Die persönliche Laufbahn aktiv gestalten

Der Lehrberuf bietet heute mehr Entwicklungsmöglichkeiten als früher. Grund dafür ist neben der grösseren Komplexität des Schulsystems auch der Wandel des Berufsbilds. So gewinnt die Teamarbeit in den Schulen zunehmend an Bedeutung. Die Aufgabenteilung und Spezialisierungen ermöglichen es Lehrpersonen, in ihrer Laufbahn stärker eigenen Interessen und Stärken zu folgen.

Dem Lehrberuf haftete lange Zeit das Image eines Sackgassenberufs an. Dies entspricht jedoch keineswegs der heutigen Berufsrealität. So fordert der Beruf einerseits eine konstante persönliche Entwicklung, andererseits bietet er Lehrpersonen viel Gestaltungspotenzial. «Lehrerinnen und Lehrer müssen sich regelmässig weiterbilden, um den zahlreichen Neuerungen des Schulsystems gerecht zu werden», sagt Barbara Dangel, Leiterin des Zentrums für Person und Profession an der PH Zürich. Themen wie Kompetenzorientierung, Integration oder die Einführung des Lehrplans 21 haben von den Lehrerinnen und Lehrern in den letzten Jahren eine stetige Weiterentwicklung verlangt. Zudem sind Lehrpersonen wie andere Berufsgruppen grundsätzlich agiler geworden. «Berufsbiografien von Lehrpersonen beinhalten heute oft mehrere Übergänge», sagt Dangel. Diese reichen von häufigeren Wechseln des Schulteams über Unterbrüche bis hin zu neuen Rollen im Schulsystem.

Die Schule bietet den Lehrpersonen dabei deutlich mehr Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten als früher. So können Lehrpersonen an den Schulen zahlreiche Spezialfunktionen und ‑rollen einnehmen. Beispiele dafür reichen von der IF- oder DaZ-Lehrperson über die Funktion als Fachbegleitung für Lehrpersonen beim Berufseinstieg bis hin zu Rollen als ICT-Verantwortliche oder Kontaktperson für Gesundheitsfragen und Prävention. Eine solche Spezialisierung wird durch die grössere Komplexität des Schulsystems immer wichtiger – Stichworte sind etwa die zunehmende Heterogenität, Herausforderungen des integrativen Unterrichts oder der unterrichtsergänzenden Betreuung. Weiter ermöglicht der Wandel von der alleine unterrichtenden Lehrperson hin zum Teamplayer eine stärkere Aufgabenteilung. Weil guter Unterricht immer mehr als Aufgabe eines Teams gesehen wird, werden an vielen Schulen fachliche Vertiefungen oder didaktische Expertisen durch Weiterbildungen gefördert. Dies mit dem Ziel, das Know-how einzelner Lehrpersonen anschliessend im Team zu verbreiten. Auch entwickelt sich das Bildungssystem immer stärker in Richtung geteilter Führung, dadurch übernehmen Lehrpersonen heute an Schulen vermehrt Führungsaufgaben oder Teilverantwortungen wie eine Stufen- oder Projektleitung oder an QUIMS-Schulen den Kontakt mit den Behörden.

Remo Jäggi

«Ich wollte mich fachlich vertiefen»
Zurzeit unterrichte ich in Biberist im Kanton Solothurn auf der Sekundarstufe I. Zuvor war ich sieben Jahre auf der Primarstufe tätig. In unserer Gemeinde gilt die Regelung, wonach ohne entsprechendes Diplom vier Jahre auf einer anderen Stufe unterrichtet werden darf. Nun erwerbe ich an der PH Zürich den Master in den Fächern Mathematik, Natur und Technik sowie Design und Technik. In den Lehrberuf kam ich auf dem zweiten Bildungsweg. Ursprünglich lernte ich Automechaniker und begann anschliessend ein Studium zum Automobilingenieur, welches ich jedoch nicht abschloss. Mir fehlte der Kontakt zu den Menschen. Ausschlaggebend für den Umstieg auf die Sekundarstufe waren zwei Gründe: Einerseits wollte ich mich fachlich vertiefen und andererseits reizte mich die Arbeit mit älteren Schülerinnen und Schülern. Die Aussicht darauf, sie bei der Berufswahl zu begleiten, war dabei ein wichtiger Motivationsfaktor. Im Rückblick habe ich die richtigen Entscheidungen getroffen, sowohl beim Wechsel in den Lehrberuf als auch jetzt mit dem Stufenumstieg.
Remo Jäggi, Student Masterstudiengang Sekundarstufe I für Primarlehrpersonen. Alle Fotos: Sophie Stieger

Individuelle Wege

«Ein Jobenlargement, also eine Ausweitung des Tätigkeitsbereiches oder eine Spezialisierung können sehr motivierend wirken», sagt Dangel zu den zahlreichen Entwicklungsmöglichkeiten im Kernberuf. Mit dem neuen kantonalen Berufsauftrag wurde nun eine gute Grundlage dafür geschaffen, dass Lehrpersonen einen Aufwand für Spezialfunktionen oder ‑aufgaben nicht mehr auf freiwilliger Basis leisten müssen. Seit der Berufsauftrag in Jahresstunden definiert ist, können die Aufgaben einer ICT-Verantwortlichen, eines Stufenleiters oder der Aufwand für Projekte wie ein Schülergarten als fester Teil des Jahrespensums eingerechnet werden.

Neben den Entwicklungsmöglichkeiten im Kernberuf stehen Lehrpersonen zahlreiche Berufsperspektiven innerhalb des Bildungswesens offen: von der Lehrmittelentwicklung über die Schulleitungsposition bis hin zur Erwachsenenbildung. So haben Lehrpersonen nach einer umfassenden Aus- bzw. Weiterbildung beispielsweise die Möglichkeit, an einer Pädagogischen Hochschule oder einer anderen Hochschule tätig zu sein. Während in gewissen Ländern, insbesondere im angelsächsischen Raum, feste Laufbahnmodelle existieren, werden in der Schweiz Weiterbildungen eher nach einem Baukastenprinzip zusammengestellt. Folglich verlaufen die Berufswege der Lehrpersonen höchst individuell. Allerdings ist auch in der Schweiz eine Diskussion um klarere Laufbahnperspektiven im Gange. So sprach sich im letzten Jahr die Kammer Pädagogische Hochschule von swissuniversities in einem Positionspapier für stärker strukturierte Entwicklungsmöglichkeiten für Lehrpersonen aus.

Laufbahn in die Hand nehmen

«Lehrpersonen haben heute sehr viele Optionen im Beruf und sollten sich bewusst sein, wie viel sie gestalten können», sagt Dangel. Sie empfiehlt, die Laufbahnplanung nicht dem Zufall zu überlassen, sondern Möglichkeiten der Weiterentwicklung bewusst zu prüfen. (Auswahl siehe Seiten 12/13.) Das bedeutet jedoch nicht, dass sich eine Lehrperson ständig weiterbilden oder spezialisieren muss für eine zufriedenstellende Laufbahn. «Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die ein Leben lang zufrieden sind mit dem Kerngeschäft des Unterrichts», so Barbara Dangel. Auch spricht sie die mögliche Gefahr an, dass sich das Credo des lebenslangen Lernens in einen Druck verwandelt, sich ständig weiterbilden zu müssen. In Beratungsgesprächen erkennt sie bei manchen Lehrerinnen und Lehrern diesbezüglich eine gewisse Besorgnis. «Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass man stets den nächsten Schritt anpacken muss», sagt Barbara Dangel. Hat eine Lehrperson jedoch das Gefühl, in einen Trott zu kommen oder gar stehenzubleiben, ist Handeln angesagt.

Hier kommt der Schulleitung eine wichtige Funktion zu. «Lehrpersonen sind grundsätzlich selbst verantwortlich für ihre Laufbahn. Doch die Schulleitung hat die Aufgabe, sie in ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen und mit ihr im Dialog zu Fragen rund um ihre Laufbahn zu bleiben», sagt Niels Anderegg, Leiter des Zentrums für Management und Leadership an der PH Zürich. Nimmt die Schulleitung wahr, dass eine Person im Team die Freude an der Arbeit verliert, gilt es, dies anzusprechen. Dafür brauche es ein Vertrauensverhältnis zwischen Schulleitung und Lehrperson, gerade weil die Laufbahnplanung sehr stark mit persönlichen und privaten Themen verknüpft ist, so Anderegg.

Dabei können die Wege aus einer beruflichen Unzufriedenheit heraus sehr unterschiedlich sein. Hilft einer Lehrperson eine fachliche Vertiefung, um die Motivation wiederzufinden, so ist bei einer anderen vielleicht ein Wechsel des Schulteams angebracht, und eine dritte Person findet nach einem Sabbatical wieder Freude am Beruf. «Manchmal kennen Lehrpersonen interessante Möglichkeiten auch zu wenig», sagt Anderegg. Er nennt als Beispiel die Intensivweiterbildung (IWB), eine dreimonatige berufliche Auszeit, die Lehrpersonen nach zehn Unterrichtsjahren absolvieren können. An der PH Zürich wird das personenorientierte Weiterbildungsangebot in drei Profilen angeboten: Nach einer Standortbestimmung absolvieren Lehrpersonen entweder ein Praktikum in einem anderen Beruf, setzen sich vertieft mit ihren Berufsperspektiven auseinander oder realisieren ein individuelles Projekt. «Der Abstand vom Berufsalltag hilft oft, das Gefühl des Repetitiven zu durchbrechen und eine neue Perspektive auf die Schule zu erlangen», sagt Niels Anderegg.

Schulleitungen sollen das Thema Laufbahn allerdings nicht nur aufgrund negativer Eindrücke ansprechen. «Eine gute Schulleitung entdeckt Stärken und Spezialkompetenzen im Team und fördert diese gezielt, auch um die ganze Organisation weiterzubringen», so Anderegg. Interessiert sich beispielsweise eine Lehrperson privat für Informatik, kann eine Weiterbildung zur ICT-Verantwortlichen nicht nur zu ihrer eigenen Zufriedenheit und Motivation beitragen, sondern ebenso zur Qualität des Unterrichts an der Schule. Dabei können solche Fördermassnahmen sehr unterschiedlich ausfallen. Anderegg erzählt von einer Primarschullehrerin mit einem Flair für naturwissenschaftliche Themen, die für ihre Klasse interessante Experimente entwickelte, etwa um Wind zu messen. Die Schulleitung veranlasste, dass die Schule an einem interkantonalen Projekt mit verschiedenen Pädagogischen Hochschulen zur Förderung des technisch-wissenschaftlichen Unterrichts teilnahm, wobei die Lehrerin die Projektleitung an der Schule übernahm. Im Rahmen des dreijährigen Projekts konnte sie nicht nur ihr eigenes Wissen erweitern, sondern auch ihre Ideen an anderen Schulen vorstellen und gleichzeitig den Unterricht an der eigenen Schule weiterentwickeln.

Eveline Mathis

«Ich schätze den Handlungs- und Gestaltungsspielraum»
Nach zehn Jahren im Ausland als Delegierte für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz habe ich 2013 als Quereinsteigerin das Lehrdiplom für die Primarstufe erworben. Danach folgten verschiedene Vikariate im Kanton Zürich und eine Festanstellung als Klassenlehrperson an der Schule Uitikon. Meine heutige Funktion als Schulleiterin für die Kindergarten- und Unterstufe sowie den Schülerclub an derselben Schule ist sehr vielseitig, bereichernd und herausfordernd. Ich schätze den Handlungs- und Gestaltungsspielraum und insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Team – ein Highlight meiner Tätigkeit! Durch meine Weiterbildung zur Schulleiterin an der PH Zürich habe ich einen vertieften Einblick in das Bildungswesen und die Volksschule erhalten. Auch die aktuellen Diskussionen aus der Forschung und Entwicklung zu Fragen der Schulentwicklung, die schulspezifischen Führungswerkzeuge sowie die Hintergründe zum Schul- und Personalrecht, welche Teil der Schulleitungsausbildung waren, unterstützen mich heute bei meinen Aufgaben als Schulleiterin.
Eveline Mathis, Absolventin CAS Führen einer Bildungsorganisation

Planung in jeder Berufsphase

«Wie weiter?» ist allerdings nicht die einzige Frage in der Laufbahnplanung von Lehrpersonen. Genauso berechtigt ist die Frage: «Will ich überhaupt noch?» Und diese kann zu jedem Zeitpunkt auftauchen. So beanspruchen auch junge Lehrpersonen, die nach ihrem ersten oder zweiten Klassenzug nicht sicher sind, in welcher Form sie im Beruf bleiben wollen, eine Laufbahnberatung an der PH Zürich. «Diese Beratungsfälle gleichen sich stark. Einige junge Lehrpersonen haben das Gefühl, dass sie sich zu wenig auf das Unterrichten konzentrieren können, also auf das, was sie hauptsächlich zur Wahl dieses Berufes bewogen hat», sagt Helen Buss, die Lehrpersonen an der PH Zürich zu Laufbahnfragen berät. Gemäss Buss bleiben die meisten dieser Lehrpersonen nach einer Beratung im Berufsfeld, wie dies auch bei Lehrpersonen mit mehr Erfahrung, die an ihrem Beruf zweifeln, oft der Fall ist. Häufig nehmen sie eine Weiterbildung in Angriff, um sich in einer Thematik zu vertiefen, sich zu spezialisieren oder eine zusätzliche Funktion zu übernehmen, beispielsweise als Praxislehrperson.

Auch wenn sich in den genannten Fällen ein Muster zeigt, betont Buss, dass es für Laufbahnfragen gerade keine Standardlösungen gibt. Ebenso sind die Motive für eine Laufbahnberatung sehr divers. Gewisse Lehrpersonen suchen schlicht eine Veränderung, andere planen einen Wiedereinstieg, möchten etwa nach einer Kinderpause abklären, ob ihnen der Beruf überhaupt noch entspricht, und auch Lehrpersonen, die kurz vor der Pensionierung stehen, suchen eine Laufbahnberatung auf. «Es ist wichtig, dass dieser Schritt gut geplant ist», sagt Buss. So ist nicht nur abzuwägen, ob eher ein abrupter Abschied vom Beruf oder ein fliessender Übergang mit reduziertem Pensum, Vikariaten oder eine Rolle als Klassenassistenz in Frage kommt. Laut Buss ist es sinnvoll, mögliche Szenarien für die Zeit nach der Pensionierung zu entwerfen und zwar am besten mehrere, weil sich diese grosse Veränderung eben nicht vollumfänglich im Voraus abschätzen lasse.

Deborah Troxler

«Ich möchte mir in einem zukunftsorientierten Bereich Wissen aneignen»
In meiner bisherigen Laufbahn als Lehrerin habe ich in drei verschiedenen Kantonen unterrichtet. Zuerst in Luzern, anschliessend in Bern und aktuell in Zürich. Seit fünf Jahren bin ich nun auf der Mittelstufe im Schulhaus Am Wasser tätig. Neben der Funktion als Klassenlehrerin verantworte ich zusätzlich den technischen Support sowie den pädagogischen ICT-Support der Lehrpersonen. Den CAS PICTS werde ich im November abschliessen. Für diese Weiterbildung habe ich mich entschieden, um mir in einem zukunftsorientierten Bereich Wissen und Fertigkeiten anzueignen, welche ich im Unterrichtsalltag anwenden kann. Neben der Unterstützung im eigenen Schulhaus bin ich zusammen mit zwei Kollegen für den Support des gesamten Schulkreises verantwortlich. Den Hauptbestandteil der Aufgabe bildet die Beratung der Lehrpersonen beim Einsatz von digitalen Medien im Unterricht. Ganz besonders schätze ich dabei den Austausch mit den Lehrpersonen aus den verschiedenen Schulhäusern.
Deborah Troxler, Teilnehmerin am CAS Pädagogischer ICT-Support (PICTS)

Horizontale Laufbahnvorstellung

Eine Laufbahnplanung vor einem tatsächlichen Bedürfnis nach Veränderung in Angriff zu nehmen, ist gemäss Buss allerdings wenig sinnvoll. Zwar sei es wichtig, die eigene Situation stets zu reflektieren und mögliche Optionen zu kennen. Doch: «Präventiv nimmt niemand eine Beratung in Anspruch. Es braucht einen konkreten Auslöser für Laufbahnschritte, beispielsweise Neugierde, Interesse oder eine Veränderung im beruflichen oder privaten Umfeld», so Buss.

Dass sich das Thema Laufbahn ohne Anknüpfung an persönliche Fragen aus dem Berufsalltag nur schwer angehen lässt, spiegelt sich in der schwachen Nachfrage nach Weiterbildungsangeboten, die das Thema Laufbahn auf einer übergeordneten Ebene thematisieren. Dazu passt, dass die Laufbahn bei Studierenden nicht zu den brennenden Themen gehört, wie Buss sagt. Fragen rund um die Laufbahn tauchen im Studium primär im Mentorat auf, wenn Studierende erste Berufserfahrungen sammeln. In der Ausbildung für die Sekundarstufe werden Studierende zudem in einem Modul zur Berufswahlvorbereitung mit dem Thema konfrontiert und lernen bei Besuchen in Berufsvorbereitungsjahren und Berufsfachschulen eigene Berufsperspektiven kennen.

«Die Studierenden sind sehr interessiert, wenn sie sehen, dass es neben der Sekundarstufe weitere Möglichkeiten zum Unterrichten gibt», sagt Buss. Die Studierenden seien sich allerdings bewusst, dass sie einen Beruf wählen, der einem horizontalen Laufbahnmodell folgt und wenig Aufstiegsmöglichkeiten bietet. So zeigt auch eine Studie der PH Zürich, dass bei Maturanden und Maturandinnen mit dem Berufsziel Lehrperson der berufliche Aufstieg kaum von Bedeutung ist, sondern Werte wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine wichtigere Rolle spielen. Zu ihrer Vorstellung von Karriere befragt, zeichneten die angehenden Lehrpersonen weniger das Bild der Karriereleiter, sondern erwähnten Begriffe wie Weiterentwicklung, Weiterbildung, Zufriedenheit und Erfüllung. Und mit einer solchen horizontalen Vorstellung von Karriere kann im Lehrberuf spätestens heute keine Rede von einem Sackgassenberuf mehr sein.