasse kann diese meist vom Visualizer abschreiben. Hie und da gebe ich die Dauer an (z.B. 20 Minuten) oder den Umfang (z.B. 250–300 Wörter) und die Schülerinnen und Schüler bestimmen den Inhalt selbst. Wenn immer möglich, erteile ich Aufträge nicht auf den folgenden Tag. Die Jugendlichen sollen lernen, ihre (Aufgaben-)Zeit selbst einzuteilen. Und was ist von damals geblieben? Ich erteile die Aufträge mündlich und ich kontrolliere sie.