«Partizipation bedeutet, andere zu berücksichtigen»

Die Partizipation von Schülerinnen und Schülern ist seit mehr als zehn Jahren im Volksschulgesetz verankert. Das Projekt «Partizipation stärken – Schule entwickeln (PasSe)» des Zentrums für Schulentwicklung der PH Zürich will Klarheit darüber gewinnen, wie Partizipation in Schulen verstanden und umgesetzt wird. Die Projektleiterin Enikö Zala-Mezö berichtet im Interview von den Zielen und Ergebnissen des Projekts.

Enikö Zala-Mezö

Enikö Zala-Mezö, Leiterin Zentrum für Schulentwicklung an der PH Zürich. Foto: Christoph Hotz

Akzente: Können Sie kurz beschreiben, was Sie unter dem Schlagwort Partizipation verstehen?
Zala-Mezö: Wir wollten mit einem offenen Verständnis an die Untersuchung herangehen und hatten beim Projektstart keine Begriffsdefinition vor Augen. Im Verlauf des Projekts haben wir uns dann immer stärker mit Definitionen auseinandergesetzt. Heute würde ich Partizipation anhand von drei Merkmalen beschreiben: Partizipation bedeutet einerseits, andere zu berücksichtigen. Andererseits gehört auch dazu, Hierarchieunterschiede zwischen Lehrpersonen und Lernenden zu reduzieren. Drittens ist es wichtig, dass eine Offenheit für Veränderungsprozesse vorhanden ist. Abgesehen davon ist Partizipation immer ein Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Beteiligten. Insgesamt steht folglich die Beziehungsebene im Zentrum.

Wie haben Sie das Thema untersucht?
Um herauszufinden, wie Partizipation umgesetzt wird, haben wir Befragungen in fünf Schulen durchgeführt. Diese fanden zu zwei Zeitpunkten im Abstand von je einem Jahr statt. Damit wollten wir sicherstellen, dass Entwicklungen in den Schulen in die Auswertung einfliessen können. Alle Mitarbeitenden und Schülerinnen und Schüler ab der vierten Klasse wurden schriftlich und ausgewählte Personen und Gruppen zusätzlich mündlich befragt. Daneben haben wir Alltagssituationen wie den Schüler- oder Klassenrat besucht.

Zu welchen Erkenntnissen sind Sie dabei gelangt?
Institutionalisierte Formen von Partizipation sind in allen Schulen vorhanden. Sie sind auf den ersten Blick ähnlich aufgebaut. So gibt es vielerorts Klassenräte sowie auf Schulebene Schülerräte mit Delegierten aus den einzelnen Klassen. Unterschiede zwischen den Schulen und auch innerhalb der Schulen bestehen etwa darin, wie flexibel oder formalisiert sie diese Formen gestalten. Der Unterricht scheint jedoch kein Ort für regelmässige Partizipation zu sein. Etabliert hat sich die Partizipation von Schülerinnen und Schülern also eher bei ausserunterrichtlichen Themen und Aktivitäten.

Welche Wünsche bezüglich Partizipation äusserten Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler?
Es haben sich grosse Unterschiede zwischen Lehrpersonen und Schülerschaft gezeigt. Einige Lehrpersonen sind von der Partizipation überzeugt und wollen die durch das Volksschulgesetz oder die Kinderrechte gesetzten Erwartungen erfüllen, andere glauben eher, diese erfüllen zu müssen. Bei den Schülerinnen und Schülern ist der Wunsch nach Partizipation in der Regel höher als bei den Lehrpersonen. Die Lehrerinnen und Lehrer wünschen sich Partizipation vor allem in institutionalisierten Gefässen wie dem Klassenrat, während sie in den Kernbereichen ihrer Zuständigkeit, etwa bei der Stundenplangestaltung, keine Partizipation wünschen.

Wie verwenden Sie nun die Projektergebnisse?
Das Projekt war von Beginn an darauf ausgelegt, dass die Erkenntnisse in die Schulen zurückfliessen. Dazu fassten wir die Resultate in einem Bericht zusammen und stellten sie den Schulen zu. Anschliessend haben wir sie in Workshops mit ihnen diskutiert. Die Rückmeldungen sollten die Schulen zur Reflexion anregen und ihnen einen Input für Weiterentwicklungen geben. So haben beispielsweise die Unterschiede zwischen der Wahrnehmung der Schülerschaft und den Einschätzungen der Lehrpersonen teilweise zu Diskussionen geführt. Dies war auch eines unserer Ziele: dass die Beteiligten Erfahrungen sammeln, über die sie sich austauschen können.

Wurden in den Workshops auch konkrete Massnahmen entwickelt?
Wir möchten den Schulen keine Massnahmen vorschreiben, sondern sie dazu anregen, eine neue Perspektive einzunehmen. Deshalb haben wir ihnen primär die Ergebnisse der Befragungen zurückgemeldet, in einigen Workshops stellten wir ausserdem Modelle zur Partizipation vor und diskutierten mit ihnen darüber. Die Teilnehmenden haben anschliessend selbst Massnahmen entwickelt, die ihren Bedürfnissen entsprechen. So wurde beispielsweise in einer Schule entschieden, dass die Schülervertretung von nun an direkt in die Lehrerkonferenz eingeladen wird.

Wie können andere Schulen von den Ergebnissen Ihrer Studie profitieren?
Wir werden die Ergebnisse der Studie und die Fragebögen online zugänglich machen. Dies mit dem Ziel, andere Schulen dabei zu unterstützen, gemeinsam über das Thema zu diskutieren. Zusätzlich entwickeln wir auf der Grundlage der Ergebnisse zurzeit ein Weiterbildungsangebot zum Thema Partizipation.