Die meisten von uns haben eine Ahnung davon und können locker Beispiele aus dem Alltag oder den Medien anführen. Ein Witz erzählt ebenso eine Geschichte wie ein Roman, eine Fernsehserie, eine Reportage oder eine Biografie. Aber wo liegen die Grenzen?
Warum ist ein Backrezept keine Erzählung, und wie verhält es sich mit einem Wikipedia-Eintrag oder einer Bildbeschreibung? Nach der Lektüre des vorliegenden Handbuchs wissen wir besser Bescheid und können dank konkreter Merkmale stichhaltig argumentieren. «Das Erzählen ist in allen Bereichen der Gesellschaft unentbehrlich, um Wirklichkeit zu erfassen, um etwas mitzuteilen, um auf andere einzuwirken», wie Herausgeber MatÃas MartÃnes eingangs betont.
51 fokussierte Beiträge nähern sich dem Phänomen des Narrativen aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln und ergründen dabei nicht nur die universellen Grundlagen und Bausteine. In kursorischen Einzeldarstellungen befassen sich die Autorinnen und Autoren mit den verschiedenen «Medien», «sozialen Feldern», «Funktionen» sowie der «Psychologie und Anthropologie» des Erzählens. In diesen Hauptkapiteln kommen die breit gefächerten Zugänge deutlich zum Ausdruck und lassen gelegentlich aufmerken, etwa wenn unter den «Medien des Erzählens» neben erwarteten Ausführungen zu Comics, Hörfunk und Theater auch Beiträge zu finden sind, die sich der Fotografie, dem Garten, der Skulptur, dem Tanz oder dem Internet und sozialen Netzwerken widmen.
Das Gleiche gilt für die Felder des Erzählens. In Ergänzung zu vertrauten Bereichen wie Alltag und Fiktion werden viele weitere gesellschaftliche und wissenschaftliche Domänen abgedeckt wie Medizin, Pädagogik, Recht, Politik, Psychotherapie oder Wirtschaft. «Das Erzählen ist eine Wachstumsbranche», heisst es im Kapitel Werbung. «Nicht nur in Medien, Journalismus und nahezu allen Sparten der Populärkultur, sondern auch in Marketing, Werbung und Public Relations hat Storytelling seit Jahren Konjunktur.» Das interdisziplinäre Handbuch klärt die Begriffe und regt an, Gemeinsamkeiten und Besonderheiten zu entdecken. Nicht zuletzt leistet es damit einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung von Erzählkompetenz.